Theresa May steht allein im Regen
Die britische Regierungschefin macht Rückzieher. Verschiebung des Brexit-Votums im Unterhaus lässt das Pfund abstürzen.
Als der Sprecher des Unterhauses am Montagnachmittag endlich Theresa May aufruft und die Premierministerin an ihr Pult tritt, hat das Königreich abermals einen Tag voller Turbulenzen hinter sich. Die Gerüchteküche brodelte bereits am Vormittag, nachdem May ihr Kabinett zu einem „dringenden Telefongespräch“gebeten hatte. Was hatte die Regierungschefin vor?
Ursprünglich sollte der gestrige Montag erneut zur Debatte über den Brexit-Deal genutzt werden. Am Dienstagabend wollte das Parlament über das Austrittsabkommen abstimmen. Doch so weit sollte es nicht kommen. May kündigte vielmehr vor den Abgeordneten an, wegen des massiven Widerstands im Parlament das Votum zu verschieben. „Das Abkommen wäre mit einer beträchtlichen Mehrheit abgelehnt worden“, gab sie zu. Und mit einer krachenden Niederlage drohte ihr eine offene Revolte in der Konservativen Partei.
Stattdessen strebt die Regierungschefin nun Nachverhandlungen mit der EU über das Brexit-Abkommen an. Sie werde ihren europäischen Kollegen vor dem EU-Gipfel Ende dieser Woche die „klaren Bedenken“des britischen Parlaments vortragen und „weitere Zusicherungen“verlangen.
Wann die Abstimmung im Unterhaus nun stattfinden soll, gab May nicht bekannt. Möglich wäre sogar ein Termin im Jänner, was das Land unter weiteren Zeitdruck bringen würde. Am 29. März 2019 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Die Premierministerin betonte, dass das Risiko eines ungeordneten Austritts ohne Deal steige, solange kein Vertrag zwischen London und Brüssel besiegelt ist. Sollte sich das Parlament nicht bald auf ein Abkommen einigen, drohe das Land „in eine nationale Krise zu schlittern“, warnte Carolyn Fairbairn, Chefin des Branchenverbands CBI, der 190.000 Unternehmen vertritt.
Hinter den Kulissen feilschten und stritten und debattierten sie bis zuletzt. Während Mays Unterstützer die Talkshows abklapperten, um für den Deal zu werben, schwirrten konservative Einpeitscher mit Lockmitteln, Drohungen und Geschenken aus. Sie versuchten in den Hinterzimmern von Westminster einzelne Kandidaten entweder umzustimmen oder zur Stimmenthaltung zu bringen. Offenbar waren die Angebote aus Downing Street nicht gut genug.
Der „Backstop“blieb bis zuletzt der große Haken. Die Auffanglösung für Nordirland soll im Notfall gewährleisten, dass es nach der Scheidung von der EU keine harte Grenze zwischen der Republik Irland und dem zum Königreich gehörenden Nordirland gibt, um den Ulster-Friedensprozess nicht zu gefährden. Der ausgehandelte BrexitKompromiss sieht vor, dass das ganze Königreich in der Zollunion verbleibt, bis eine langfristige Lösung gefunden wird. Doch die BrexitHardliner wehrten sich von Anfang an mit lautem Getöse gegen das Provisorium. Sie beharren darauf, dass es ein festes Enddatum haben oder einseitig aufkündbar sein muss.
Das Problem: Die EU lehnt Nachverhandlungen kategorisch ab und macht das seit Wochen auf allen Kanälen deutlich. „Das Austrittsabkommen, inklusive des ,Backstops‘, ist der einzige Deal auf dem Tisch“, sagte auch der irische Premierminister Leo Varadkar.
Brexit-Cheerleader wie Ex-Außenminister Boris Johnson ignorieren solche Worte hartnäckig. Vielmehr meinte er am Wochenende im Sender BBC, man solle den Backstop komplett aus dem Vertrag streichen. Der vom Ehrgeiz getriebene Konservative hatte sich für das In- terview extra die blonden Haare schneiden und brav hinfrisieren lassen, was als deutlichstes Zeichen dafür interpretiert wurde, dass er nun noch stärker als sonst am Stuhl der Regierungschefin sägt. Johnson will May in der Downing Street beerben. Mays Gegner bei den Tories wetzen seit Wochen die Messer und warten nur auf den richtigen Moment, um ihrer Chefin den politischen Dolchstoß zu versetzen.