Theresa May auf Bittgang
Theresa May kam zum EU-Gipfel nach Brüssel, um Unterstützung gegen ihre Gegner zu Hause zu erlangen. Im Vergleich zur britischen Innenpolitik ist das fast wie Erholung für sie.
Für die britische Premierministerin Theresa May scheint es derzeit keine wirklich guten Tage zu geben – nur weniger schlechte. Und Donnerstag war definitiv ein weniger schlechter. Denn: Die anderen 27 Staats- und Regierungschefs der EU wollen May helfen. Der EU-Gipfel in Brüssel verlief daher für sie in wesentlich angenehmerer Atmosphäre, als sie dies von Sitzungen des Unterhauses oder sogar ihres eigenen Kabinetts gewöhnt ist.
Die EU-27 sind schon aus eigenem wirtschaftlichen Interesse daran interessiert, dass es zu keinem chaotischen und ungeregelten Austritt Großbritanniens kommt. Dieses Szenario droht, wenn May im Jänner mit dem Austrittsvertrag in der Abstimmung im Unterhaus scheitert. Nur: Wie der von Freund und Feind in Großbritannien bedrängten Kollegin helfen, ohne das Austrittsabkommen auch nur um einen Beistrich zu ändern?
Darüber wurde bis weit in die Nacht hinein gerungen, nachdem davor schon schwierige Kapitel wie die Verlängerung der RusslandSanktionen und der neue aufgeflammte Konflikt zwischen Moskau und Kiew behandelt worden waren.
„Wir können uns mit einer Erklärung aufeinander zubewegen“, so lautete die Hoffnung von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). „Da gibt es schon Spielraum, den wir ausschöpfen sollten.“Man müsse das eine oder andere noch „ein Stück weit besser erklären, definieren, ins Detail gehen“.
Gemeint ist damit eine Erklärung zum sogenannten Backstop. Diese Notfalllösung soll Grenzkontrollen auf der irischen Insel zwischen dem britischen Norden und der zur EU gehörenden Republik Irland verhindern. Sie ist im Austrittsvertrag verankert, um den Frieden in dem ehemaligen Bürgerkriegsgebiet nicht zu gefährden. Großbritannien soll demnach in einer Zollunion mit der EU bleiben, falls bis Ende 2020 keine bessere Lösung gefunden ist.
Genau das aber befeuert die Wut der Brexit-Hardliner. Sie sehen Großbritannien weiterhin unter der Knechtschaft der EU. Denn als Mitglied einer Zollunion kann das Königreich nur sehr eingeschränkt eine eigene Handelspolitik betreiben und Verträge mit Drittstaaten schließen.
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel bekräftigte, dass an der Notfallklausel nicht gerüttelt werde. Aber: „Man kann natürlich darüber reden, ob es noch zusätzliche Versicherungen geben soll.“Wie könnten diese aussehen? Laut Diplomaten könnte ausdrücklich bekräftigt werden, dass der Backstop als zeitlich begrenzte Regelung konzipiert ist. Wahrscheinlich ist, dass eine solche Erklärung erst für Jänner in Aussicht gestellt wird.
Der Hintergrund: Je länger ein Thema auf der Tagesordnung steht, desto mehr wird es in der hitzigen britischen Innenpolitik zerstört und zerredet. „Wenn wir jetzt schon unser ganzes Pulver verschießen, würden die Brexit-Hardliner in ein paar Tagen neue Forderungen stellen“, sagte ein Diplomat. Eine Kollegin verwies aber darauf, dass Länder wie Frankreich, Belgien und Irland ein solches zweistufiges Vorgehen kritisch sehen. „Damit könnte der Eindruck erweckt werden, dass wir die Tür für eine spätere Änderung des Scheidungsvertrags öffnen“, sagte sie.
May selbst wusste bereits beim Eintreffen in Brüssel, dass sie zwar freundliche Worte und Bemühen erwarten konnte, aber keinen Durchbruch. Sie forderte dennoch „rechtliche und politische Zusicherungen“. Um Zeit zu gewinnen, wurde auch die Möglichkeit eines weiteren Sondergipfels im Jänner sondiert. Und zwar idealerweise vor der Abstimmung im Unterhaus. Diese soll laut jüngsten Meldungen zwischen dem 7. und 18.Jänner stattfinden. Parallel dazu laufen die Vorbereitungen für einen ungeregelten Brexit weiter. Donald Tusk, der Ratsvorsitzende: „Nachdem uns die Zeit davonläuft, werden wir auch den Stand der Vorbereitungen für ein NoDeal-Szenario besprechen.“
„Da gibt es noch Spielraum, den wir ausschöpfen sollten.“Sebastian Kurz, Bundeskanzler