Gemächliche Apokalypse
Atommüll und Giftstoffe im Donbass. Der Krieg im Osten der Ukraine ist verheerend, auch wegen der enormen Umweltschäden.
DDie Kiewer Presse hat die Grube Butowka längst „Grube des Todes“getauft. Schon zu Kriegsbeginn verschanzten sich ukrainische Soldaten in dem Kohlebergwerk am Rand der Rebellenhauptstadt Donezk. Butowka wurde einer der Hauptvorposten der Regierungstruppen, ihre Artilleriebeobachter saßen auf dem Förderturm, bis ihn die Rebellen und ihre russischen Verbündeten zerschossen – und gleich alle anderen Anlagen des Bergwerks mit. Immer noch herrscht Krieg. Das Gekläff der Minenwerfer schallt durch eine altmodische, von Fördertürmen und Fabrikschloten beherrschte Industrielandschaft. Sie wirkt so marode wie das Ruhrgebiet vor 40 Jahren. Nur ist der Bergbau in der Ukraine noch schmutziger gewesen. Und nach gut viereinhalb Jahren Kleinkrieg sind Giftstoffe und Atommüll dabei, den Donbass in ein totes Land zu verwandeln.
Schon zu Friedenszeiten plante die Ukraine, zwei Drittel der 127 Zechen im Donbass stillzulegen. Von 93 Gruben im Rebellengebiet arbeiten noch etwa 25, auf der ukrainischen Seite knapp 30. Die Rebellen behandeln ihre Bergwerke streng geheim. Aber nach Angaben des ukrainischen Ministeriums für die besetzten Gebiete sind im Kriegsgebiet 65 Zechen geflutet worden. Oder werden gerade geflutet. Das heißt, dort hat man die Pumpen abgeschaltet, die den Spiegel des Grubenwassers stabil halten. Mancherorts sind die Pumpstationen so marode wie die Bergwerke, anderswo liegt alles unter Beschuss.
Der Kiewer Hydrogeologe Jewgeni Jakowlew besitzt Wasserstandsangaben von mehr als 22 Zechen im Rebellengebiet: Vom 1. November 2017 bis zum 1. Juli 2018 stieg ihr Wasserspiegel im Durchschnitt um mehr als 83 Meter. Schon jetzt dringt laut Jakowlew das Grubenwasser vielerorts in Erdschichten ein, in denen es sich mit Grundwasser vermischt. „In fünf bis zwölf Jahren wird das stark verschmutzte Grubenwasser die Brunnen, Quellen und Flussläufe erreichen“, sagt er. Es ist eine gemächliche Apokalypse. Jakowlew hat mit einem internationalen Forscherteam im Auftrag der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein Jahr lang die ökologische Lage des Donbass unter Tage untersucht. Nach seiner Einschätzung sind inzwischen 88 Prozent der unterirdischen Trinkwasserreserven ungenießbar. Die Prozesse seien unumkehrbar. „Die Region wird für Menschen nicht mehr bewohnbar sein.“
Rasant steigt das Wasser in der Grube „Junger Kommunarde“in Jenakijewe, zwischenzeitlich um 4,6 Meter täglich. Grund ist laut Jakowlew der Wasserdruck aus zwei bereits gefluteten Nachbarzechen. Viele Gruben im Donbass sind durch unterirdische Schächte verbunden. Und in einem Streb des 2001 stillgelegten „Jungen Kommunarden“lagert eine Kapsel mit dem radioaktiven Restmüll einer experimentellen Atomexplosion von 1979. Jakowlews Arbeitsgruppe rechnet damit, dass diese Kapsel im Herbst 2019 unter Wasser gerät.
Nach Aussage eines Beamten der Donezker Rebellenregierung haben russische Fachleute bei einem Treffen mit Abgeordneten des Rebellenparlaments das Projekt einer „nassen Konservierung“der Kapsel vorgestellt. Auch wenn die überschwemmte Kapsel platzen sollte, würden sich die Radionuklide darin aufgrund des Wasserdrucks aus den Nachbargruben nicht oder nur sehr langsam ausbreiten. „Die Gefahr, dass der radioaktive Inhalt mit einem Mal entweicht, ist sehr gering“, sagt der Ukrainer Jakowlew. „Und es werden nicht mehr als 50 Curie Strahlung frei, das ist ein Millionstel der Strahlung von Tschernobyl.“
Aber er schließe nicht aus, dass radioaktive Partikel am Ende auch im Trinkwasser auf der ukrainischen Seite landen. Zumal deren Gruben niedriger liegen als die der Separatisten. Jakowlew und seine Kollegen fordern deshalb ein radioaktives Monitoring im ukrainisch kontrollierten Donbass.
Das Unheil verbreitet sich auf beiden Seiten der Front. Im Mai kamen die Pumpen in der ukrainischen Zeche „Solotoje“nicht mehr gegen das rasch steigende Wasser an, das offenbar aus drei „gefluteten“Zechen der Rebellenrepublik Lugansk strömte. In zwei Monaten stieg das Grubenwasser in „Solotoje“von minus 867 auf minus 700 Meter und flutete alle aktiven Flöze. Der Staat bewilligte umgerechnet gut vier Millionen Euro für neue Pumpen. Das Geld ist unterwegs, will aber nicht ankommen.
Steigt das Wasser weiter, droht auch zwei ukrainischen Nachbarzechen Überschwemmung und dem Bergarbeiterstädtchen Solotoje mit seinen 17.000 Einwohnern Massenarbeitslosigkeit. Vor allem die Kinder dort könnten an Durchfall erkranken. Laut Jakowlew leiden in Lugansker Bezirken Kinder bis vier Jahre 68 Mal häufiger an Diarrhöe als Erwachsene. Auch im von der Ukraine kontrollierten Ort Bachmut ist das Trinkwasser verschmutzt. Dort lag die Anzahl der Infektionskrankheiten im Oktober 2018 um 70% höher als im gleichen Monat 2017.
Die ukrainischen Hydrologen haben nach der Teilüberschwemmung in Solotoje das Grubenwasser untersucht. Sie fanden darin 1240 Milligramm Sulfat pro Liter (die ukrainische Trinkwassernorm erlaubt maximal 250 Milligramm), 3,7 Milligramm Kupfer (Norm 1 Milligramm) und 16,9 Milligramm Eisen (Norm 0,2 Milligramm). Ein höchst ungesundes Gebräu, das Experten als „Gelber Junge“bezeichnen – wegen seiner orangen Färbung, aber auch wegen des Mineralstoffgehalts, der seinen pH-Wert drastisch verändert. Solches Wasser findet sich wohl auch in anderen Gruben. Die Ukrainer pumpen täglich 930 Kubikmeter „Gelber Junge“aus dem Solotoje-Schacht in das Flüsschen Kamyschewacha. Dort landen laut Jakowlew mittlerweile 9300 Tonnen Sulfat, 138 Tonnen Eisen und 30 Tonnen Kupfer jährlich. 75 Prozent gelangen in den Fluss Sewerski Donez, der zurück ins Rebellengebiet und dann nach Russland strömt: Schadstoffaustausch zwischen Feinden.
Die Region ist voller Gift. Die stillgelegte Quecksilbergrube „2-bis“in Gorlowka liegt unter dem Kanal Sewerskij Donez-Donbass. Er versorgt die Rebellenhauptstadt Donezk, aber auch die ukrainische Industriemetropole Mariupol mit Trinkwasser. Laut Jakowlew hielt man in der Grube zumindest bis Anfang Juli 2018 den Wasserspiegel stabil bei minus 211 Meter. Allerdings berichtete der dem ukrainischen Geheimdienst nahestehende Parlamentarier Dmitri Timtschuk jüngst, die Rebellen hätten die Pumpen in „2-bis“und einer weiteren Quecksilbermine abgestellt.
Auch über der Erde ticken Zeitbomben. Zum Beispiel in einem Abfallbecken mit hochgiftigem Phenol in der ukrainischen Frontsiedlung Nowogorodskoje, dessen Staudamm mehrfach durch Geschosse beschädigt wurde. Oder in 300.000 Tonnen Chemiemüll einer stillgelegten Munitionsfabrik in Gorlowka. Sie zu beschießen, das komme Völkermord gleich, warnen die Separatisten. Die schleichende Katastrophe unter Tage wird dagegen in den Rebellenrepubliken totgeschwiegen, auch die Experten dort bemühen sich um Optimismus. „Katastrophen sind Tsunami oder Vulkanausbrüche“, sagt Viktor Driban vom Donezker Institut für Bergbaugeologie. Die gebe es hier nicht. Er hofft auf Drainagen, Abflusskanäle und Bohrungen, um das aufsteigende Grubenwasser wieder zu senken. Aber wie seine ukrainischen Kollegen fordert auch er ein umfassendes Monitoring: „Es bedarf kolossaler Ausgaben.“Geld ist allerdings knapp in diesem Krieg.
Die Region wird für Menschen nicht mehr bewohnbar sein. Jewgeni Jakowlew Hydrogeologe, Kiew BILDER: SN/BUCHTIJAROW (2), DURNJEW