Diogenes hat recht
ICHwill jetzt ernsthaft darangehen, mich den Idealen meiner zwei großen Vorbilder anzunähern. Beide sind seit über 2000 Jahren tot. Aber ihre Ideen für ein bescheidenes Leben – die sind unsterblich. Der eine war der große Sokrates. Er quälte seine Zeitgenossen mit subtilen, höchst unangenehmen Fragen, konfrontierte sie mit ihrem Scheinwissen – und hinterließ uns den schönen Satz: „Wie zahlreich sind doch die Dinge, derer ich nicht bedarf!“Der andere war Diogenes, der schrägste Philosoph aller Zeiten, ein Rebell der Anspruchslosigkeit, der alles verachtete, was über die elementarsten Lebensbedürfnisse hinausging. Er hauste in einer Tonne, lebte wie ein Hund, pflaumte von seiner Behausung aus die Mitmenschen an und empörte sich über deren Oberflächlichkeit.
Nun ist es freilich nicht ganz einfach, den Ansprüchen der antiken Geistesgrößen zu genügen. Denn wer heute in die Schule des Verzichts eintreten will, scheitert oft, sind doch die Verlockungen der Konsumwelt größer denn je. Mit den Sachen, die ich – wie sich herausstellen sollte – völlig sinnlos eingekauft habe, könnte ich schon ein kleines Museum ausstatten. Da steht zum Beispiel eine relativ neue Vespa in der Garage. Schaut von der Ferne gut aus, ist aber irre laut und für längere Strecken zu langsam. Dann sind da die Skischuhe für die Tourenski, die nach einmaliger Wanderung auf ewig im Schuhregal im Keller landeten. Die Schneeschuhe? Vielleicht zwei Mal benutzt, dann schubladisiert, man wandert schließlich ohne die sperrigen Dinger viel leichter. Zuletzt kamen ein Stand-up-Paddle dazu (es ist noch nicht einmal ausgepackt) sowie ein Nass- und Trockensauger für draußen, der mich um die Erkenntnis bereicherte: Ein Besen ist handlicher und praktischer!
Nicht genug, dass so viel sinnloses Zeug herumliegt, bereitet mir mein Kaufverhalten auch im täglichen Diskurs Ungemach. Immer wenn ich Bescheidenheit predige, treten meine zwei Bürokollegen auf den Plan, die den antiken Nörglern in nichts nachstehen. Sie werfen mir dann alte Geschichten vor – etwa, dass ich vor Jahren einen Zeitmesser einer Uhrenmanufaktur aus Glashütte und kürzlich noch einen RimowaKoffer käuflich erworben habe.
Aus alldem gibt es nur einen Ausweg: Ich werde aus dem Zyklus des Immerwieder-Kaufens aussteigen. Auf den Straßen gibt es nur mehr ein Fortbewegungsmittel – mein Steyr-Waffenrad, das rostigste Fahrzeug in der Stadt. Und im Gelände wird meine uralte Langlaufausrüstung herhalten: der Belag zerkratzt, die Schuhe am Zerbröseln, die Stöcke ohne Teller – ein schöner Anblick. Und ein guter Anfang. Diogenes wäre zufrieden.