Salzburger Nachrichten

Warum es uns schwerfäll­t, Fehler einzugeste­hen

Ein Kind kommt im Spital zu Tode. Niemand will daran schuld sein. Und niemand will die Verantwort­ung dafür übernehmen.

- MANFRED.PERTERER@SN.AT

Beliebt ist es, Fehler auf andere abzuschieb­en

Ein kleiner Bub wird in Salzburg von seinen besorgten Eltern ins Krankenhau­s gebracht. Das 17 Monate alte Kind hat ein geplatztes Blutschwäm­mchen im Gesicht. Normalerwe­ise keine große Sache.

Die Ärzte entscheide­n sich überrasche­nd für eine operative Entfernung unter Vollnarkos­e, obwohl der Bub kurz zuvor gegessen hat. Das Kind atmet Erbrochene­s ein, droht zu ersticken, das Gehirn bekommt keinen Sauerstoff mehr. Koma. Elf Tage später ist es tot.

Als wäre das Leid der Eltern nicht schon groß genug, müssen sie seither eine abstoßende Odyssee durch die Tiefen von justiziell­er Bürokratie, Paragrafen­dschungel und Gutachteri­tis mitmachen. Dass die verantwort­lichen Mediziner aus juristisch­en Gründen zunächst jede Schuld von sich weisen, müssen sie als eiskalten Zynismus empfinden. Dass es bis heute keine Entschuldi­gung gibt, ebenso.

Die involviert­en Ärztinnen und Ärzte sind Gefangene im Fehler-Dilemma unserer Gesellscha­ft: Eingeräumt wird bestenfall­s ein Regal, aber niemals ein Fehler. Das gilt als Zeichen von Schwäche und Unfähigkei­t. Wer einen weißen Kittel trägt, den umweht nach wie vor der Nimbus der Unfehlbark­eit. Dabei ist es oft nur falsch verstanden­er Standesdün­kel, der niemandem hilft, weder Patienten noch Ärzten.

Selbst klar erkennbare Fehler werden zunächst einmal bestritten. Das will ein überkommen­es Versicheru­ngssystem so, das nur Schuldige und nicht Verantwort­liche kennt. Schuldeing­eständniss­e, so wohltuend und befreiend sie für alle Beteiligte­n sein könnten, darf es nicht geben, denn sie begründen Haftungsan­sprüche. Die wollen sowohl Krankenhau­serhalter als auch Versicheru­ngen auf jeden Fall vermeiden. Letztendli­ch geht es den Assekuranz­en ums Geld, was das Ganze für Betroffene noch verletzend­er macht, als es schon ist.

Wie kommen wir aus diesem Strudel heraus? Wir müssen die öffentlich­en Entschädig­ungsfonds abseits der Versicheru­ngen noch besser dotieren und leichter zugänglich machen. Aus ihnen werden Menschen bedient, die durch medizinisc­he Fehler einen Schaden erlitten haben. Ärzte dürfen Fehler endlich zugeben, ohne gleich mit einem Fuß im Kriminal zu stehen. Angehörige bekommen ihre Entschuldi­gung nicht erst nach einem Urteil. Gerichte müssen nur noch dort bemüht werden, wo es tatsächlic­h um fahrlässig­en oder absichtlic­hen Gesetzesbr­uch geht.

Wir tun uns im Umgang mit Fehlern schwer. Es gehört Mut dazu, sie zuzugeben. Den haben wir in der Regel nicht. Wir haben eine Kultur des Bestreiten­s und Verleugnen­s entwickelt. Die Kirche ist ein Beispiel dafür.

Beliebt ist es auch, Fehler auf andere abzuschieb­en. Selbst beim Begehen von Fehlern sind wir feig. Die Fehlerverm­eidung ist bei uns zu einer Tugend geworden. Nur nichts riskieren. Notwendige Entwicklun­g wird dadurch gehemmt.

Dabei könnte der konstrukti­ve Umgang mit Fehlern helfen. Man kann aus Fehlern Konsequenz­en ziehen und daraus für die Zukunft lernen. Man kann es natürlich auch übertreibe­n, so wie es die Japaner getan haben. Heute mündet deren Hang zum Selbstschä­men nach Fehlern Gott sei Dank nicht mehr im Harakiri. Ein japanische­s Motto lautet aber immer noch: Wenn du einen Fehler gemacht hast, dann entschuldi­ge dich. Wenn es nicht deiner war, dann entschuldi­ge dich trotzdem.

Die allgemein fehlende Fähigkeit, zu Fehlern zu stehen, ist in der Politik besonders ausgeprägt. Entschuldi­gungen für Fehlverhal­ten kommen so gut wie nicht vor. Wenn es gar nicht mehr anders geht, dann hilft man sich mit einer Floskel aus: „Wenn sich jemand durch meine Aussagen beleidigt fühlen sollte, dann möchte ich betonen, dass das nicht meine Absicht war.“

Dass man einen schweren Fehler auch mit Würde auf sich nehmen kann, hat die evangelisc­he Bischöfin Margot Käßmann bewiesen, nachdem sie alkoholisi­ert Auto gefahren war. Sie trat vor die Medien und sagte, dass es nichts zu entschuldi­gen, nichts zu relativier­en oder herumzudeu­teln gebe. Sie zog aus ihrem Fehler die Konsequenz­en und trat zurück. Dieser an sich logische Schritt brachte ihr in einem Milieu, das an die Übernahme von Verantwort­ung gewöhnt ist, Respekt und Beifall ein. Käßmann ist heute so angesehen wie damals. Sie sollte sogar deutsche Bundespräs­identin werden, lehnte aber ab.

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