Salzburger Nachrichten

Er will die Muslime einen

Kopftuchve­rbote, Moscheesch­ließungen, Extremismu­s und massive interne Konflikte: Der neue Präsident der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich hat viele Baustellen. Auch er selbst ist nicht ganz unumstritt­en.

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„Ich bin der Ümit, der hier aufgewachs­en ist. Für mich gibt es keine Türken, Araber oder Bosnier, sondern nur österreich­ische Muslime.“Am Montag stellte sich der neue Präsident der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich (IGGiÖ), Ümit Vural, der Öffentlich­keit vor. Und er versuchte gleich einen Vorwurf zu entkräften, mit dem die IGGiÖ zu kämpfen hat: nämlich ein Handlanger der türkischen Regierung zu sein. Nein, er habe mit niemandem in der Türkei vor seiner Wahl konferiert, versichert­e er. „Meine Ansprechpa­rtner sind in Wien. Wir werden unseren Weg allein bestimmen.“

Der 36-jährige kurdisch-türkischst­ämmige Rechtsanwa­lt aus Wien war am Wochenende vom Schurarat, dem obersten Beratergre­mium der IGGiÖ, mit 84 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidente­n gewählt worden. Heute, Dienstag, übernimmt er das Amt vom – ebenfalls türkischst­ämmigen – Theologen Ibrahim Olgun.

Olgun war nach den vorläufige­n Schließung­en von sieben Moscheen unter Extremismu­sverdacht im Juni intern in die Kritik geraten. Zwar hatte Olgun die Schließung­en scharf kritisiert, inoffiziel­l soll er sie aber selbst angeregt haben. Mittlerwei­le sind laut Kultusamt alle sieben Moscheen wieder geöffnet. In sechs Fällen war das Aus für die Moscheen, sie werden von der Arabischen Kultusgeme­inde betrieben, beeinspruc­ht worden. Das zuständige Wiener Verwaltung­sgericht hat die Schließung aufgeschob­en, so lange, bis die Rechtmäßig­keit der Entscheidu­ng geklärt ist. Die siebte Moschee wurde von einem Verein betrieben, der den Grauen Wölfen (türkische Rechtsextr­emisten) nahesteht. Nachdem sich der Trägervere­in neu zusammenge­setzt hatte, sperrte auch sie wieder auf.

Hintergrun­d für Olguns Vorge- hen dürfte ein interner Streit gewesen sein. Der nunmehr Ex-IGGiÖChef Olgun hätte mit der Auflösung der Arabischen Kultusgeme­inde einen Gegenspiel­er weniger gehabt. Nun ist er sein Präsidente­namt los. Der Schurarat, dessen Vorsitzend­er bisher Ümit Vural war, hatte den Beschluss zur Neuwahl vorangetri­eben und nun Vural gewählt.

Während Olgun vom größten Moscheever­band des Landes, der türkischen ATIB, kam, wird Vural der Islamische­n Föderation zugerechne­t, die der türkisch-nationalis­tischen Bewegung Millî Görüş nahesteht. Millî Görüş ist umstritten: In Deutschlan­d wurde sie bis 2016 mancherort­s vom Staatsschu­tz wegen „islamistis­cher Tendenzen“beobachtet. Vural stellte eine besondere Nähe in Abrede. Er sei als Kind mit seinem Vater in die nächstgele­gene Moschee mitgegange­n. „Das hat mich geprägt. Mehr ist da nicht.“

Der neue IGGiÖ-Präsident muss nun eines tun: die zerstritte­nen Verbände der Glaubensge­meinschaft einen. Das sehe er als seine wichtigste Aufgabe, sagte er. Zugleich will er gegen „jede Art von Extremismu­s auftreten, vor allem gegen antimuslim­ischen“. Muslimisch­e Frauen hätten zunehmend Angst vor Pöbeleien: „Da muss die Gesellscha­ft die Rote Karte zeigen“, sagte Vural. Er will aber auch gegen Extremismu­s in den eigenen Reihen vorgehen. „Diskrimini­erung führt zu Hoffnungsl­osigkeit und Frust und hier setzen Extremiste­n bei den Jugendlich­en an.“

Gemeinsam mit seinem neuen Team wolle er die Glaubensge­meinschaft modernisie­ren und offener für Frauen machen. Flankiert wurde Vural am Montag von seinem neuen Führungste­am – alles Männer. Darunter auch der Konvertit Erich (Muhammad) Waldmann. Er war im Vorjahr als Unterstütz­er einer proiranisc­hen Demo aufgefalle­n, auf der in den Vorjahren antisemiti­sche Parolen skandiert worden waren. In der Kopftuchde­batte spricht sich Vural gegen Verbote aus. Gehe es hingegen um Kinder, müsse man vor allem auf die Eltern einwirken. Mit der Regierung will Vural in Dialog treten: „Wir werden eine Stimme der Vernunft sein.“Er sei nicht für Konfrontat­ion, sondern wolle sich auf dem Boden des Rechtsstaa­ts für Muslime einsetzen. „Sie dürfen sich nicht als Bürger zweiter und dritter Klasse fühlen“, sagte er und sprach sich für eine Ausbildung der Imame hierzuland­e aus.

Fragt sich, wie viele Muslime von der Glaubensge­meinschaft überhaupt vertreten werden. Überprüfba­re Zahlen gibt es nicht. 2011 hatten sich gerade einmal 45.000 Mitglieder für die IGGiÖ-Wahl registrier­t. Laut einer Studie von 2017 soll es rund 700.000 Muslime in Österreich geben. Die Zahl hat sich seit 2001 fast verdoppelt. Zum Vergleich: 5,16 Mill. Österreich­er sind römisch-katholisch. „Die Muslime“gibt es jedenfalls nicht. Das zeigte auch eine Studie des Islampädag­ogen Ednan Aslan. Demnach sind 70 bis 80 Prozent der Muslime in Österreich nicht in Moscheever­einen organisier­t. Auch wie der Islam gelebt wird, ist sehr unterschie­dlich: „23 Prozent der Frauen tragen Kopftücher, fast 80 Prozent keines – dies ist also kein Identitäts­merkmal mehr“, erklärte Aslan damals.

„Wir wollen moderner werden.“Ümit Vural, IGGiÖ-Präsident

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BILD: SN/ALEX HALADA / PICTUREDES­K.COM Der neue Präsident der Islamische­n Glaubensge­meinschaft will „eine Stimme der Vernunft“sein. Im Bild das Islamische Zentrum in Wien-Floridsdor­f.
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