Die Migration und die tägliche Aufgeregtheit
Warum die FPÖ das Thema Migranten hoch hängt, ist klar. Aber warum spielen ihre Gegner so bereitwillig mit?
Obwohl die Asylzahlen nach den Höchstständen der vergangenen Jahre wieder sinken, ist die Migration nach wie vor das absolute Thema Nummer eins. Wie eine heimische Medienbeobachtung soeben ergab, erschienen in Österreich seit Jahresbeginn fast 36.000 Berichte über die Themen Migration und Integration. Das sind hundert Berichte pro Tag und beinahe doppelt so viele wie über die Fußball-WM, den Klimawandel und den Brexit zusammen!
Diese intensive Beschäftigung mit der Migration muss tiefenpsychologische Gründe haben. Offensichtlich haben sich die Bilder der überrannten Grenzen aus den Jahren 2015 und 2016 so tief eingebrannt, dass sie immer noch nachwirken.
Auch andere Staaten stehen nach wie vor im Banne dieses Themas. In Österreich kommen aber noch handfeste tagespolitische Gründe dazu.
Man nehme nur die Debatte über eine mögliche neue Hausordnung für Asylbewerberheime. Hausordnung, das klingt zunächst einmal mäßig spannend. Die FPÖ wusste aber sofort, wie sie die Angelegenheit emotional aufladen konnte. Und zwar, indem sie von einem Ausgehverbot sprach. Damit (und mit dem kürzlich gefallenen Ausdruck „Sonderbehandlung“) signalisierten die Freiheitlichen ihren Anhängern: Alle Migranten sind gefährlich und daher sperren wir sie weg. – Für diese Art von Politik wurde die FPÖ gewählt und somit ist es aus ihrer Sicht verständlich, dass sie das auch groß hinausposaunt.
Weniger verständlich ist, dass ihre Gegner ihr so bereitwillig dabei helfen. Kaum war das Wort Ausgehverbot ausgesprochen, brach die übliche Aufregung los, was den Vorstoß der Freiheitlichen erst zum großen Thema machte. Die Blauen werden diese neuerliche Emotionalisierung dankend annehmen. Sie wissen: Schon der blaue Altvater Jörg Haider wurde auf diese Art in den 90er-Jahren „großgeprügelt“. Je mehr Widerspruch er erfuhr, desto mehr Stimmen bekam er bei der nächsten Wahl.
Emotionen und Gegen-Emotionen – es scheint kein Entrinnen zu geben. So obsessiv, wie die Blauen das Thema Migration beackern, beackern ihre Gegner das Thema FPÖ. Wo ist der Ausweg?
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat zu Jahresbeginn einen Appell formuliert, der zwar völlig ungehört verhallte, aber dennoch das Zeug zum Ausspruch des Jahres hat. Das Staatsoberhaupt sagte nämlich: „Bleibts gelassen. Kommts ein bissl oba aus der täglichen Aufgeregtheit.“
Vielleicht kein schlechter Neujahrsvorsatz?