„Mosaik wird zum Gesamtbild“
David Schalkos jüngster Streich, seine Neuverfilmung des Themas von Fritz Langs berühmtem Kino-Kindermörder-Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, spielt im Wien der Gegenwart.
SN: Herr Schalko, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Neuverfilmung von „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“von Fritz Lang zu machen, und das als TV-Serie? Sie sollen den Film zufällig gesehen haben, heißt es.
David Schalko: Ich dachte, das sei ein wahnsinnig aktuelles Thema. Das Konzept besticht: Eine Stadt als Protagonistin, deren Vermobbung und Verrohung zu zeigen – und die Geschichte in die Gegenwart zu holen.
SN: In der multimedialen Gegenwart ist die Frage spannend: In welchem Medium haben Sie den Film damals gesehen?
Ich habe ihn auf YouTube gesehen, da gab es die restaurierte HD-Fassung.
SN: Ist „M“eine Miniserie oder eher ein Film in Teilen?
Es ist eine abgeschlossene Geschichte. Eine Serie, die viele Figuren hat, die auch nötig sind, um die Dinge nicht an der Oberfläche zu lassen. Ein Mosaik, das am Ende ein Gesamtbild ergibt. Fritz Lang würde den Stoff heute wahrscheinlich ebenfalls als Miniserie machen.
SN: Wo liegt für Sie der Schwerpunkt von „M“, da doch so viele Genres ineinanderfließen?
Was den neuen Film zusammenhält, ist die Ästhetik, die auch eine Hommage an die Studiozeit des deutschen Expressionismus ist. Es ist eine Milieustudie, ein Politthriller, ein Polizeifilm. Die vielen Figuren stehen für unterschiedliche Genres. Das Leben hat ja auch kein Genre.
SN: Sie haben, wie bei Ihnen üblich, eine großartige Besetzung mit klangvollen Namen.
Die Besetzungsstrategie war, die kleineren Rollen sehr prominent zu besetzen und die ganz großen Rollen mit eher unbekannteren Schauspielern. Es sollte kein Stadtbild entstehen, in dem eine bekannte Figur nach der anderen durchs Bild geht. Dies auch, damit die Stadt Hauptdarstellerin bleibt.
SN: Das erinnert an die Serie „Babylon Berlin“, deren Hauptrollen von Newcomern gespielt wurden, während die bekannten Namen in kleinen Rollen zum Zug kamen.
Der Trend zu unbekannteren Schauspielern ist im Augenblick bei Serien systemimmanent. Das hat auch damit zu tun, dass der Identifikationsfaktor von Serien dann höher ist. Es gibt aber wenige Serien, die so viele Figuren haben. Da braucht es natürlich große Schauspieler, die das Szenario ein bisschen zusammenhalten. Die Möglichkeit, in die Breite zu gehen, was in Serien möglich ist, wird zunehmend ausgenutzt.
SN: Es gibt noch eine Parallele zum Original: Beide Drehbücher stammen von Ehepaaren. Beim ursprünglichen „M“waren Regisseur Fritz Lang und Thea von Harbou für das Script verantwortlich, nun stammt das Script von Ihnen und Ihrer Ehefrau Evi Romen.
Das hat nichts damit zu tun. Unsere Beziehung ist auch nicht die gleiche, im Gegenteil. Harbou war eine Nationalsozialistin. Fritz Lang ist emigriert und wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Der Grund für die Zusammenarbeit von Evi und mir ist ein rein beruflicher. Ich weiß, was für eine gute Dramaturgin und Autorin sie ist. Und ich wollte das Drehbuch auf keinen Fall allein schreiben.
SN: War in diesem Zusammenhang auch der weibliche Blick wichtig?
Absolut. Evi hat eine viel feingliedrigere Art des Erzählens. Ich bin einer, der gewohnt ist, draufloszuschreiben, mir die Dinge zu erschreiben, und bei ihr ist es genau umgekehrt. Wir haben zwei unterschiedliche Schreibmethoden, die wir zu einer verschmelzen mussten. Und das war für mich auch reizvoll, weil ich mein Schreiben ein bisschen verändern wollte.
SN: Ein Bruch zum Original war abgesehen von der Transkription in die Gegenwart die Verlegung von Berlin nach Wien. Kommt die aktuelle innenpolitische Diskussion für die Serie wie gerufen? Als hätten Sie es geahnt …
Wir haben vor vier Jahren begonnen zu schreiben. Da war die heutige Situation nur zu antizipieren. Es ist auch kein Abbild von Kurz, sondern beschreibt einen gewissen Typus von Politiker, den es in ganz Europa gibt. Die Realität hat die Serie ein bisschen eingeholt. Es geht ja nicht um den Mord an sich, sondern wie er instrumentalisiert und benutzt wird.
SN: Ihre „Trilogie der Gier“ist mit dem Roman „Schwere Knochen“abgeschlossen. Wann kommt die Verfilmung?
Wir haben die Serie bei der Berlinale präsentiert und sind aus zehn internationalen Projekten ausgewählt worden, um sie bei Series Mania in Frankreich zu präsentieren. Was die Chancen einer Realisierung zusätzlich erhöht. Mal sehen. Reden wir in zwei Jahren weiter. David Schalko, 1973 in Waidhofen/Thaya geboren, ist einer der herausragenden österreichischen Autoren („Weiße Nacht“) und Regisseure („Braunschlag“), oft in Personalunion. Besonders erfolgreich entwickelt er Fernsehsendungen („Willkommen Österreich“).
„Die Realität hat die Serie eingeholt.“ David Schalko, Regisseur und Autor