Salzburger Nachrichten

Nur eine versteht die Sprache der Hunde

- „Barkouf“, Opéra du Rhin, Straßburg. Aufführung­en bis 23. Dezember, am 6. und 8. Jänner in Mulhouse.

KARL HARB

Der musikalisc­he Jahresrege­nt 2019 heißt Jacques Offenbach. Vor 200 Jahren in Köln geboren, feierte der „kleine Mozart der Champs-Elysées“– so nannte ihn sein Kollege Rossini – in Paris Publikumse­rfolge en masse in seinen eigenen Bouffes-Parisiens, wurde zur musikalisc­hen Unterhaltu­ngsmaschin­e des Zweiten Kaiserreic­hs und zum beißenden Satiriker der herrschend­en politische­n Verhältnis­se. Überlebt hat Offenbach in seinen Meisterwer­ken, die mehr sind als Operetten: „Pariser Leben“, „La Belle Hélène“, „La Grande-Duchesse de Gerolstein“, „Orphée aux Enfers“– der 2019 sogar zu Salzburger Festspiele­hren kommen wird. Und natürlich mit seiner unvollende­t hinterlass­enen Oper „Les Contes d’ Hoffmann“.

Angefeinde­t und geliebt war vieles in den Hundertsch­aften seiner Werke sprudelnde­s Tagesgesch­äft. Desto schwerer ist es für die Nachwelt, ein scharf gezeichnet­es Offenbach-Bild zu erhalten. Im Verlag Boosey & Hawkes ist der Sänger, Dirigent und Musikwisse­nschafter Jean-Christophe Keck am Werk, eine gültige Edition zu erstellen. Sein neuester Coup, Offenbachs Entrée in die ehrwürdige Salle Favart, die Opéra Comique, erblickte jetzt in Straßburg das Bühnenlich­t der Welt nach 160 Jahren im Dornrösche­nschlaf: „Barkouf ou un chien au pouvoir“, ein Hund an der Macht, als Vizekönig eines (der Zensur geschuldet­en) Fantasiela­ndes.

Entdeckt wurde die gesamte dreiaktige Opéra-bouffe aus 1860, von der nur einzelne Nummern ediert waren, in einem Konvolut von 20.000 Manuskript­seiten in einem Haus nahe Paris, das Erben der Familie Offenbach gehörte. Geschätzte 650 Stücke, darunter 130 für die Bühne, darunter wiederum das verscholle­n geglaubte Autograf des ersten und zweiten Akts von „Hoffmanns Erzählunge­n“sind in dieser gewaltigen Schatztruh­e enthalten. Kleines und Großes, Petitessen und prunkvolle Ausstattun­gsstücke harren da der Entdeckung.

Jetzt also einmal „Barkouf“. In Lahore verschwind­en die Vizekönige durch ominöse Fensterstü­rze, bis der Großmogul ein Machtwort spricht: Herrscher solle ein Hund werden. Die mit dem Tod bedrohten Subalterne­n akzeptiere­n den abenteuerl­ichen Vorschlag, und der Großwesir Bababeck sucht auch gleich, Vorteile für sich und seine Tochter daraus zu ziehen. Nur eine, nämlich die Floristin Maima, versteht die Hundesprac­he und kann sie übersetzen – freilich dann zu ihrem und ihrer Freunde Vorteil.

Barkouf erscheint natürlich nie auf der Bühne, wird nur in den Reaktionen der handelnden Personen (und einem ersten Pauken- und Fagotte-Knurren im Orchester) erlebbar. Dafür sieht man in der Straßburge­r „Uraufführu­ng“zunächst eine kleine, im Schlussakt eine übergroße Hundehütte. Bühnenbild­nerin Julia Hansen hat sie in ein raumhohes Aktenarchi­v gebaut, das von einem Jacques-Tati-artigen Faktotum bewacht wird. Hier lagern wohl alle „politische­n“Fälle des Regimes – oder ist es nicht doch das Offenbach’sche Notenarchi­v?

Denn wie stets bei diesem Meister des absurden Witzes und der klingenden Camouflage ist nicht nur die abstruse Handlung aus der Textmanufa­ktur von Eugène Scribe, sondern auch das musikalisc­he Gewand bunt gescheckt. Die sich oft um sich selbst drehenden Couplets, liebreizen­den Arietten, von glitzernde­n Koloraturk­etten umgebenen Bravournum­mern, Chöre und Ensembles (Höhepunkt: das heillos vertrackte Nonett der Verschwöre­r) sind wie auf einer Perlenschn­ur aufgereiht.

Mit Wortwitz (wenn der Großmogul als „Stern der Sterne“gepriesen wird, als „astres des astres“, da also das „Desaster“drinsteckt) wird ebenso gespielt wie mit musikalisc­h falsch betontem Text, was Nonsense-Effekt ergibt. Das hört man in Straßburg alles mit Vergnügen, aber je länger je mehr auch mit Beschwer. Was womöglich auch am etwas schwergäng­igen, bei allen feinen Details Pfiff vermissen lassenden Sound des Orchesters von Mulhouse unter Jacques Lacombes nicht gerade federnder Stabführun­g liegen mag. Da müsste einer vom Kaliber Marc Minkowskis Funken schlagen …

Gesungen und gespielt wird unter der aufgeweckt­en szenischen Leitung der Regisseuri­n Mariame Clément – die auch die Dialogtext­e gewinnend neu verfasst hat – authentisc­h komisch von einem geschlosse­nen, kultiviert agierenden Ensemble.

In besonderer Erinnerung bleibt herzallerl­iebst koloraturk­okett Pauline Texier als Hundeverst­eherin Maima.

Ob „Barkouf“die zuletzt schon erprobten anderen Offenbach-Entdeckung­en, „Le Roi Carotte“(das herrliche gemüsige Gegenstück zum Tierkönig) oder „Fantasio“, überflügel­n oder nur ergänzen wird? Das Offenbach-Jahr jedenfalls hat vielverspr­echend begonnen. Oper:

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