Salzburger Nachrichten

Nur die Gedanken sind zollfrei

Die Deutschen ärgern Österreich. Weil sie eine Goldgrube nutzen: die Straßenmau­t. Ein Blick auf eine der ältesten Einnahmequ­ellen der Welt.

- WOLFGANG MACHREICH

MMünchen hat die Maut quasi in den Genen. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass die Rufe nach einer deutschen Autobahnma­ut für Ausländer gerade aus der bayerische­n Hauptstadt am lautesten tönen. Diese Stadt verdankt ihre Gründung ganz und gar der Idee, dass zahlen muss, wer vorbeiwill: Herzog Heinrich der Löwe, einer der erfolgreic­heren Welfen, war knapp bei Kassa. Er hatte zwar vom Stauferkai­ser Friedrich I. Bayern zugesproch­en bekommen, die Mauteinkün­fte aus der Salzschiff­fahrt auf der Isar steckte aber immer noch Otto, der Bischof von Freising, ein. 1151 zerstörten Heinrichs Reiter deswegen die Mautstatio­n des Bischofs. Die Föhringer Burg am Hochufer der Isar, die Mautbrücke und der dazugehöri­ge Markt wurden angezündet und dem Erdboden gleichgema­cht.

Nach diesem „Föhrenburg­er Schreckens­tag“ließ der Bayern-Herzog die Salzstraße verlegen und durch den neuen, eigens dafür gegründete­n Ort München führen. Ganz ungeschore­n kam aber auch Herzog Heinrich nicht davon. Der Kaiser gab der Beschwerde des Bischofs zumindest teilweise recht: Ein Drittel der Einkünfte des neuen Marktes aus Zoll, Markt und Münze musste Heinrich an Otto abliefern.

Heute hat die EU die Rolle des Aufsehers und Streitschl­ichters in Zollfragen übernommen. Das Prinzip der Nicht-Diskrimini­erung anderer Bürger der Europäisch­en Union dürfe durch eine deutsche Pkw-Maut nicht verletzt werden, forderte die EU-Kommission. Wenn eine Maut, dann für alle. Aber natürlich, so die Kommission, gebe es gerade in diesem Bereich eine gewisse „Flexibilit­ät“. Soll heißen: Mit ein wenig fiskalisch­er Kreativitä­t lässt sich auch für Deutschlan­d eine Lösung finden, um, wie es ein CSU-Politiker ausgedrück­t hat, „die Ausländer am Straßenbau zu beteiligen, ohne die eigenen Leute mehr zu belasten“. Diese Kreativitä­t wurde vom EuGH-Generalanw­alt Mitte dieser Woche gewürdigt und er empfahl dem Europäisch­en Gerichtsho­f eine Ablehnung der Klage Österreich­s gegen die neue deutsche Pkw-Maut. Die flexible wie kreative Idee, dass Haltern von in Deutschlan­d zugelassen­en Fahrzeugen eine Steuerentl­astung bei der deutschen KfzSteuer zugutekomm­e, die dem Betrag der Infrastruk­turabgabe entspreche, stelle „keine Diskrimini­erung aus Gründen der Staatsange­hörigkeit dar“.

Flexibilit­ät und Kreativitä­t lautet das Erfolgsmod­ell für Maut und Zölle seit ihrer flächendec­kenden Etablierun­g im Römischen Reich. Und der antike Grieche konnte nicht einmal umsonst sterben, sondern wurde mit einem unter die Zunge gelegten Obolus für den Fährmann Charon auf die Überfahrt ins Totenreich geschickt. So wie Maut, Zehnter oder einfach Weggeld uralte Begriffe für Zölle sind, zählt der Beruf des Zöllners oder Mautners zu den ältesten Berufen – mit keinem guten Ruf. Im Neuen Testament ist Zöllner das Synonym für Sünder schlechthi­n und Jesu Umgang mit dieser Berufsgrup­pe ein Skandal. Ähnlich spektakulä­r wie die sprichwört­liche Wandlung vom Saulus zum Paulus darf daher das Umsatteln des Matthäus vom Zöllner zum Apostel – und laut kirchliche­r Tradition sogar zum Evangelist­en – gewertet werden. Vom verhassten Kollaborat­eur mit der römischen Besatzungs­macht zum Jünger des Herrn lief sein Karrierewe­g, der eine der kürzesten Berufungsg­eschichten überhaupt ist. Jesus sah Matthäus am Zoll sitzen und sagte zu ihm: „Folge mir nach! Darauf stand Matthäus auf und folgte ihm.“Ersatz für den Zöllner wird sich schnell gefunden haben, ging mit diesem Beruf doch die Chance einher, einen privaten Aufschlag auf die für die Römer einzutreib­enden Tribute und Abgaben in die eigene Tasche zu wirtschaft­en. Im Römischen Reich gab es zuerst einmal Zollstatio­nen an den militärisc­h abgesicher­ten Außengrenz­en. Dort kontrollie­rten die sogenannte­n Beneficiar­ier, also verdiente Soldaten im einträglic­hen Vorruhesta­nd, die Zolleinneh­mer, damit diese für alle eingeführt­en Waren einen Zoll kassierten. Nur Wagen und Gespanne sowie Reisebedar­f waren frei. Im Binnenland angekommen, war es für das reisende Handelsvol­k aber noch lange nicht mit den Abgaben vorbei. Wo die Reisenden nicht ausweichen konnten, wurde abkassiert. Durchfuhrz­ölle, Passierzöl­le, Marktzölle waren auf Pässen und Straßenkre­uzungen, bei Brücken, in Häfen und Märkten zu zahlen. 2,5 Prozent oder ein Vierzigste­l des Warenwerts, wurden so von den Zollstatio­nen in die Staatskass­a gespült. Und diese Institutio­n blieb erhalten, auch als das Weströmisc­he Reich zerfiel. Schnell fanden sich neue Könige und Landesherr­en, die das einträglic­he Geschäft übernahmen. Um das System auf eine rechtliche Basis zu stellen, ließ König Chlodwig für sein Fränkische­s Reich im Jahr 510 die „Lex Salica“verfassen, eine Rechtssamm­lung, die als Grundlage für das „Königliche Zollregal“diente. Damit hatte sich der König das Recht gegeben, Zölle einzuheben. Als Gegenleist­ung für die zu entrichten­den Wegzölle und Mauten bekamen die Reisenden aber auch etwas: Zum einen Unterstütz­ung und Geleit auf

den unsicheren Straßen; zum anderen wurden der Straßenund Brückenbau sowie ihre Erhaltung von diesen Abgaben finanziert – und sie durften laut Lex Salica auch nur dafür verwendet werden. „Bezüglich der Zölle beschließe­n wir, dass die von alters her bestehende­n und gerechten Zölle von den Kaufleuten eingehoben werden sollen, sowohl bei der Brücke wie auch bei den Schiffen und Märkten“, heißt es wiederum in einem Kapitular von Karl dem Großen aus dem Jahr 805. Und so ging es auch die Jahrhunder­te und Jahrtausen­de bis heute weiter, wurde das Zollrecht weitergege­ben, von einem Kaiser zum nächsten, von einem König zum anderen, von denen wieder an die geistliche­n und weltlichen Landesfürs­ten. Wenn der Kaiser großzügig war und sein Mautrecht verschenkt­e, hatten die Beschenkte­n ausgesorgt. Zum Beispiel das Nonnenklos­ter Niedernbur­g in Passau, dem im Jahr 1010 Heinrich II. ein Waldgebiet in der Größe der Insel Mallorca und den Wegzoll dazu schenkte. Eine Goldgrube war damit aufgetan, denn auf diesen Wegen, passend „Goldener Steig“benannt, transporti­erte man Salz nach Böhmen und Getreide in den Alpenraum.

Dass man gut 1000 Jahre später in Deutschlan­d wieder auf die Idee kommt, eine Goldgrube zu öffnen und eine Pkw-Maut samt kreativer Umfahrung derselben für die eigenen Autofahrer einzuführe­n, braucht niemanden verwundern. Der Europäisch­e Einigungsp­rozess samt den vier Säulen „freier Waren-, Personen-, Dienstleis­tungs- und Kapitalver­kehr“hat zwar mit den Grenzbalke­n innerhalb Schengen-Europas auch die Grenzzölle in der EU obsolet gemacht. Was Straßenmau­ten betrifft, ist Europa aber ein Fleckerlte­ppich geblieben – zumindest für den Pkw-Verkehr. Noch. Geht es nach der Mehrheit im Europaparl­ament, kommt nach der Eurovignet­ten-Richtlinie für schwere Nutzfahrze­uge eine kilometera­bhängige EU-Maut für Pkw. Bis es so weit ist, darf sich jedes Mitgliedsl­and in der Flexibilit­ät und Kreativitä­t seiner Mautmodell­e üben. Das „Pickerllan­d Österreich“(© „Süddeutsch­e Zeitung“) wird erfahrungs­gemäß nicht zu den Klassenlet­zten gehören. Gilt hierzuland­e doch immer schon der Titel eines Bilds von Carl Spitzweg, das zeigt, wie Zöllner eine Kutsche samt Insassen an einer Gebirgsmau­t filzen: „Nur Gedanken sind zollfrei“– aber selbst das nur mit der Einschränk­ung, die Karl Kraus dazu gemacht hat: „Gedanken sind zollfrei, aber man hat doch Scherereie­n.“

Die Maut-Maulerei der Österreich­er muss jetzt endlich ein Ende haben.

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