stolpert Wenn das Hirn
Wir versuchen, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Filter unseres Hirns halten uns davon ab.
Die Häufigkeiten in der Realität und in unserem Gehirn fallen auseinander.
DDie Menschen entscheiden sich oft schlecht: Wir kaufen zu viel im Internet, spielen Lotto, obwohl ein Gewinn extrem unwahrscheinlich ist und inhalieren mit Zigaretten krebserregende Stoffe. Von politisch fragwürdigen Entscheidungen wie dem Brexit und der Wahl von Präsident Trump ganz zu schweigen. Laut Psychologen gibt es für schlechte Entscheidungen vor allem einen Schuldigen: unser Gehirn. Dieses unterliegt einem ganzen Konvolut an Illusionen, die unser Einschätzungsvermögen eintrüben. „Bias“nennen die Psychologen diese kognitiven Verzerrungen.
Mittlerweile seien 173 solche Illusionen beschrieben, sagt Anton Kühberger, Professor für Psychologie an der Salzburger Universität. „Das ist mittlerweile ein heißes Forschungsgebiet geworden“, so der Psychologe. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Denn wer weiß, wie sich unser Gehirn selbst manipuliert, kann das leicht ausnutzen, um andere zu manipulieren. Und das Hirn manipuliert uns ohne Ende: Informationen werden ausgeblendet, Häufigkeiten werden falsch abgespeichert, die eigenen Überzeugungen werden ständig verstärkt. Auch was Zahlen betrifft, täuscht uns unser Gehirn mit Illusionen.
Eine solche Illusion, mit der sich Kühberger intensiv beschäftigt hat, ist die des Framings. Mit „Einrahmungseffekt“könnte man das Phänomen übersetzen. Es bedeutet, dass unterschiedliche Formulierungen den Empfänger unterschiedlich beeinflussen. Auch wenn die Botschaft stets denselben Inhalt hat. Das bekannteste Beispiel ist das halb volle bzw. halb leere Glas. Anton Kühberger kennt dazu ein drastisches Experiment. Dabei wird angenommen, dass eine Epidemie ausbricht, an der 600 Personen sterben werden. Dann lässt man die Versuchspersonen über zwei Möglichkeiten der Behandlung entscheiden. Bei der einen werden 200 Personen mit Sicherheit gerettet. Bei der anderen werden mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel alle Personen gerettet, in zwei Drittel der Fälle werden aber alle Erkrankten sterben.
„Die Mehrheit der Versuchspersonen entscheidet sich für die Variante, bei der sicher 200 Personen gerettet werden. Obwohl statistisch gesehen beide Varianten den gleichen Effekt haben.“Mit dem richtigen Framing lasse sich dieses Verhältnis auch umdrehen, sagt Kühberger. „Spricht man in dem Versuch nicht von 200 geretteten, sondern von 400 Personen, die an der Erkrankung sterben, entscheidet sich die Mehrheit für die Variante, bei der der Zufall entscheidet, die also mehr Risiko birgt.“Dass dieser Effekt politisch ausgenutzt wird, liegt auf der Hand. Aber auch die Politik selbst unterliegt mitunter der Framing-Illusion. „Es zeigt sich, dass Politiker außenpolitisch zu mehr Risiko neigen, wenn sie innenpolitische Probleme haben. Das hat letztlich auch zu der Brexit-Abstimmung geführt.“Bei einem Beispiel aus der österreichischen Politik sei eine andere kognitive Illusion zu tragen gekommen, sagt Anton Kühberger: der Status-quo-Effekt. „Geltende Regelungen werden als die besseren angesehen. Bei der Volksbefragung zur Wehrpflicht wurde die Formulierung verwendet, ob man das bestehende System beibehalten wolle. Das Ergebnis zugunsten der etablierten Regelung lag da auf der Hand.“Die kognitiven Illusionen sind seit den 1970er-Jahren bekannt. Die Psychologen seien damals davon ausgegangen, dass der Mensch zu überhaupt keinen rationalen Entscheidungen in der Lage sei, sagt Anton Kühberger. „Es ist dann aber eine Gegenbewegung in der Psychologie eingetreten. Ich bin ebenfalls überzeugt, dass diese Illusionen für den Menschen auch einen Nutzen haben. Sonst wären wir ja nicht lebensfähig.“Sie dienten auch dazu, unsere komplexe Welt zu ordnen, uns handlungsfähig zu machen. „Wir suchen etwa immer an derselben Stelle einen Lichtschalter. Wir gehen einfach davon aus, dass die immer da sind. Das ist ja auch eine Illusion unseres Gehirns. Aber wenn es die nicht gäbe, müssten wir immer die ganze Wand absuchen.“Das Problem sei nur: Derzeit gebe es sehr viele Effekte, die diese Mechanismen unseres Gehirns verzerrten. Das hat stark mit unserer medialen Welt zu tun. „Wir unterliegen der Illusion von falschen Häufigkeiten. Medien berichten über Sensationelles, nicht über Wahrscheinliches. Es ist etwa sehr unwahrscheinlich, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Durch die intensive Berichterstattung darüber steigt aber unsere Angst davor. Die Häufigkeiten in der Realität und in unserem Gehirn fallen auseinander.“Durch die sozialen Medien würden diese Effekte weiter verstärkt. „Das sieht man auch an den vielen Verschwörungstheorien, die es jetzt gibt. Die sozialen Medien verzerren dieses Bild noch mehr. Auch, weil die Menschen aus gewissen Zirkeln sich immer wieder selbst bestärken.“Das bestätigt etwa auch eine Studie aus Australien: Demnach glauben fünf bis sieben Prozent der dortigen Bevölkerung nicht an einen vom Menschen verursachten Klimawandel. Diese Personen sind aber der Meinung, dass knapp die Hälfte der Bevölkerung ihre Einschätzung teilt. Diese Schieflage rückt jedenfalls vermehrt ins Licht der Öffentlichkeit, das merkt auch Psychologe Anton Kühberger. „Uns fällt auf, dass die Psychologie wieder interessanter wird. Früher hätte man zu Umweltthemen nie einen Psychologen gefragt.“