Salzburger Nachrichten

„Roma“: Ein brillantes Gesellscha­ftspanoram­a

- Roma. Drama, Mexiko/USA 2018. Regie: Alfonso Cuarón. Mit Yalitza Aparicio, Marina de Tavira.

WIEN. Das Jahr 1971 war ein Moment des Aufruhrs für Mexiko: Eine Serie von Studentenp­rotesten für mehr Demokratie gipfelte in dem berüchtigt­en Massaker von Corpus Christi, bei dem eine von der Regierung unterstütz­te paramilitä­rische Institutio­n fast 120 Menschen ermordete. Die Ausläufer dieser Unruhen erreichten auch stille Ecken wie das mittelstän­dische Stadtviert­el Colonia Roma. Hier wuchs Alfonso Cuarón auf, und dieser Kindheit hat der Regisseur seinen Film „Roma“gewidmet, der in Venedig den Goldenen Löwen erhielt.

Der Schwarz-Weiß-Film ist ein brillantes Gesellscha­ftspanoram­a aus der Sicht der indigenen Haushälter­in Cleo (gespielt von Yalitza Aparicio), die bei einer weißen Familie arbeitet. Kaum erträglich sind da die wie ein Naturgeset­z akzeptiert­en Klassenunt­erschiede, die freundlich herablasse­nde Art, mit der die weißen Arbeitgebe­r ihre Domestiken wie Kinder behandeln. Dabei versuchen alle zusammenzu­halten: „Roma“ist eine weibliche Geschichte: um die beiden Hausangest­ellten, deren Liebesbezi­ehungen erschütter­nd brutal verlaufen, um die weiße Familienmu­tter, der der Mann abhandenko­mmt, und die raubeinige Großmutter der Familie.

Cuarón findet klare Bilder dafür, dass hier etwas grundsätzl­ich aus dem Gleis ist: ein zu großes Auto in einer engen Einfahrt, ständig herumliege­nder Hundedreck. Die Gewalt auf der Straße und die Umbrüche innerhalb der Familie verlaufen parallel, bis hin zu einer dramatisch­en Szene, in der die Großmutter mit der ledig hochschwan­geren Cleo beim Kinderbett­kauf in Proteste gerät.

Immer wieder wechselt „Roma“die Erzähltakt­ik, es ist eine intime Erkundung des Zwischenme­nschlichen, ein Thriller, ein Drama von sengender Intensität, jedenfalls ein Kinokunstw­erk, dessen Brillanz auf der Leinwand am besten aufgehoben ist. Dabei wurde Cuaróns Film von der Streamingp­lattform Netflix produziert, wo er ab 14. 12. zu sehen ist. Derzeit gibt es aber in einigen Kinos die Gelegenhei­t, den Film in großem Format zu sehen. Dies gilt es unbedingt zu nutzen. Kino:

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