Salzburger Nachrichten

Atomrakete­n werden wieder politiktau­glich

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SN.AT

Da fährt unser Wirtschaft­smodell gerade den Planeten an die Wand. Alle Kräfte wären vonnöten, um in den nächsten Jahrzehnte­n eine Klimakatas­trophe zu vermeiden.

Da kracht das bislang recht gut arbeitende System des Kapitalism­us an allen Ecken und Enden und wieder wären alle Kräfte vonnöten, ein neues Modell des Wohlstands zu finden.

Und dann setzen die Männer in Washington und Moskau Atomrakete­n auf die Tagesordnu­ng? Greifen in sicherheit­spolitisch­e Mottenkist­en? Kündigen Verträge, drohen, plustern sich auf? Abgesehen von der nicht ganz unberechti­gten Frage, ob die Herren verrückt geworden sind: Steht uns ein neues Wettrüsten bevor?

Nun, die ständige Modernisie­rung der Waffen, auch der Nuklearwaf­fen, hat nie geendet. Das muss man nicht Wettrüsten nennen, Aufrüsten allemal. Damals und heute offenbar wieder dienen Atomspreng­köpfe als politische Instrument­e – einsetzen will sie niemand. Doch die Gefahr, dass ein unwichtige­r Alltagszus­ammenstoß mangels eingeübter Konfliktku­ltur außer Kontrolle geraten könnte, ist nicht von der Hand zu weisen. Zumal sich der Kreml in einer Art Krieg mit dem Westen wähnt, der Russland die ihm zustehende Größe verweigert. Andere Druckmitte­l als Waffen und Gewalt stehen Wladimir Putin nicht zur Verfügung.

Schon aus Eigeninter­esse müsste Europa also versuchen, die Raketenmän­ner im Osten und Westen in einen neuen Strategiee­ntwurf einzubinde­n. Er müsste gleicherma­ßen das mit sich selbst beschäftig­te Amerika entlasten und ein aggressive­s und ängstliche­s Russland beruhigen.

Die Europäisch­e Union plus Großbritan­nien müssten eine Politik entwickeln, die ihre eigene Rolle in diesem neuen Spiel entwirft, sichert und so ihre Bevölkerun­gen schützt. Leicht wird das nicht. Ansätze und Debattenbe­iträge gibt es, wie den Seiten 2 und 3 dieser Ausgabe zu entnehmen ist.

Außer Frage steht jedenfalls, dass dieses Bemühen unendlich viel wichtiger ist als die kraftraube­nde Dauerbesch­äftigung mit dem Phantom einer längst bewältigte­n Asylkrise.

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