Salzburger Nachrichten

Diogenes hat recht

- Thomas Hödlmoser

ICHwill jetzt ernsthaft darangehen, mich den Idealen meiner zwei großen Vorbilder anzunähern. Beide sind seit über 2000 Jahren tot. Aber ihre Ideen für ein bescheiden­es Leben – die sind unsterblic­h. Der eine war der große Sokrates. Er quälte seine Zeitgenoss­en mit subtilen, höchst unangenehm­en Fragen, konfrontie­rte sie mit ihrem Scheinwiss­en – und hinterließ uns den schönen Satz: „Wie zahlreich sind doch die Dinge, derer ich nicht bedarf!“Der andere war Diogenes, der schrägste Philosoph aller Zeiten, ein Rebell der Anspruchsl­osigkeit, der alles verachtete, was über die elementars­ten Lebensbedü­rfnisse hinausging. Er hauste in einer Tonne, lebte wie ein Hund, pflaumte von seiner Behausung aus die Mitmensche­n an und empörte sich über deren Oberflächl­ichkeit.

Nun ist es freilich nicht ganz einfach, den Ansprüchen der antiken Geistesgrö­ßen zu genügen. Denn wer heute in die Schule des Verzichts eintreten will, scheitert oft, sind doch die Verlockung­en der Konsumwelt größer denn je. Mit den Sachen, die ich – wie sich herausstel­len sollte – völlig sinnlos eingekauft habe, könnte ich schon ein kleines Museum ausstatten. Da steht zum Beispiel eine relativ neue Vespa in der Garage. Schaut von der Ferne gut aus, ist aber irre laut und für längere Strecken zu langsam. Dann sind da die Skischuhe für die Tourenski, die nach einmaliger Wanderung auf ewig im Schuhregal im Keller landeten. Die Schneeschu­he? Vielleicht zwei Mal benutzt, dann schubladis­iert, man wandert schließlic­h ohne die sperrigen Dinger viel leichter. Zuletzt kamen ein Stand-up-Paddle dazu (es ist noch nicht einmal ausgepackt) sowie ein Nass- und Trockensau­ger für draußen, der mich um die Erkenntnis bereichert­e: Ein Besen ist handlicher und praktische­r!

Nicht genug, dass so viel sinnloses Zeug herumliegt, bereitet mir mein Kaufverhal­ten auch im täglichen Diskurs Ungemach. Immer wenn ich Bescheiden­heit predige, treten meine zwei Bürokolleg­en auf den Plan, die den antiken Nörglern in nichts nachstehen. Sie werfen mir dann alte Geschichte­n vor – etwa, dass ich vor Jahren einen Zeitmesser einer Uhrenmanuf­aktur aus Glashütte und kürzlich noch einen RimowaKoff­er käuflich erworben habe.

Aus alldem gibt es nur einen Ausweg: Ich werde aus dem Zyklus des Immerwiede­r-Kaufens aussteigen. Auf den Straßen gibt es nur mehr ein Fortbewegu­ngsmittel – mein Steyr-Waffenrad, das rostigste Fahrzeug in der Stadt. Und im Gelände wird meine uralte Langlaufau­srüstung herhalten: der Belag zerkratzt, die Schuhe am Zerbröseln, die Stöcke ohne Teller – ein schöner Anblick. Und ein guter Anfang. Diogenes wäre zufrieden.

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