„Roma“: Ein brillantes Gesellschaftspanorama
WIEN. Das Jahr 1971 war ein Moment des Aufruhrs für Mexiko: Eine Serie von Studentenprotesten für mehr Demokratie gipfelte in dem berüchtigten Massaker von Corpus Christi, bei dem eine von der Regierung unterstützte paramilitärische Institution fast 120 Menschen ermordete. Die Ausläufer dieser Unruhen erreichten auch stille Ecken wie das mittelständische Stadtviertel Colonia Roma. Hier wuchs Alfonso Cuarón auf, und dieser Kindheit hat der Regisseur seinen Film „Roma“gewidmet, der in Venedig den Goldenen Löwen erhielt.
Der Schwarz-Weiß-Film ist ein brillantes Gesellschaftspanorama aus der Sicht der indigenen Haushälterin Cleo (gespielt von Yalitza Aparicio), die bei einer weißen Familie arbeitet. Kaum erträglich sind da die wie ein Naturgesetz akzeptierten Klassenunterschiede, die freundlich herablassende Art, mit der die weißen Arbeitgeber ihre Domestiken wie Kinder behandeln. Dabei versuchen alle zusammenzuhalten: „Roma“ist eine weibliche Geschichte: um die beiden Hausangestellten, deren Liebesbeziehungen erschütternd brutal verlaufen, um die weiße Familienmutter, der der Mann abhandenkommt, und die raubeinige Großmutter der Familie.
Cuarón findet klare Bilder dafür, dass hier etwas grundsätzlich aus dem Gleis ist: ein zu großes Auto in einer engen Einfahrt, ständig herumliegender Hundedreck. Die Gewalt auf der Straße und die Umbrüche innerhalb der Familie verlaufen parallel, bis hin zu einer dramatischen Szene, in der die Großmutter mit der ledig hochschwangeren Cleo beim Kinderbettkauf in Proteste gerät.
Immer wieder wechselt „Roma“die Erzähltaktik, es ist eine intime Erkundung des Zwischenmenschlichen, ein Thriller, ein Drama von sengender Intensität, jedenfalls ein Kinokunstwerk, dessen Brillanz auf der Leinwand am besten aufgehoben ist. Dabei wurde Cuaróns Film von der Streamingplattform Netflix produziert, wo er ab 14. 12. zu sehen ist. Derzeit gibt es aber in einigen Kinos die Gelegenheit, den Film in großem Format zu sehen. Dies gilt es unbedingt zu nutzen. Kino: