„Ich habe der Mutter beim Weinen geholfen“
Karolina Weiss wurde 1893 in Stuhlfelden geboren und führte ab 14 Aufzeichnungen über ihr Leben. Sie sind nun als Buch erschienen.
Das Leben war hart und wurde von den Menschen meist gottergeben hingenommen. Die Rede ist vom Beginn des 20. Jahrhunderts im Pinzgauer Dorf Stuhlfelden. Dort wuchs im Schloss Lichtenau Karolina Weiss auf. Ihr Vater war als Berufsjäger angestellt. Die Sommer verbrachte Karolina meist auf einer Alm im Stubachtal. Mit 14 begann sie, ein Tagebuch zu führen, und überarbeitete es später. Der Ecowin Verlag hat die Aufzeichnungen unter dem Titel „Kinderherz“veröffentlicht.
Die Stuhlfeldner Bürgermeisterin Sonja Ottenbacher hat das Buch schon gelesen. „Sie klagt nicht. Sie erzählt, wie es war. Es ist faszinierend, welche Worte sie gefunden hat.“So schreibt Weiss: „Ich helfe meiner Mutter immer weinen, wenn es was zu weinen gibt, und es gibt sehr oft etwas zum Weinen.“Auf der gleichen Seite berichtet die 14-Jährige: „Ein Bruder von mir ist schon gestorben. Er war erst drei Monate alt und liegt auf dem Friedhof in der rechten Ecke. Mein Bruder Oskar ist ein Jahr jünger als ich und fürchtet die Schweine mehr als die Mutter. Aber ich helfe ihm immer, wenn er sich vor den Schweinen fürchtet.“
Nach acht Jahren Volksschule arbeitete Weiss unter anderem als Köchin, Schneiderin und Vertreterin für Maggi. Im Ersten Weltkrieg war sie Gouvernante bei einer wohlhabenden Münch- ner Familie. Von 1921 bis 1939 lebte sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Holland. Dort lernte sie Thomas Bernhards Mutter Herta kennen und beherbergte sie vor und nach der Geburt ihres Sohnes am 9. Februar 1931.
1939, kurz vor Kriegsausbruch, zog die Familie Weiss nach Niederösterreich. Die Zeiten waren schlecht. Karolina überarbeitet ihr Tagebuch und schreibt die Texte einer Lina zu. In der Einleitung sagt sie über Lina: „Sie trug in ihrem Herzen die Bergheimat mit in die Welt hinaus und ist in heimlichem Sehnen nie davon losgekommen.“Das beschreibt wohl auch Karolinas eigenes Gefühl und ist der Grund für das Schreiben.
Karolinas Nachfahren übergaben die Aufzeichnungen Günter Müller von der „Doku Lebensgeschichten“am Institut für Wirtschaftsund Sozialgeschichte der Universität Wien. Müller sagt, die Autorin beeindrucke mit beachtlichen literarischen Fertigkeiten, obwohl sie wohl Autodidaktin gewesen sei.
Heute, Dienstag, am Todestag von Karolina Weiss, wird erstmals in Stuhlfelden aus dem Buch gelesen. Beginn im Schloss Lichtenau ist um 18.30 Uhr.
„Sie klagt nicht. Sie erzählt einfach, wie es war.“