Am Funktionieren scheitern
Juli Zeh lässt im Roman „Neujahr“einen Vater an seine Grenzen kommen.
WIEN. Die Erfolgsautorin Juli Zeh geht davon aus, dass man Geschichten nicht darüber schreibt, „was gut funktioniert“, sondern nur über das, „was nicht klappt“. In ihrem jüngsten Roman „Neujahr“erzählt sie von Henning, dem es objektiv betrachtet nicht schlecht geht, dennoch leidet er unter Panikattacken und hat das Gefühl, etwas grundlegend falsch zu machen.
Während des Weihnachtsfamilienurlaubs auf Lanzarote setzt Henning seinen Neujahrsvorsatz um und begibt sich auf eine Radtour, die ihn in jeder Hinsicht an seine Grenzen führt. Er sinniert über seine Beziehung. Seine Frau Theresa und er führen ein Fifty-fifty-Familienleben. Sie verdient mehr als er, daher übernimmt er auch die Hausarbeit und verbringt mehr Zeit mit den Kindern, was sie auch erwartet. Wenn Theresa ihn auffordert, doch einmal etwas für sich allein zu machen, wehrt er ab und schlägt vor, lieber etwas zu viert zu unternehmen. All die Dinge, die ihm einmal Spaß gemacht haben, hat er schon fast vergessen. Das Leben wird von den Kindern bestimmt. Theresa sagt: „Es ist nur eine Phase“. Henning denkt: „Es ist nur eine Phrase.“
Juli Zeh zeichnet mit ihrem Protagonisten das männliche Pendant zur überforderten Frau und Mutter. Sie zeigt einen Männertypus im Zeitalter der Postemanzipation, der mit den in Beruf wie Familie zu erbringenden Hochleistungen nicht mithalten kann. Immer hat Henning ein schlechtes Gewissen. Er glaubt, wenn er öfter Rad fahren ginge, müsse er etwas zusätzliches für Theresa oder für die Familie tun, da er durch Radfahren ein Beziehungs-Schuldenkonto anhäufte.
„Mit Kindern ist Urlaub eine Episode, in der das Leben noch anstrengender ist als sonst“, denkt Henning auf seiner Tour de Force. Je mehr sich Zehs Protagonist aus „Neujahr“der Erschöpfung nähert, um so öfter wird er von Kindheitserinnerungen heimgesucht. Er strandet vor einem alten Haus, wo er schon einmal gewesen zu sein scheint. Es war ein Familienurlaub, der mit einer Katastrophe endete. Beim Versuch, seine kleinere Schwester und sich zu retten, wurde dem damals etwa Vierjährigen bewusst, „dass er keine Ahnung hat, wie es weitergehen soll. Dieses Nichtwissen ist das größte Ding, das ihm je begegnet ist, größer als die Berge, die Sonne und der Himmel, es ist ein schwarzes Nichts und so groß wie das Weltall selbst.“
Im zweiten Teil des spannenden Romans schildert Zeh die Ereignisse, die zu Hennings frühkindlichem Trauma geführt haben. „Neujahr“ist eine scharfe Analyse über Entwicklungen eines Menschen, die dazu führen, dass er an sich scheitert.