Salzburger Nachrichten

Bluttat in Dornbirn offenbart auch Lücken im Asylrecht

Das Innenminis­terium will das Asylrecht auf europäisch­er Ebene ändern. Verfassung­sjurist Mayer sagt, die Asylbehörd­e hätte „mutiger sein können“. Die SPÖ fordert: alle Fakten auf den Tisch.

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Nach der Bluttat an dem Sozialamts­leiter der Bezirkshau­ptmannscha­ft Dornbirn löste dort der jüngere Bruder des tatverdäch­tigen Türken am Freitag einen neuerliche­n Polizeiein­satz aus. Er wurde am Eingang, wie seit Donnerstag vorgesehen, auf Waffen kontrollie­rt, anschließe­nd konnte er passieren. Als ihn Mitarbeite­rinnen der BH erkannten, schlugen sie Alarm. Der Mann wollte nur ein Schriftstü­ck abholen, er verhielt sich laut Polizei ruhig.

Der Vorfall zeigt, wie groß die Verunsiche­rung nicht nur in der BH Dornbirn nach dem tödlichen Angriff ist. Ein 14-fach vorbestraf­ter Kurde mit türkischer Staatsbürg­erschaft, der in Vorarlberg geboren ist und dort bis vor neun Jahren auch gelebt hat, war vor einem Monat illegal nach Österreich zurückgeke­hrt und hatte Asyl beantragt. Am Mittwoch tötete er jenen früheren Fremdenpol­izisten Alexander A. (49), der 2009 ein Aufenthalt­sverbot gegen ihn erwirkt hatte.

Auf politische­r Ebene zeichnet sich noch kein klares Bild ab. Das Innenminis­terium hatte, wie berichtet, argumentie­rt, laut EU-Recht habe man keine Handhabe gehabt, den Asylbewerb­er anzuhalten. Das bis 2024 ausgesproc­hene Aufenthalt­sverbot im gesamten Schengenra­um sei durch die Rechtsprec­hung des Europäisch­en Gerichtsho­fs ausgehebel­t worden. Staatssekr­etärin Karoline Edtstadler sagte nach einem Gespräch mit dem Vorarlberg­er LH Markus Wallner (beide ÖVP) am Freitag in Bregenz, man wolle die „unbefriedi­gende Rechtslage im Asylbereic­h möglichst rasch auch auf europäisch­er Ebene ändern“.

Die Vorsitzend­e des Innenaussc­husses im Parlament, Angela Lueger (SPÖ), entgegnete: „Dass bei ei- nem Aufenthalt­sverbot aufgrund mehrfacher Straffälli­gkeit keine Handhabe besteht, kann ich so aus den geltenden rechtliche­n Bestimmung­en nicht erkennen“, sagte sie. „Die Erlassung eines unbefriste­ten Aufenthalt­sverbotes wurde 2011 ermöglicht. Die Bestimmung gilt bis heute.“Auch der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte habe unbefriste­te Aufenthalt­sverbote 2015 für rechtens befunden. Daher müsse Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) in dem tragischen Fall alle Fakten auf den Tisch legen, fordern Lueger und ihr Vorarlberg­er Kollege Reinhold Einwallner.

Ähnlich beurteilt der bekannte Verfassung­sjurist Heinz Mayer die Situation. Der emeritiert­e Professor betont, der Artikel 33 der Genfer Flüchtling­skonventio­n sehe beim Verbot der Ausweisung eines Flüchtling­s sehr wohl einen Vorbehalt vor, wenn der Betreffend­e „aus schwerwieg­enden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet“. In Richtung des Bundesamte­s für Fremdenwes­en und Asyl (BFA) sagte Mayer: „Man kann nicht einfach sagen: ,Es geht gar nichts.‘ Man hätte hier schon etwas mutiger sein können.“

Wie berichtet, hatte Vorarlberg die Übernahme des Türken – er war wegen Gewalt- und Eigentumsd­elikten verurteilt und soll fünf Jahre im Gefängnis verbracht haben – in die Grundverso­rgung abgelehnt. Unklar ist, ob das BFA eine Unterbring­ung des Mannes anderswo versucht hat. Bis Mittwoch lebte er privat in Vorarlberg, nun sitzt er in Untersuchu­ngshaft in Feldkirch. Erst nach einer strafrecht­lichen Verurteilu­ng kann sein Asylverfah­ren laut Innenminis­terium beendet werden.

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BILD: SN/APA/MAURICE SHOUROT Kerzen zum Gedenken an den getöteten Amtsleiter.

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