Bruce unser, erzähl von dir und der Welt
236 Mal erzählte Bruce Springsteen am Broadway aus seinem Leben und dem Leben Amerikas. Heute, Samstag, ist damit Schluss.
SALZBURG. Woher bei Bruce Springsteen, wenn er singt, die Töne kommen, lässt sich nicht so genau sagen. Der näselnde, immer rauer werdende Klang scheint aus einer fernen Zeit zu uns zu dringen, aus einem Land, das es gar nicht gibt, aus dem „Land of Hopes and Dreams“. Wenn Springsteen nur als Erzähler auftaucht, klingt er ähnlich. Durch seine Stimme breitet sich Vertrautheit aus, und es wächst Nähe. Zum letzten Mal wird Springsteen auf diese Weise am Broadway zu erleben sein.
Sonst füllt er seit den frühen 1980er-Jahren Stadien. Seit Oktober 2017 füllt er das Walter Kerr Theater. 939 Menschen passen da hinein. Ursprünglich sollte die Show nur ein paar Dutzend Mal laufen. Es wurden 236 Abende daraus, an denen Springsteen in kleinem Rahmen mit Gitarre und Klavier auftrat. Wer nicht dabei war, für den gibt es nun den Livemitschnitt „Springsteen on Broadway“, auf Netflix ist die Show ab Sonntag zu sehen.
Es ist ein Abend, der funktioniert wie seine Songs. Persönliche Erlebnisse werden mit dem großen Blick auf sein Land verknüpft.
Die Dramaturgie orientiert sich an seiner Autobiografie, die vor zwei Jahren erschienen ist. Zunächst geht es tief ins Private und nach New Jersey und den Traum vom Aufbruch: Dazu klingen „My Hometown“und „Thunder Road“. Für zwei Songs – „Tougher Than the Rest“und „Brilliant Disguise“– kommt auch seine Ehefrau Patti Scialfa auf die Bühne.
Sonst bleibt der Boss allein mit Ernsthaftigkeit, Witz und einem guten Maß an Selbstironie. Er sei freilich „Mr. Born to run“, und seine Heimat New Jersey sei eine Todesfalle – „und doch lebe ich heute nur zehn Minuten entfernt von meinem Geburtsort“. Die Rockmusik, der Springsteen alles zu verdanken hat, bringt einen eben nicht nur auf dem Highway weit hinaus, sondern auch nach Hause.
Schließlich bewegt er sich in seinen Erzählmonologen vom Privaten ins Öffentliche. Da geht es etwa um Vietnam und er spuckt seinen so missverstandenen Song „Born in the U.S.A.“als eine Anklage hin, die freilich auch auf die gegenwärtige, ihn anwidernde politische Situation unter Donald Trump zielt.
Aber Springsteen wäre nicht der Boss der Rockmusik, die ja stets einen goldenen Schimmer über desolatem Land sieht, wenn er darüber in Trübsinn verfiele und nicht immer auch auf das Bessere hoffte: „Ich hoffe, wir gehen gerade lediglich durch ein schreckliches Kapitel in der Schlacht um die Seele unserer Nation.“
Kein anderer dokumentiert die Befindlichkeit seiner Heimat in den vergangenen Jahrzehnten so akkurat wie Springsteen. Erzählt wird von ewigen Verlierern, von gefallenen Helden, von der Rettung durch den Glauben an die Liebe und den Rock ’n’ Roll und von der Hoffnung, dass es irgendwo einen Highway gibt, der hinausführt aus den elenden Hinterhöfen des amerikanischen Traums. „… but when they said ,sit down‘, I stood up“, singt er in „Growin’ Up“. Das ist die Grundhaltung: Hinschauen, Mund aufmachen und große Songs schreiben.
Zweieinhalb Stunden erzählt Springsteen also vom Aufwachsen, vom Träumen, von Freunden und Verlust. Ergreifend ist das. Poetisch auch. Man kommt einem Mann sehr nahe, der in den vergangenen drei, vier Jahrzehnten zu einem der großen Erzähler seines Landes geworden ist.
Wegen der Genauigkeit seiner Beobachtungen und wegen seines wachen Blicks auf die Untiefen der Gesellschaft steht er längst auf einer Stufe mit John Steinbeck oder Philip Roth. Springsteen hat seine Romane halt mit der Gitarre geschrieben. Album und Film: