Kein Ausgang in der Nacht
Die Regierung plant ein nächtliches Ausgehverbot für Asylbewerber. Geht das?
WIEN. „Die Nachtruhe dauert von 22.00 bis 6.00 Uhr. Während dieser Zeit haben sich die Patienten am Zimmer aufzuhalten. Die Eingänge sind versperrt und alarmgesichert.“– Aus der Hausordnung einer Flüchtlingsunterkunft, deren Insassen nach dem Willen der Bundesregierung eine nächtliche Ausgangssperre aufgebrummt bekommen sollen? Nein. Aus der Hausordnung des Moorheilbades Harbach, Gesundheits- & Rehabilitationszentrum im Waldviertel.
Ähnliches ist in der Hausordnung der Gesundheitseinrichtung Bad Hofgastein zu lesen: „Das Haus ist von 6.00 Uhr morgens bis zur Haustorsperre um 23.00 Uhr geöffnet. Das Fernbleiben über Nacht ist nicht gestattet“, heißt es hier.
Und ein Leser berichtet den SN, dass auch am Jakobsweg in Spanien die Pilgerherbergen um 22 Uhr schließen und erst um sechs Uhr morgens wieder öffnen.
Gleiches hat nun die Bundesregierung für die Unterkünfte von Asylbewerbern vor. Ein „absolutes Ausgangsverbot oder ein Freiheitsentzug ist rechtlich nicht möglich“, räumt das Bundeskanzleramt auf SN-Anfrage ein. Aber: „Was sehr wohl möglich ist und nun angegangen wird, sind schärfere Regeln bei der Hausordnung. Zum Beispiel beim Vollzug des Jugendschutzes für Minderjährige, Verdichtung der Kontrollen im Asylquartier oder Konkretisierung der Nachtruheund Ausgehzeiten.“
Geht das so einfach? Können erwachsene Menschen dazu verpflichtet werden, zu einer bestimmten Uhrzeit zu Hause im Quartier zu sein? „Nein“, sagt Georg Bürstmayr, Anwalt und Spezialist für Fremden- und Asylrecht. „Eine Ausgangssperre mit Gewalt oder mit der Androhung von Gewalt durchzusetzen wäre Freiheitsentzug – das ist grundrechtlich nicht möglich“, sagt er den SN.
Aber: „Eine Hausordnung, die eine Anwesenheitsverpflichtung in den Nachtstunden vorsieht, ist grundsätzlich nicht rechtswidrig.“Die Frage sei bloß, wie das durchgesetzt werden solle, gibt der Anwalt zu bedenken. Wenn Nachtschwärmern, die sich nicht an die Hausordnung halten, als Sanktion der Hinauswurf aus der Unterkunft angedroht werde, „dann kollidiert das mit der Aufnahmerichtlinie der EU“, sagt Bürstmayr.
Besagte Aufnahmerichtlinie schreibt fest, dass sich „Antragsteller im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedsstaats oder in einem ihnen von diesem Mitgliedsstaat zugewiesenen Gebiet frei bewegen“dürfen. Weiters dürfen die Staaten „einen Beschluss über den Aufenthaltsort des Antragstellers fassen“. Sprich: Eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern ist rechtlich möglich.
Gleichzeitig sind die Staaten rechtlich dazu verpflichtet, die Grundbedürfnisse der Asylbewerber abzudecken. Ob diese Verpflichtung vereinbar ist mit der Androhung der Regierung, Asylbewerber bei Verletzung der Hausordnung aus dem Quartier zu werfen, dürfte die Gerichte bis zum Europäischen Gerichtshof beschäftigen.
Die von der FPÖ begonnene und von der Regierungsspitze übernommene Diskussion über ein nächtliches Ausgehverbot für Asylbewerber ist nur ein Teil eines größeren Vorhabens, das Innenminister Herbert Kickl realisieren will. Wie der Minister vor einiger Zeit ankündigte, solle die Betreuung, Unterbringung und Beratung von Asylbewerbern künftig nicht mehr von NGOs wie der Caritas erfolgen und auch nicht von professionellen Firmen. Vielmehr sollen diese Dienstleistungen verstaatlicht und einer „Bundesbetreuungsagentur“übertragen werden. Diese kann dann auch eine für ganz Österreich geltende Hausordnung für Asylunterkünfte vorschreiben. Näheres ist noch nicht bekannt, das Innenministerium war am Montag für die SN nicht zu sprechen.
Kritiker bemängeln, dass eine Zusammenführung von Rechtsund Rückkehrberatung problematisch sei: Bei der einen Art von Beratung gehe es darum, die Asylbewerber über ihre Rechtsmittel im Asylverfahren zu informieren. Die andere Beratung hingegen ziele eher darauf ab, die Bewerber möglichst rasch wieder loszuwerden. Der Innenminister sieht das anders: Wenn „Verfahren und Betreuung an einem Ort gebündelt sind“, könnten die Asylverfahren schneller abgewickelt werden, sagte er kürzlich in der „Kleinen Zeitung“. Es werde „eine realistische Beratung geben, bei der man vielen von Anfang an sagen muss: Du hast keine Chance, hier mit deinen Voraussetzungen einen Platz zu bekommen“. So weit Kickl.
Derzeit jedenfalls gibt es (noch) kein generelles nächtliches Ausgehverbot für Asylbewerber. In den Asylunterkünften im Einflussbereich der Stadt Wien heißt es beispielsweise: „Wenn Sie länger als drei Tage unentschuldigt abwesend sind, verlieren Sie Ihren Wohnplatz. Falls Sie ausnahmsweise auswärts übernachten wollen, melden Sie dies bitte vorher einer/m unserer BetreuerInnen.“
„Freiheitsentzug ist rechtswidrig.“Georg Bürstmayr, Flüchtlingsanwalt