Schwarze Kritik an den Türkisen
Seit Sebastian Kurz den Parteivorsitz übernahm, hat sich die ÖVP ihr einst liebstes Hobby, das Streiten, abgewöhnt. Nur die alte Garde muckt noch gegen den neuen Chef auf.
Eine Abrechnung mit Sebastian Kurz? Keine Spur. Er habe nicht vor, sich an seinem Nachfolger abzuarbeiten, versichert der ehemalige ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, der demnächst ein Buch über seine Jahre in der Politik vorlegen wird. Sein unsanfter Abgang und die Machtübernahme durch Kurz werde den Inhalt nur eines von 13 Kapiteln bilden, sagt Mitterlehner, der 2017 eher unsanft von Kurz aus dem Amt als ÖVPChef gedrängt wurde. Und bald darauf mitansehen musste, dass Kurz gelang, was seit Wolfgang Schüssel keinem ÖVP-Obmann gelungen war, nämlich ein Wahlsieg und die Übernahme des Kanzleramts.
Auch wenn das „Kapitel Kurz“nur ein Kurzkapitel seines Buchs sein sollte, zählt Mitterlehner doch zu jenen einst führenden ÖVP-Proponenten, die der neuen, von Sebastian Kurz geschaffenen türkisen ÖVP alles andere als grün sind. Und während von den heute aktiven ÖVP-Politikern kaum einer gegen den erfolgreichen neuen Parteiobmann aufmuckt, kommt aus der „alten Garde“der Volkspartei mitunter lautes Murren. Vorläufiger Höhepunkt: der Parteiaustritt des ehemaligen Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreters Arno Gasteiger. In einem bitteren Brief bezeichnete der frühere ÖVP-Spitzenpolitiker die heutige ÖVP als „rechtspopulistische Bewegung“. Gasteiger kritisierte namentlich die Asylpolitik der ÖVP und den Umstand, dass Kurz den „gesamten Sicherheitsapparat“der „äußeren Rechten“(nämlich der FPÖ) „ausgeliefert“habe (SN von 13. Februar).
Gasteiger ist nicht allein. Der ehemalige Raiffeisen-Manager Ferry Maier, der einst sogar ÖVP-Abgeordneter und Generalsekretär war, zählte schon lang vor Sebastian Kurz zu den Unzufriedenen, seine Parteimitgliedschaft hat er 2014 ruhend gestellt. Für Gasteigers Schritt findet Maier lobende Worte: „Ich staune. Ich finde es gut, dass jemand wie Gasteiger sich auch artikuliert“, sagt der ehemalige Mandatar. Es sei nur traurig, „dass sonst nur Grabesruhe herrscht – das sagt eigentlich alles über den Zustand der ÖVP aus“. Arno Gasteiger sei sicher nicht der Einzige, der so denke. „Aber es haben nur wenige den Mut, was zu sagen.“Die Kritik Gasteigers an der Kurz-ÖVP „kann ich unterschreiben“, sagt Maier. „Es gibt eine türkise Gruppe, die mit der ÖVP nichts mehr zu tun hat.“
Auch Maiers einstiger Chef bei Raiffeisen, der ehemalige Generalanwalt Christian Konrad, zählt zu den verlässlichsten Kritikern des neuen Parteichefs und Kanzlers. Konrad war 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise zum Asylkoordinator bestellt worden. Der damals bereits pensionierte Raiffeisen-Gewaltige nutzte seine Österreich umspannenden Kontakte, organisierte und netzwerkte und sorgte dafür, dass die Flüchtlinge – die Konrad als Menschen und nicht als lästige Kostenfaktoren betrachtete – ein Dach über dem Kopf erhielten. Mit dem harten Asylkurs des neuen Kanzlers kann der erklärte Christlichsoziale Konrad nichts anfangen. In einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“warf er Kurz vor, in der Flüchtlingsfrage „auf ein anderes Gleis abgebogen“zu sein. Er respektiere Kurz und sein politischen Talent, sagte der in tiefschwarzem Milieu verankerte Konrad, aber „in der Frage Humanität sind wir auseinander“.
Auch Heinrich Neisser, ehemaliger ÖVP-Minister, -Klubchef und Zweiter Nationalratspräsident, findet nicht viel Gutes an der Politik der neuen ÖVP. Schon die Vorgangsweise bei der Machtübernahme durch Kurz missfiel dem AltÖVPler: „So kann eine Partei, die sich einmal als staatstragend bezeichnet hat und die Regierungsverantwortung über viele Phasen der Zweiten Republik übernommen hat, nicht in der politischen Arena agieren“, sagte er damals in einem SN-Interview. Und warf dem neuen Parteichef unverblümt Populismus vor. Mittlerweile hat Neisser zarte Bande zu den Neos geknüpft, scheut aber nach wie vor den offenen Bruch mit seiner alten politischen Heimat, der ÖVP.
Kritische Worte kamen zuletzt auch vom einstigen Parteichef und Vizekanzler Erhard Busek. Ihn störte vor allem die Ablehnung des UNO-Migrationspakts durch Österreich, die nur „schwer erklärbar“(Busek) sei. Mitunter ertönt sogar Kritik aus den Reihen aktiver ÖVPPolitiker, wenngleich nur aus der zweiten. Erwin Zangerl, Tiroler AKChef, wettert schon seit Monaten gegen die türkis-blaue Regierung. „Als christlich-sozialer schwarzer Arbeitnehmervertreter schäme ich mich für diese neoliberale Politik, die diese unsozialen Türkisen derzeit betreiben“, sagte er, als der Zwölf-Stunden-Tag beschlossen wurde. Die Regierung betreibe eine „Politik der Spaltung“, warnt Zangerl, der trotz seines scharfen Kurses bei der jüngst abgeschlossenen AK-Wahl leichte Verluste einfuhr.
Und auch Kurz’ direkter Vorgänger Mitterlehner hat inhaltlich einiges auszusetzen an der Politik des ungeliebten Nachfolgers. Der einstige Vizekanzler kämpft gegen die Abschiebung von Asylbewerbern, die eine Lehre machen. Und bezeichnet die Kassenreform der Regierung als „totale Zentralisierung“.
„Nur wenige haben den Mut, was zu sagen.“Ferry Maier, Ex-ÖVP-Nationalrat „Die totale Zentralisierung.“Reinhold Mitterlehner, Ex-ÖVP-Chef