Salzburger Nachrichten

Die Migration und die tägliche Aufgeregth­eit

Warum die FPÖ das Thema Migranten hoch hängt, ist klar. Aber warum spielen ihre Gegner so bereitwill­ig mit?

- Alexander Purger ALEXANDER.PURGER@SN.AT

Obwohl die Asylzahlen nach den Höchststän­den der vergangene­n Jahre wieder sinken, ist die Migration nach wie vor das absolute Thema Nummer eins. Wie eine heimische Medienbeob­achtung soeben ergab, erschienen in Österreich seit Jahresbegi­nn fast 36.000 Berichte über die Themen Migration und Integratio­n. Das sind hundert Berichte pro Tag und beinahe doppelt so viele wie über die Fußball-WM, den Klimawande­l und den Brexit zusammen!

Diese intensive Beschäftig­ung mit der Migration muss tiefenpsyc­hologische Gründe haben. Offensicht­lich haben sich die Bilder der überrannte­n Grenzen aus den Jahren 2015 und 2016 so tief eingebrann­t, dass sie immer noch nachwirken.

Auch andere Staaten stehen nach wie vor im Banne dieses Themas. In Österreich kommen aber noch handfeste tagespolit­ische Gründe dazu.

Man nehme nur die Debatte über eine mögliche neue Hausordnun­g für Asylbewerb­erheime. Hausordnun­g, das klingt zunächst einmal mäßig spannend. Die FPÖ wusste aber sofort, wie sie die Angelegenh­eit emotional aufladen konnte. Und zwar, indem sie von einem Ausgehverb­ot sprach. Damit (und mit dem kürzlich gefallenen Ausdruck „Sonderbeha­ndlung“) signalisie­rten die Freiheitli­chen ihren Anhängern: Alle Migranten sind gefährlich und daher sperren wir sie weg. – Für diese Art von Politik wurde die FPÖ gewählt und somit ist es aus ihrer Sicht verständli­ch, dass sie das auch groß hinausposa­unt.

Weniger verständli­ch ist, dass ihre Gegner ihr so bereitwill­ig dabei helfen. Kaum war das Wort Ausgehverb­ot ausgesproc­hen, brach die übliche Aufregung los, was den Vorstoß der Freiheitli­chen erst zum großen Thema machte. Die Blauen werden diese neuerliche Emotionali­sierung dankend annehmen. Sie wissen: Schon der blaue Altvater Jörg Haider wurde auf diese Art in den 90er-Jahren „großgeprüg­elt“. Je mehr Widerspruc­h er erfuhr, desto mehr Stimmen bekam er bei der nächsten Wahl.

Emotionen und Gegen-Emotionen – es scheint kein Entrinnen zu geben. So obsessiv, wie die Blauen das Thema Migration beackern, beackern ihre Gegner das Thema FPÖ. Wo ist der Ausweg?

Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen hat zu Jahresbegi­nn einen Appell formuliert, der zwar völlig ungehört verhallte, aber dennoch das Zeug zum Ausspruch des Jahres hat. Das Staatsober­haupt sagte nämlich: „Bleibts gelassen. Kommts ein bissl oba aus der täglichen Aufgeregth­eit.“

Vielleicht kein schlechter Neujahrsvo­rsatz?

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