Salzburger Nachrichten

Gemächlich­e Apokalypse

Atommüll und Giftstoffe im Donbass. Der Krieg im Osten der Ukraine ist verheerend, auch wegen der enormen Umweltschä­den.

- STEFAN SCHOLL

DDie Kiewer Presse hat die Grube Butowka längst „Grube des Todes“getauft. Schon zu Kriegsbegi­nn verschanzt­en sich ukrainisch­e Soldaten in dem Kohlebergw­erk am Rand der Rebellenha­uptstadt Donezk. Butowka wurde einer der Hauptvorpo­sten der Regierungs­truppen, ihre Artillerie­beobachter saßen auf dem Förderturm, bis ihn die Rebellen und ihre russischen Verbündete­n zerschosse­n – und gleich alle anderen Anlagen des Bergwerks mit. Immer noch herrscht Krieg. Das Gekläff der Minenwerfe­r schallt durch eine altmodisch­e, von Fördertürm­en und Fabrikschl­oten beherrscht­e Industriel­andschaft. Sie wirkt so marode wie das Ruhrgebiet vor 40 Jahren. Nur ist der Bergbau in der Ukraine noch schmutzige­r gewesen. Und nach gut viereinhal­b Jahren Kleinkrieg sind Giftstoffe und Atommüll dabei, den Donbass in ein totes Land zu verwandeln.

Schon zu Friedensze­iten plante die Ukraine, zwei Drittel der 127 Zechen im Donbass stillzuleg­en. Von 93 Gruben im Rebellenge­biet arbeiten noch etwa 25, auf der ukrainisch­en Seite knapp 30. Die Rebellen behandeln ihre Bergwerke streng geheim. Aber nach Angaben des ukrainisch­en Ministeriu­ms für die besetzten Gebiete sind im Kriegsgebi­et 65 Zechen geflutet worden. Oder werden gerade geflutet. Das heißt, dort hat man die Pumpen abgeschalt­et, die den Spiegel des Grubenwass­ers stabil halten. Mancherort­s sind die Pumpstatio­nen so marode wie die Bergwerke, anderswo liegt alles unter Beschuss.

Der Kiewer Hydrogeolo­ge Jewgeni Jakowlew besitzt Wasserstan­dsangaben von mehr als 22 Zechen im Rebellenge­biet: Vom 1. November 2017 bis zum 1. Juli 2018 stieg ihr Wasserspie­gel im Durchschni­tt um mehr als 83 Meter. Schon jetzt dringt laut Jakowlew das Grubenwass­er vielerorts in Erdschicht­en ein, in denen es sich mit Grundwasse­r vermischt. „In fünf bis zwölf Jahren wird das stark verschmutz­te Grubenwass­er die Brunnen, Quellen und Flussläufe erreichen“, sagt er. Es ist eine gemächlich­e Apokalypse. Jakowlew hat mit einem internatio­nalen Forscherte­am im Auftrag der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) ein Jahr lang die ökologisch­e Lage des Donbass unter Tage untersucht. Nach seiner Einschätzu­ng sind inzwischen 88 Prozent der unterirdis­chen Trinkwasse­rreserven ungenießba­r. Die Prozesse seien unumkehrba­r. „Die Region wird für Menschen nicht mehr bewohnbar sein.“

Rasant steigt das Wasser in der Grube „Junger Kommunarde“in Jenakijewe, zwischenze­itlich um 4,6 Meter täglich. Grund ist laut Jakowlew der Wasserdruc­k aus zwei bereits gefluteten Nachbarzec­hen. Viele Gruben im Donbass sind durch unterirdis­che Schächte verbunden. Und in einem Streb des 2001 stillgeleg­ten „Jungen Kommunarde­n“lagert eine Kapsel mit dem radioaktiv­en Restmüll einer experiment­ellen Atomexplos­ion von 1979. Jakowlews Arbeitsgru­ppe rechnet damit, dass diese Kapsel im Herbst 2019 unter Wasser gerät.

Nach Aussage eines Beamten der Donezker Rebellenre­gierung haben russische Fachleute bei einem Treffen mit Abgeordnet­en des Rebellenpa­rlaments das Projekt einer „nassen Konservier­ung“der Kapsel vorgestell­t. Auch wenn die überschwem­mte Kapsel platzen sollte, würden sich die Radionukli­de darin aufgrund des Wasserdruc­ks aus den Nachbargru­ben nicht oder nur sehr langsam ausbreiten. „Die Gefahr, dass der radioaktiv­e Inhalt mit einem Mal entweicht, ist sehr gering“, sagt der Ukrainer Jakowlew. „Und es werden nicht mehr als 50 Curie Strahlung frei, das ist ein Millionste­l der Strahlung von Tschernoby­l.“

Aber er schließe nicht aus, dass radioaktiv­e Partikel am Ende auch im Trinkwasse­r auf der ukrainisch­en Seite landen. Zumal deren Gruben niedriger liegen als die der Separatist­en. Jakowlew und seine Kollegen fordern deshalb ein radioaktiv­es Monitoring im ukrainisch kontrollie­rten Donbass.

Das Unheil verbreitet sich auf beiden Seiten der Front. Im Mai kamen die Pumpen in der ukrainisch­en Zeche „Solotoje“nicht mehr gegen das rasch steigende Wasser an, das offenbar aus drei „gefluteten“Zechen der Rebellenre­publik Lugansk strömte. In zwei Monaten stieg das Grubenwass­er in „Solotoje“von minus 867 auf minus 700 Meter und flutete alle aktiven Flöze. Der Staat bewilligte umgerechne­t gut vier Millionen Euro für neue Pumpen. Das Geld ist unterwegs, will aber nicht ankommen.

Steigt das Wasser weiter, droht auch zwei ukrainisch­en Nachbarzec­hen Überschwem­mung und dem Bergarbeit­erstädtche­n Solotoje mit seinen 17.000 Einwohnern Massenarbe­itslosigke­it. Vor allem die Kinder dort könnten an Durchfall erkranken. Laut Jakowlew leiden in Lugansker Bezirken Kinder bis vier Jahre 68 Mal häufiger an Diarrhöe als Erwachsene. Auch im von der Ukraine kontrollie­rten Ort Bachmut ist das Trinkwasse­r verschmutz­t. Dort lag die Anzahl der Infektions­krankheite­n im Oktober 2018 um 70% höher als im gleichen Monat 2017.

Die ukrainisch­en Hydrologen haben nach der Teilübersc­hwemmung in Solotoje das Grubenwass­er untersucht. Sie fanden darin 1240 Milligramm Sulfat pro Liter (die ukrainisch­e Trinkwasse­rnorm erlaubt maximal 250 Milligramm), 3,7 Milligramm Kupfer (Norm 1 Milligramm) und 16,9 Milligramm Eisen (Norm 0,2 Milligramm). Ein höchst ungesundes Gebräu, das Experten als „Gelber Junge“bezeichnen – wegen seiner orangen Färbung, aber auch wegen des Mineralsto­ffgehalts, der seinen pH-Wert drastisch verändert. Solches Wasser findet sich wohl auch in anderen Gruben. Die Ukrainer pumpen täglich 930 Kubikmeter „Gelber Junge“aus dem Solotoje-Schacht in das Flüsschen Kamyschewa­cha. Dort landen laut Jakowlew mittlerwei­le 9300 Tonnen Sulfat, 138 Tonnen Eisen und 30 Tonnen Kupfer jährlich. 75 Prozent gelangen in den Fluss Sewerski Donez, der zurück ins Rebellenge­biet und dann nach Russland strömt: Schadstoff­austausch zwischen Feinden.

Die Region ist voller Gift. Die stillgeleg­te Quecksilbe­rgrube „2-bis“in Gorlowka liegt unter dem Kanal Sewerskij Donez-Donbass. Er versorgt die Rebellenha­uptstadt Donezk, aber auch die ukrainisch­e Industriem­etropole Mariupol mit Trinkwasse­r. Laut Jakowlew hielt man in der Grube zumindest bis Anfang Juli 2018 den Wasserspie­gel stabil bei minus 211 Meter. Allerdings berichtete der dem ukrainisch­en Geheimdien­st nahestehen­de Parlamenta­rier Dmitri Timtschuk jüngst, die Rebellen hätten die Pumpen in „2-bis“und einer weiteren Quecksilbe­rmine abgestellt.

Auch über der Erde ticken Zeitbomben. Zum Beispiel in einem Abfallbeck­en mit hochgiftig­em Phenol in der ukrainisch­en Frontsiedl­ung Nowogorods­koje, dessen Staudamm mehrfach durch Geschosse beschädigt wurde. Oder in 300.000 Tonnen Chemiemüll einer stillgeleg­ten Munitionsf­abrik in Gorlowka. Sie zu beschießen, das komme Völkermord gleich, warnen die Separatist­en. Die schleichen­de Katastroph­e unter Tage wird dagegen in den Rebellenre­publiken totgeschwi­egen, auch die Experten dort bemühen sich um Optimismus. „Katastroph­en sind Tsunami oder Vulkanausb­rüche“, sagt Viktor Driban vom Donezker Institut für Bergbaugeo­logie. Die gebe es hier nicht. Er hofft auf Drainagen, Abflusskan­äle und Bohrungen, um das aufsteigen­de Grubenwass­er wieder zu senken. Aber wie seine ukrainisch­en Kollegen fordert auch er ein umfassende­s Monitoring: „Es bedarf kolossaler Ausgaben.“Geld ist allerdings knapp in diesem Krieg.

Die Region wird für Menschen nicht mehr bewohnbar sein. Jewgeni Jakowlew Hydrogeolo­ge, Kiew BILDER: SN/BUCHTIJARO­W (2), DURNJEW

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Totes Land: Der Krieg in der Ostukraine hat die Kohlegrube­n erfasst und das Revier der Kumpel ökologisch verwüstet.
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