Warum es uns schwerfällt, Fehler einzugestehen
Ein Kind kommt im Spital zu Tode. Niemand will daran schuld sein. Und niemand will die Verantwortung dafür übernehmen.
Beliebt ist es, Fehler auf andere abzuschieben
Ein kleiner Bub wird in Salzburg von seinen besorgten Eltern ins Krankenhaus gebracht. Das 17 Monate alte Kind hat ein geplatztes Blutschwämmchen im Gesicht. Normalerweise keine große Sache.
Die Ärzte entscheiden sich überraschend für eine operative Entfernung unter Vollnarkose, obwohl der Bub kurz zuvor gegessen hat. Das Kind atmet Erbrochenes ein, droht zu ersticken, das Gehirn bekommt keinen Sauerstoff mehr. Koma. Elf Tage später ist es tot.
Als wäre das Leid der Eltern nicht schon groß genug, müssen sie seither eine abstoßende Odyssee durch die Tiefen von justizieller Bürokratie, Paragrafendschungel und Gutachteritis mitmachen. Dass die verantwortlichen Mediziner aus juristischen Gründen zunächst jede Schuld von sich weisen, müssen sie als eiskalten Zynismus empfinden. Dass es bis heute keine Entschuldigung gibt, ebenso.
Die involvierten Ärztinnen und Ärzte sind Gefangene im Fehler-Dilemma unserer Gesellschaft: Eingeräumt wird bestenfalls ein Regal, aber niemals ein Fehler. Das gilt als Zeichen von Schwäche und Unfähigkeit. Wer einen weißen Kittel trägt, den umweht nach wie vor der Nimbus der Unfehlbarkeit. Dabei ist es oft nur falsch verstandener Standesdünkel, der niemandem hilft, weder Patienten noch Ärzten.
Selbst klar erkennbare Fehler werden zunächst einmal bestritten. Das will ein überkommenes Versicherungssystem so, das nur Schuldige und nicht Verantwortliche kennt. Schuldeingeständnisse, so wohltuend und befreiend sie für alle Beteiligten sein könnten, darf es nicht geben, denn sie begründen Haftungsansprüche. Die wollen sowohl Krankenhauserhalter als auch Versicherungen auf jeden Fall vermeiden. Letztendlich geht es den Assekuranzen ums Geld, was das Ganze für Betroffene noch verletzender macht, als es schon ist.
Wie kommen wir aus diesem Strudel heraus? Wir müssen die öffentlichen Entschädigungsfonds abseits der Versicherungen noch besser dotieren und leichter zugänglich machen. Aus ihnen werden Menschen bedient, die durch medizinische Fehler einen Schaden erlitten haben. Ärzte dürfen Fehler endlich zugeben, ohne gleich mit einem Fuß im Kriminal zu stehen. Angehörige bekommen ihre Entschuldigung nicht erst nach einem Urteil. Gerichte müssen nur noch dort bemüht werden, wo es tatsächlich um fahrlässigen oder absichtlichen Gesetzesbruch geht.
Wir tun uns im Umgang mit Fehlern schwer. Es gehört Mut dazu, sie zuzugeben. Den haben wir in der Regel nicht. Wir haben eine Kultur des Bestreitens und Verleugnens entwickelt. Die Kirche ist ein Beispiel dafür.
Beliebt ist es auch, Fehler auf andere abzuschieben. Selbst beim Begehen von Fehlern sind wir feig. Die Fehlervermeidung ist bei uns zu einer Tugend geworden. Nur nichts riskieren. Notwendige Entwicklung wird dadurch gehemmt.
Dabei könnte der konstruktive Umgang mit Fehlern helfen. Man kann aus Fehlern Konsequenzen ziehen und daraus für die Zukunft lernen. Man kann es natürlich auch übertreiben, so wie es die Japaner getan haben. Heute mündet deren Hang zum Selbstschämen nach Fehlern Gott sei Dank nicht mehr im Harakiri. Ein japanisches Motto lautet aber immer noch: Wenn du einen Fehler gemacht hast, dann entschuldige dich. Wenn es nicht deiner war, dann entschuldige dich trotzdem.
Die allgemein fehlende Fähigkeit, zu Fehlern zu stehen, ist in der Politik besonders ausgeprägt. Entschuldigungen für Fehlverhalten kommen so gut wie nicht vor. Wenn es gar nicht mehr anders geht, dann hilft man sich mit einer Floskel aus: „Wenn sich jemand durch meine Aussagen beleidigt fühlen sollte, dann möchte ich betonen, dass das nicht meine Absicht war.“
Dass man einen schweren Fehler auch mit Würde auf sich nehmen kann, hat die evangelische Bischöfin Margot Käßmann bewiesen, nachdem sie alkoholisiert Auto gefahren war. Sie trat vor die Medien und sagte, dass es nichts zu entschuldigen, nichts zu relativieren oder herumzudeuteln gebe. Sie zog aus ihrem Fehler die Konsequenzen und trat zurück. Dieser an sich logische Schritt brachte ihr in einem Milieu, das an die Übernahme von Verantwortung gewöhnt ist, Respekt und Beifall ein. Käßmann ist heute so angesehen wie damals. Sie sollte sogar deutsche Bundespräsidentin werden, lehnte aber ab.