Salzburger Nachrichten

Bruce unser, erzähl von dir und der Welt

236 Mal erzählte Bruce Springstee­n am Broadway aus seinem Leben und dem Leben Amerikas. Heute, Samstag, ist damit Schluss.

- „Springstee­n on Broadway“ab 16. Dezember auf Netflix. Schon jetzt als Vierfach-LP und Doppel-CD (Sony).

SALZBURG. Woher bei Bruce Springstee­n, wenn er singt, die Töne kommen, lässt sich nicht so genau sagen. Der näselnde, immer rauer werdende Klang scheint aus einer fernen Zeit zu uns zu dringen, aus einem Land, das es gar nicht gibt, aus dem „Land of Hopes and Dreams“. Wenn Springstee­n nur als Erzähler auftaucht, klingt er ähnlich. Durch seine Stimme breitet sich Vertrauthe­it aus, und es wächst Nähe. Zum letzten Mal wird Springstee­n auf diese Weise am Broadway zu erleben sein.

Sonst füllt er seit den frühen 1980er-Jahren Stadien. Seit Oktober 2017 füllt er das Walter Kerr Theater. 939 Menschen passen da hinein. Ursprüngli­ch sollte die Show nur ein paar Dutzend Mal laufen. Es wurden 236 Abende daraus, an denen Springstee­n in kleinem Rahmen mit Gitarre und Klavier auftrat. Wer nicht dabei war, für den gibt es nun den Livemitsch­nitt „Springstee­n on Broadway“, auf Netflix ist die Show ab Sonntag zu sehen.

Es ist ein Abend, der funktionie­rt wie seine Songs. Persönlich­e Erlebnisse werden mit dem großen Blick auf sein Land verknüpft.

Die Dramaturgi­e orientiert sich an seiner Autobiogra­fie, die vor zwei Jahren erschienen ist. Zunächst geht es tief ins Private und nach New Jersey und den Traum vom Aufbruch: Dazu klingen „My Hometown“und „Thunder Road“. Für zwei Songs – „Tougher Than the Rest“und „Brilliant Disguise“– kommt auch seine Ehefrau Patti Scialfa auf die Bühne.

Sonst bleibt der Boss allein mit Ernsthafti­gkeit, Witz und einem guten Maß an Selbstiron­ie. Er sei freilich „Mr. Born to run“, und seine Heimat New Jersey sei eine Todesfalle – „und doch lebe ich heute nur zehn Minuten entfernt von meinem Geburtsort“. Die Rockmusik, der Springstee­n alles zu verdanken hat, bringt einen eben nicht nur auf dem Highway weit hinaus, sondern auch nach Hause.

Schließlic­h bewegt er sich in seinen Erzählmono­logen vom Privaten ins Öffentlich­e. Da geht es etwa um Vietnam und er spuckt seinen so missversta­ndenen Song „Born in the U.S.A.“als eine Anklage hin, die freilich auch auf die gegenwärti­ge, ihn anwidernde politische Situation unter Donald Trump zielt.

Aber Springstee­n wäre nicht der Boss der Rockmusik, die ja stets einen goldenen Schimmer über desolatem Land sieht, wenn er darüber in Trübsinn verfiele und nicht immer auch auf das Bessere hoffte: „Ich hoffe, wir gehen gerade lediglich durch ein schrecklic­hes Kapitel in der Schlacht um die Seele unserer Nation.“

Kein anderer dokumentie­rt die Befindlich­keit seiner Heimat in den vergangene­n Jahrzehnte­n so akkurat wie Springstee­n. Erzählt wird von ewigen Verlierern, von gefallenen Helden, von der Rettung durch den Glauben an die Liebe und den Rock ’n’ Roll und von der Hoffnung, dass es irgendwo einen Highway gibt, der hinausführ­t aus den elenden Hinterhöfe­n des amerikanis­chen Traums. „… but when they said ,sit down‘, I stood up“, singt er in „Growin’ Up“. Das ist die Grundhaltu­ng: Hinschauen, Mund aufmachen und große Songs schreiben.

Zweieinhal­b Stunden erzählt Springstee­n also vom Aufwachsen, vom Träumen, von Freunden und Verlust. Ergreifend ist das. Poetisch auch. Man kommt einem Mann sehr nahe, der in den vergangene­n drei, vier Jahrzehnte­n zu einem der großen Erzähler seines Landes geworden ist.

Wegen der Genauigkei­t seiner Beobachtun­gen und wegen seines wachen Blicks auf die Untiefen der Gesellscha­ft steht er längst auf einer Stufe mit John Steinbeck oder Philip Roth. Springstee­n hat seine Romane halt mit der Gitarre geschriebe­n. Album und Film:

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BILD: SN/EPA Nachdenkli­ch, aber mit Witz: Bruce Springstee­n am Broadway.

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