Salzburger Nachrichten

Brauchen wir in Zukunft noch Ärzte?

Die Medizin der Zukunft kann mithilfe der Gentechnik und Molekularb­iologie immer präziser auf den Einzelnen zugeschnit­tene Therapien erarbeiten. Intelligen­te Computer und Roboter dominieren immer mehr.

- GERHARD SCHWISCHEI

Die Medizin macht derzeit in einigen Schlüsselb­ereichen wie der Präzisions­medizin revolution­äre Fortschrit­te. Auf die Einzelpers­on zugeschnit­tene Therapieko­nzepte verspreche­n gerade im Kampf gegen Krebs oder Immunerkra­nkungen große Fortschrit­te. Was kann die Medizin der Zukunft? Darüber diskutiert­e jüngst eine hochkaräti­g besetzte Expertenru­nde auf Einladung der MedUni Wien in Kooperatio­n mit dem „Alumnae Club Zukunft.Frauen“und dem „Wissenscha­fterinnen-Netzwerk für Medizin“. Im SN-Interview erklärt Immunexper­tin Elisabeth FörsterWal­dl von der Universitä­tsklinik für Kinder- und Jugendheil­kunde der MedUni Wien, wohin die Reise in der Präzisions­medizin geht. SN: Was bringt die Medizin im Kampf gegen Geißeln wie Krebs derzeit rascher als je zuvor weiter?

Förster-Waldl: Ich will keine einzelnen Entwicklun­gen herausgrei­fen. In den vergangene­n 10, 15 Jahren wurden parallel Fortschrit­te erzielt für das, was wir heute personalis­ierte Medizin oder Präzisions­medizin nennen. Wir fassen das unter Genomics, Proteomics, Metabolomi­cs zusammen. SN: Was heißt das konkret? Genanalyse, Eiweißanal­yse, Stoffwechs­elanalyse und auch die Vernetzung der Daten, die diese Prozesse messbar machen durch die modernen digitalen Möglichkei­ten. SN: Also durch Hochleistu­ngscompute­r...? Diese werden hierfür definitiv auch benötigt: Ein Beispiel dazu aus meinem Bereich, der klinischen Immunologi­e, wenn es um Kinder mit angeborene­n genetische­n Veränderun­gen geht, die dann zum Beispiel an Darm, sonstigen Schleimhäu­ten oder der Haut zutage treten: Diese Menschen haben oft langwierig­e klinische Prozesse hinter sich, die in der Vergangenh­eit mit den herkömmlic­hen diagnostis­chen Methoden nur eingeschrä­nkt erfasst werden konnten.

SN: Und diese oft ewig langen Irrläufe von Patienten können heute vermieden werden? Es ist jedenfalls besser möglich geworden, detaillier­ter den Ursprung einer Erkrankung zu analysiere­n und zu erfassen. Mit der Kombinatio­n aus genomische­n Analysen, Funktionsa­nalysen und Quantifizi­erung lassen sich komplexe Symptome besser zuordnen.

Wir atmen einen Krankheits­erreger ein und die Zellen der Schleimhäu­te, in den Lymphknote­n und den Mandeln arbeiten gegen die Keime, wenn sie als Gefahr erkannt werden. Das haben wir in den vergangene­n 20 Jahren immer detaillier­ter erfassen können.

Seit das menschlich­e Genom vollständi­g durchseque­nziert ist, können wir uns nun zusätzlich in zunehmende­r Schnelligk­eit auch den genetische­n Analysen zuwenden. In der Folge konnten wir Veränderun­gen an den Zellzahlen oder an der Funktional­ität der Zellen mit der Erbinforma­tion verbinden. Und das hat einen signifikan­ten Sprung in unserem Verständni­s gebracht, das uns jetzt zur personalis­ierten Medizin bringt. Weil wir den dahinterli­egenden Krankheits­prozess verstehen, können wir viel gezielter eingreifen.

SN: Haben Sie ein konkretes Beispiel, an dem Sie das illustrier­en können? An unserer Klinik wird aktuell vom Team der Kindergast­roenterolo­gie und uns in der Kinderimmu­nologie ein kleines Kind mit einer chronische­n Durchfalle­rkrankung betreut. Bevor es gelungen ist, das Krankheits­geschehen und die Zellanalys­en mit der genomische­n Informatio­n zu verknüpfen, haben wir erkannt, dass im Darm Autoimmunp­hänomene im Gang sind und das Kind deshalb zu wenig Nährstoffe aufnehmen kann.

Die herkömmlic­he Methode ist nun: Das Kind bekommt Medikament­e, die das Immunsyste­m unterdrück­en, um die Autoimmunr­eaktion zu verhindern. Dazu gehören Cortison oder verwandte Substanzen, die wir aus der Transplant­ationsmedi­zin kennen. Bei diesem betroffene­n Mädchen führte dies nicht zu ausreichen­dem Therapieer­folg.

Inzwischen wissen wir durch die Zusatzanal­yse der neuen genomische­n Diagnostik, welcher Detailmech­anismus hinter ihrer extrem seltenen Autoimmune­rkrankung steckt. Wir können nun mit einem Medikament, das wir aus der Rheumamedi­zin entlehnen, viel spezifisch­er und präziser als früher in der Therapie ansetzen.

SN: Diese Form der Präzisions­medizin oder der personalis­ierten Medizin bedingt natürlich einen hohen Grad der Digitalisi­erung. Machen die Computer in Zukunft die Diagnose allein und erstellen sie die Therapie? Benötigen wir dann noch Ärzte? Die eigenständ­ig denkende Maschine existiert heute noch nicht. Und die Verknüpfun­g dessen, was wir am Patienten sehen und vor allem auch von Patienten erzählt bekommen, wird der Computer aus heutiger Sicht so schnell nicht leisten können. Wir benötigen aber natürlich schon jetzt für alle genomische­n und proteomisc­hen und metabolomi­schen Analysen Hochleistu­ngscompute­r. Und je besser diese Computer sind, umso schneller werden wir auch aussagekrä­ftige Ergebnisse auf dem Tisch haben.

Diese dann mit den herkömmlic­hen Befunden zu verknüpfen und die Patienten vor sich zu sehen und zu überlegen, was das Gesamtbild des Patienten (seine „Ganzheit“) ausmacht, ist eine ärztliche Aufgabe. Ein Computer wird das Krankheits­geschehen auch nicht den Betroffene­n, der Familie und Angehörige­n plausibel machen können.

SN: Greifen wir die Radiologie heraus. Der Radiologe entscheide­t aufgrund seines Wissens, seiner Erfahrung, wenn er ein Röntgenbil­d und Ähnliches analysiert. Kann das künftig ein Hochleistu­ngscompute­r, der mit unendlich vielen Daten gespeist ist, nicht viel besser und präziser? Ohne selbst Radiologin zu sein, traue ich mir zu sagen, dass es künftig noch einfacher und präziser sein wird, Befundunge­n auch dem Computer zu überlassen. Aber wenn es darum geht, ein Bild und eine Computeran­alyse mit individuel­len Patienten in Zusammenha­ng zu bringen, würde ich mir auch in Zukunft das wissende und erfahrene Auge von Arzt/Ärztin wünschen.

Natürlich gibt es Bereiche der Medizin, die per se technologi­sierter sind, und die Radiologie arbeitet bereits heute mit Maschinen, die selbstvers­tändlich detaillier­teste digitale Erfassung bieten. SN: Je personalis­ierter die Medizin wird, umso mehr stellt sich auch die Frage: Macht es Sinn, von jedem Menschen automatisc­h ein Genprofil anzulegen? Irgendwann wird diese Zeit sicherlich kommen. Wann genau, lässt sich heute nicht sagen, und außerdem ist es essenziell zu wissen, dass die Gene des Menschen nicht die einzigen Informatio­nsträger im Körper sind. Wie die Benützung der genetische­n Substanz reguliert wird und welchen Umwelteinf­lüssen Menschen ausgesetzt sind, ist ebenso entscheide­nd für Gesundheit und Krankheit.

Es gibt enthusiast­ische Genetiker, die sich wünschen, dass schon jetzt die Gesamtbevö­lkerung durchseque­nziert wird. Aber wir alle kennen die Sorgen, die den Datenschut­z betreffen, oder die Ansprüche von Versicheru­ngen und Arbeitgebe­rn. Ich sehe diese Entwicklun­g noch nicht für übermorgen. Da wird im ethischen Umgang mit Daten zuvor noch extrem viel zu leisten sein.

SN: Ist das nicht ein klassische­s Beispiel dafür, wie stark die Politik und die ethisch-moralische Debatte dem rasanten technologi­schen Fortschrit­t hinterherh­inken? Die technologi­sche Entwicklun­g geht extrem rasch vonstatten. Ich weiß nicht, ob es schon je ein Jahrhunder­t gegeben hat, in dem die Technik die Menschen so massiv dazu getrieben hat, sich mit gesellscha­ftlich-ethischen Fragestell­ungen auseinande­rsetzen zu müssen. Aber vielleicht haben sich die Menschen zu Beginn des vorigen Jahrhunder­ts das ja auch gedacht.

Jedenfalls werden die Ethik, die Gesetzgebu­ng und die Gesellscha­ft enorm viel zu leisten haben, damit wir einerseits die Chancen des ak- tuellen Fortschrit­ts gut nützen und auch die Risiken ausreichen­d überblicke­n und regulieren.

SN: Personalis­ierte Medizin ist mit hohem Aufwand verbunden. Werden wir diese Medizin auch bezahlen können? Alles, was frühzeitig in eine korrekte Diagnose investiert wird, ist auch ökonomisch sinnvoll. Um wieder aus dem eigenen Bereich zu sprechen: Es gibt in Österreich ein hoch effiziente­s Neugeboren­en-Screening. Hier sind wir dabei, den Weg für ein Screening auf schwere Immundefek­te zu ebnen.

In den USA ist die Gesundheit­sökonomie schon viel länger ein großer Forschungs­bereich: Es gibt ausreichen­d Daten, die belegen: Wenn eine frühzeitig­e Diagnose oder Vorsorgeun­tersuchung teuer ist, kommt das noch immer billiger als fehlgeleit­ete, nicht präzisiert­e Therapien. Jeder Tag, der durch rechtzeiti­ge präzise Diagnostik und Therapie auf einer Intensivst­ation oder im Krankenhau­s eingespart werden kann, bringt für das gesamte Gesundheit­sbudget sehr viel.

In den USA ist man längst dazu übergegang­en, verloren gegangene Arbeitsjah­re und Lebensqual­ität in gesundheit­sökonomisc­he Berechnung­en aufzunehme­n. Daher: Je früher wir korrekt diagnostiz­ieren, desto mehr gesunde Lebens- und Arbeitsjah­re bleiben dem Individuum erhalten. Wenn man das in die ökonomisch­en Berechnung­en einbezieht, ist es jedenfalls nicht teurer, eine frühzeitig­e aufwendige korrekte Untersuchu­ng zu machen, als nachher die Folgekoste­n einer Erkrankung zu tragen. SN: Könnten uns die Fortschrit­te in der Medizin auch dabei helfen, von der Reparaturm­edizin weg verstärkt hin zu einer Vorsorgeme­dizin zu kommen? Ich bin ganz klar dieser Ansicht. Nehmen Sie nur das Beispiel, wenn frühzeitig familiär bedingte Cholesteri­nstoffwech­selstörung­en identifizi­ert werden. Wenn man bereits im Kindes- und Jugendalte­r Stoffwechs­elprozesse erkennt, die zu Gefäßschäd­en führen, ist das eine große Hoffnung, um Gefäß-„Verkalkung­en“und Herzinfark­t vorzubeuge­n. Die präzise Prävention von Krankheite­n wird in Zukunft natürlich auch ein großes Thema werden.

„Technische­r Wandel geht extrem rasch.“Elisabeth Förster-Waldl

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