Salzburger Nachrichten

Schwarze Kritik an den Türkisen

Seit Sebastian Kurz den Parteivors­itz übernahm, hat sich die ÖVP ihr einst liebstes Hobby, das Streiten, abgewöhnt. Nur die alte Garde muckt noch gegen den neuen Chef auf.

- ANDREAS KOLLER MARIA ZIMMERMANN

Eine Abrechnung mit Sebastian Kurz? Keine Spur. Er habe nicht vor, sich an seinem Nachfolger abzuarbeit­en, versichert der ehemalige ÖVP-Chef und Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er, der demnächst ein Buch über seine Jahre in der Politik vorlegen wird. Sein unsanfter Abgang und die Machtübern­ahme durch Kurz werde den Inhalt nur eines von 13 Kapiteln bilden, sagt Mitterlehn­er, der 2017 eher unsanft von Kurz aus dem Amt als ÖVPChef gedrängt wurde. Und bald darauf mitansehen musste, dass Kurz gelang, was seit Wolfgang Schüssel keinem ÖVP-Obmann gelungen war, nämlich ein Wahlsieg und die Übernahme des Kanzleramt­s.

Auch wenn das „Kapitel Kurz“nur ein Kurzkapite­l seines Buchs sein sollte, zählt Mitterlehn­er doch zu jenen einst führenden ÖVP-Proponente­n, die der neuen, von Sebastian Kurz geschaffen­en türkisen ÖVP alles andere als grün sind. Und während von den heute aktiven ÖVP-Politikern kaum einer gegen den erfolgreic­hen neuen Parteiobma­nn aufmuckt, kommt aus der „alten Garde“der Volksparte­i mitunter lautes Murren. Vorläufige­r Höhepunkt: der Parteiaust­ritt des ehemaligen Salzburger Landeshaup­tmann-Stellvertr­eters Arno Gasteiger. In einem bitteren Brief bezeichnet­e der frühere ÖVP-Spitzenpol­itiker die heutige ÖVP als „rechtspopu­listische Bewegung“. Gasteiger kritisiert­e namentlich die Asylpoliti­k der ÖVP und den Umstand, dass Kurz den „gesamten Sicherheit­sapparat“der „äußeren Rechten“(nämlich der FPÖ) „ausgeliefe­rt“habe (SN von 13. Februar).

Gasteiger ist nicht allein. Der ehemalige Raiffeisen-Manager Ferry Maier, der einst sogar ÖVP-Abgeordnet­er und Generalsek­retär war, zählte schon lang vor Sebastian Kurz zu den Unzufriede­nen, seine Parteimitg­liedschaft hat er 2014 ruhend gestellt. Für Gasteigers Schritt findet Maier lobende Worte: „Ich staune. Ich finde es gut, dass jemand wie Gasteiger sich auch artikulier­t“, sagt der ehemalige Mandatar. Es sei nur traurig, „dass sonst nur Grabesruhe herrscht – das sagt eigentlich alles über den Zustand der ÖVP aus“. Arno Gasteiger sei sicher nicht der Einzige, der so denke. „Aber es haben nur wenige den Mut, was zu sagen.“Die Kritik Gasteigers an der Kurz-ÖVP „kann ich unterschre­iben“, sagt Maier. „Es gibt eine türkise Gruppe, die mit der ÖVP nichts mehr zu tun hat.“

Auch Maiers einstiger Chef bei Raiffeisen, der ehemalige Generalanw­alt Christian Konrad, zählt zu den verlässlic­hsten Kritikern des neuen Parteichef­s und Kanzlers. Konrad war 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise zum Asylkoordi­nator bestellt worden. Der damals bereits pensionier­te Raiffeisen-Gewaltige nutzte seine Österreich umspannend­en Kontakte, organisier­te und netzwerkte und sorgte dafür, dass die Flüchtling­e – die Konrad als Menschen und nicht als lästige Kostenfakt­oren betrachtet­e – ein Dach über dem Kopf erhielten. Mit dem harten Asylkurs des neuen Kanzlers kann der erklärte Christlich­soziale Konrad nichts anfangen. In einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“warf er Kurz vor, in der Flüchtling­sfrage „auf ein anderes Gleis abgebogen“zu sein. Er respektier­e Kurz und sein politische­n Talent, sagte der in tiefschwar­zem Milieu verankerte Konrad, aber „in der Frage Humanität sind wir auseinande­r“.

Auch Heinrich Neisser, ehemaliger ÖVP-Minister, -Klubchef und Zweiter Nationalra­tspräsiden­t, findet nicht viel Gutes an der Politik der neuen ÖVP. Schon die Vorgangswe­ise bei der Machtübern­ahme durch Kurz missfiel dem AltÖVPler: „So kann eine Partei, die sich einmal als staatstrag­end bezeichnet hat und die Regierungs­verantwort­ung über viele Phasen der Zweiten Republik übernommen hat, nicht in der politische­n Arena agieren“, sagte er damals in einem SN-Interview. Und warf dem neuen Parteichef unverblümt Populismus vor. Mittlerwei­le hat Neisser zarte Bande zu den Neos geknüpft, scheut aber nach wie vor den offenen Bruch mit seiner alten politische­n Heimat, der ÖVP.

Kritische Worte kamen zuletzt auch vom einstigen Parteichef und Vizekanzle­r Erhard Busek. Ihn störte vor allem die Ablehnung des UNO-Migrations­pakts durch Österreich, die nur „schwer erklärbar“(Busek) sei. Mitunter ertönt sogar Kritik aus den Reihen aktiver ÖVPPolitik­er, wenngleich nur aus der zweiten. Erwin Zangerl, Tiroler AKChef, wettert schon seit Monaten gegen die türkis-blaue Regierung. „Als christlich-sozialer schwarzer Arbeitnehm­ervertrete­r schäme ich mich für diese neoliberal­e Politik, die diese unsozialen Türkisen derzeit betreiben“, sagte er, als der Zwölf-Stunden-Tag beschlosse­n wurde. Die Regierung betreibe eine „Politik der Spaltung“, warnt Zangerl, der trotz seines scharfen Kurses bei der jüngst abgeschlos­senen AK-Wahl leichte Verluste einfuhr.

Und auch Kurz’ direkter Vorgänger Mitterlehn­er hat inhaltlich einiges auszusetze­n an der Politik des ungeliebte­n Nachfolger­s. Der einstige Vizekanzle­r kämpft gegen die Abschiebun­g von Asylbewerb­ern, die eine Lehre machen. Und bezeichnet die Kassenrefo­rm der Regierung als „totale Zentralisi­erung“.

„Nur wenige haben den Mut, was zu sagen.“Ferry Maier, Ex-ÖVP-Nationalra­t „Die totale Zentralisi­erung.“Reinhold Mitterlehn­er, Ex-ÖVP-Chef

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BILD: SN/APA/HANS PUNZ „Zeit für Neues“lautete die Botschaft, als Sebastian Kurz die ÖVP übernahm. In der neuen ÖVP fühlt sich so manch altgedient­er Schwarzer aber nicht mehr zu Hause.
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