„Doppelte Alterung“schlägt zu
Derzeit werden 45 Prozent der Pflegebedürftigen durch Angehörige gepflegt. Das wird sich in Zukunft nicht mehr ausgehen. Welchen Beitrag kann der Ausbau der mobilen Pflege leisten?
Wie kann das Pflegesystem die demografischen Herausforderungen bewältigen und wie kann die sich abzeichnende Kostenexplosion abgefedert werden?
Derzeit werden 16 Prozent aller 455.000 Pflegegeldbezieher in Österreich in Pflegeheimen betreut, 84 Prozent zu Hause. Den größten Anteil bewältigen dabei Familienangehörige, sie kümmern sich um 45 Prozent der Pflegebedürftigen. 32 Prozent werden von mobilen Pflegediensten unterstützt. Zwei Prozent sind in teilstationären Einrichtungen, etwa Tageszentren. Die 24Stunden-Betreuung wird in der öffentlichen Wahrnehmung quantitativ überschätzt: Sie betrifft nur fünf Prozent der Pflegegeldbezieher.
„Die Angehörigenpflege wird gehörig unter Druck geraten“, erklärte Matthias Firgo vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo am Montag bei einer Pressekonferenz unter Verweis auf die „doppelte Alterung“der Bevölkerung. Die Zahl der alten Menschen in Österreich wird sich in den kommenden Jahrzehnten nämlich nicht nur absolut, sondern auch relativ – also im Verhältnis zu den jüngeren Menschen – stark erhöhen. Die relativ jüngeren Menschen im Familienverband sind aber die, die derzeit die Last bei der Betreuung ihrer pflegebedürftigen Angehörigen tragen.
Doch die „intergenerationelle Unterstützungsrate“verschiebt sich massiv. Kommen auf 100 Personen im Alter von 50 bis 64 derzeit zwölf Personen im Alter von 85 und älter, werden es 2030 18 Personen und im Jahr 2050 33 Personen sein. Die Zahl der über 80-Jährigen wird laut der Bevölkerungsprognose der Statistik Austria von 436.000 im Jahr 2017 auf 636.000 im Jahr 2030 und auf 1.084.000 Personen im Jahr 2050 steigen, während die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter ab 2022 zurückgehen wird.
Ulrike Famira-Mühlberger vom Wifo betont, dass Österreich schon aufgrund der Demografie mit hohen Kostensteigerungen im Pflegebereich konfrontiert sei. Bleibt der oben dargestellte Versorgungsmix im Gesundheitssystem annähernd gleich, steigen die Kosten bis 2030 um 81 Prozent auf 3,78 Mrd. und bis 2050 – dann ist auch die Generation der Babyboomer großteils 85 und älter – um 332 Prozent. Laut FamiraMühlberger braucht es eine effiziente Neugestaltung des Pflegesystems, um zu verhindern, dass die Qualität der Leistungen abnimmt oder die Kosten zu stark steigen.
In einer vom Hilfswerk in Auftrag gegebenen Studie erhob das Wifo nun, wie sich Veränderungen im Versorgungsmix auf die künftige Kostenentwicklung auswirken. Ergebnis: Würde der Anteil der stationär betreuten Personen um zehn Prozent erhöht, stiegen die Nettoausgaben auf 4,035 Mrd. im Jahr 2030 an. Beim Ausbau der mobilen Dienste um zehn Prozent betragen dagegen die Nettoausgaben im Jahr 2030 nur 3,15 Mrd. Laut FamiraMühlberger wird zwar schon aufgrund der demografischen Entwicklung der Ausbau der stationären Pflege weiter nötig sein – „aber mit dem Ausbau der mobilen Pflege kann man den Kostenpfad dämpfen“.
Nur durch Forcierung der mobilen Dienste ließe sich der Kostenanstieg abfedern und der Personalbedarf im Rahmen halten, hebt Hilfswerk-Präsident Othmar Karas hervor – und man sei zudem „näher bei den Bedürfnissen der Menschen“.