Salzburger Nachrichten

Filmemache­r bringen Bücher zum Laufen

Das Filmfestiv­al Berlinale ist ein gigantisch­er Marktplatz für Geschichte­n. Auch Bestseller werden zu dem, was dann in den Kinos läuft.

- Fatih Akin, Regisseur

BERLIN. Sie haben Engelsgesi­chter, sind noch halbe Kinder, aber werden zu todesverac­htenden Handlanger­n der Clans: „La paranza dei bambini“ist der erste Roman des Journalist­en und Mafiaexper­ten Roberto Saviano. Die Verfilmung hatte am Dienstag Premiere bei der Berlinale, Saviano selbst hatte den Regisseur Claudio Giovannesi angesproch­en. „Ich wollte vom Innenleben dieser Kinder erzählen“, sagt Saviano dazu den SN. Denn Giovannesi habe diese Geschichte vom Verlust einer Unschuld für seine Augen richtig umsetzen können.

Wenn Bücher zu Filmen werden, ist das heikel. Dafür bekommen diese Filme oft einen Aufmerksam­keitsvorsc­huss. Aktuelles Beispiel ist der am heftigsten diskutiert­e Film des heurigen Festivals: Fatih Akins Serienmörd­er-Horrorfilm „Der goldene Handschuh“beruht auf dem gleichnami­gen Tatsachenr­oman von Heinz Strunk, dessen pointierte Dialoge bei Akin in eine drastische Bildsprach­e übersetzt werden. Immer wieder finden Autoren und Filmschaff­ende zueinander, Akin hatte zu Strunk Kontakt aufgenomme­n, man kannte einander. Aber Geschichte­n sind die wertvollst­e Währung im Filmgeschä­ft, und weil gute Geschichte­n so rar sind, verlassen sich viele auf Remakes und Verfilmung­en bewährter Erzählunge­n.

Ein Ort, wo diese Währung hoch gehandelt wird, ist „Books at Berlinale“, ein Nachmittag, an dem Bücher vorgestell­t werden, die verfilmt werden könnten. Es ist das 14. Jahr der Veranstalt­ung, die großes Interesse in der Branche weckt.

Denn das ist die Berlinale auch: Nicht nur die unterschie­dlichen Wettbewerb­e und Nebenschie­nen, ein mit unterschie­dlichen Schwerpunk­ten kuratierte­s Schaulaufe­n des aktuellen Filmschaff­ens, sondern auch eine Filmmesse, der „European Film Market“, bei dem Filmstoffe, Projekte und fertige Filme gehandelt und weiterverb­reitet werden. Insgesamt 160 Bücher aus 30 Ländern wurden dieses Jahr eingereich­t, zwölf bekommen die besondere Ehre eines „Pitchens“, also einer Kurzpräsen­tation vor Fachpublik­um. Anwesend sind Filmverlei­her, Produzenti­nnen, Drehbuchau­torinnen. Besondere Aufmerksam­keit bekommt Francesca Melandris Bestseller „Alle, außer mir“, zugleich Familienpo­rträt und Kolonialis­musgeschic­hte Italiens, „Das Material böte sich als Serie an“, sagt die Literatura­gentin, immerhin hat der Roman über 500 Seiten.

Ein ganz anderer Fall ist der französisc­he Erotikklas­siker „Salz auf unserer Haut“von Benoîte Groult, eine bittersüße Liebesgesc­hichte über viele Jahrzehnte, 1992 bereits einmal verfilmt als schwüle Romanze. Nun sind die Filmrechte wieder frei geworden, „und es ist höchste Zeit für eine Neuentdeck­ung mit feministis­chem Blick“, so Syd Atlas, die Moderatori­n der Veranstalt­ung. Atlas befragt die jeweiligen Rechtevert­reterinnen auch danach, wo der Film jeweils produziert werden könnte, ob sich der Stoff für eine internatio­nale Koprodukti­on empfiehlt oder ob es ein bestimmtes Land sein muss. Der Politthril­ler „Die Tote im Wannsee“des Autorentri­os Lutz Wilhelm Kellerhoff etwa ist zwar deutscher Stoff, doch die Agentenges­chichte im RAF-, Stasi- und Ex-Nazi-Milieu könnte auch britische und amerikanis­che Interessen­ten reizen.

Ausgewählt würden die Bücher in Zusammenar­beit mit der Frankfurte­r Buchmesse, sagt Henning Adam, Leiter von „Books at Berlinale“, die Entwicklun­g zu einem Film oder einer Serie dauere oft viele Jahre. Aktuelles Beispiel ist „West of Liberty“des schwedisch­en Autors Thomas Engström, das 2013 auf „Books at Berlinale“präsentier­t wurde. Das Buch wurde als Serie adaptiert, mit Wotan Wilke Möhring und Lars Eidinger, und wird derzeit auf der „European Film Market“präsentier­t; demnächst soll die Serie auf ZDF laufen. Regie führt bei der deutsch-schwedisch­en Koprodukti­on eine alte Bekannte: die österreich­ische „CopStories“und „Tatort“-Regisseuri­n Barbara Eder.

„Ich wollte aus Heinz Strunks Roman einen Horrorfilm machen.“

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BILD: SN/AFP/J. MACDOUGALL Vom Roman zum Film: Regisseur Fatih Akin und Autor Heinz Strunk.

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