Unterwegs mit Niki Nazionale
Zwei Weggefährten kramen im Gedächtnis. Niki Lauda ist 70 Jahre alt. Den größeren Teil dieser Lebenszeit haben die SN-Sportjournalisten Gerhard Kuntschik und Othmar Behr die Motorsportlegende begleitet. Begegnungen zwischen Rennbox und Café Imperial.
NNicht zu glauben, aber der, der als Niki Nazionale gilt, wird am 22. Februar schon 70. Und wir alle wünschen Herrn Lauda Gesundheit und die Kraft, dass er diesen Tag auch richtig genießen kann. Da Sportler, ob aktive oder ehemalige, zu Fragen nach runden Geburtstagen und Altersjubiläen erfahrungsgemäß so gar nichts wissen (wollen), sparen wir uns die Nachfrage. Blicken zurück auf das, was uns spontan aus 47 Jahren Koexistenz mit Niki im Motorsport und Wirtschaftsleben so einfällt.
Selbst der junge Herr Lauda war eine Respektsperson, und gemäß eigener guter Erziehung begannen die ersten Gespräche mit dem Formel-2-Fahrer und Grand-PrixAspiranten stets mit „Herr Lauda, werden Sie …“. Die Höflichkeit wurde zwar bald beiderseits ein wenig reduziert, der gegenseitige Respekt blieb.
Als Lauda rund 15 Jahre nördlich von Hof bei Salzburg beheimatet war, war er natürlich noch mehr „unser“Lokalmatador. Interviews im Anwesen waren ein Highlight einer jungen Journalistenlaufbahn. Paparazzi-Angst war bei Lauda keine zu erkennen. Etwas schwieriger war das Ausmachen von persönlichen oder telefonischen Gesprächen, denn – ja, es gab eine Zeit vor Mobiltelefonen. Nur Festnetz. Und da noch Geheimnummern. Auftragsdienst. Ersuchen um Rückruf. Lauda rief zurück, wenn er zu Hause war. Oder er war im Hotel in irgendwo erreichbar.
March, BRM, Ferrari, Brabham, Kunstpause, McLaren. Die Anfänge als „Airliner“. Lauda erkannte schon früh: Die Medien brauchten ihn, aber er brauchte auch die Medien. Sport. Wirtschaft. Gesellschaft. Wir waren seine Klientel, und er war für uns greifbar. „Wie macht ihr das mit euren Stars?“, fragten später oft deutsche Kollegen, als wir längst dank Handy mit Lauda & Co. direkt sprachen, selbst die Deutsche Presseagentur aber Schumacher so zitieren musste: „… teilte Michael Schumacher auf seiner Homepage mit.“
Lauda „konnte“fast mit allen Journalisten, wusste Medien einzuschätzen. Kam deshalb auch selten in die Kritik. Für die SN gab er als Rennfahrer genauso viel her wie als Unternehmer. Salzburg war privat und beruflich wichtig. Als die Lauda Air mit den Canadair-Jets hier einen Minihub errichtete und täglich mehrmals Frankfurt, Brüssel, London und Paris anflog, hatte der Salzburg Airport Verbindungen, denen Vielflieger heute noch nachtrauern. Dazu passte, dass Niki seine erste Triple Seven (Boeing 777) auf einer Pressekonferenz in Salzburg vorstellte. Und Ehrengast der SN-Sportgala war.
Mit Niki im Privatjet zu einem Grand Prix zu fliegen war ein Erlebnis – und ersparte viel Nachfragen beim Rennen dank des „fliegenden Interviews“. Mit ihm verlief alles direkt. Lauda berichtete viel, „was du aber net schreiben darfst“, doch die Hintergrundinfo war da.
Lauda als „Sparefroh“war so eine andere Sache. Den Ruf hat er sich redlich erarbeitet, doch es kam immer ein Gegenwert. In den vergangenen Jahren fanden längere Lauda-Interviews, wenn nicht in einem Motorhome auf einer F1-Strecke, stets beim Frühstück statt. Im Wiener „Imperial“. Wenn der schwarze AMG mit S-Kennzeichen vor dem Eingang parkte, ordinierte Doktor Lauda. Im Café, hinten rechts, hinter dem Paravent. Kürzlich war ein Herr Kurz sein Gesprächspartner unmittelbar vor dem SN-Redakteur. Das war das billigste Interview für das SN-Budget, denn Herr Kurz hatte übernommen. Ansonsten ging das Frühstücksinterview auf Redaktionskosten. „Schließlich wollt ihr ja was von mir“, pflegte Niki zu sagen.
Wer meint, die Formel 1 sei heute zu ernst, der braucht nur Sonntag früh bei einem GP in Red Bulls Energy Station zu gehen. 1. Stock, Lauda mit Helmut Marko, oft auch Christian Horner. Teils tiefschürfend, teils kabaretthaft. Einen trockenen Humor hat NN stets behalten. Wir wünschen Niki Nazionale gute Beschleunigung im Gesundwerden. Und noch viele Runden mit Speed.
LLauda im Fahrerlager, das gehörte von Sommer 1971 bis Sommer 2018 zur Formel 1 wie Startlinie und Zielflagge. Beim Großen Preis von Frankreich im vergangenen Sommer in Le Castellet fiel dem Fotografen Rainer Schlegelmilch, der erstmals 1962 Szenen eines Grand Prix mit der Kamera festgehalten hatte, Laudas schleppender Gang auf. „Jetzt wird auch der Niki langsam alt“, merkte Schlegelmilch an, nicht ahnend, dass der Wiener offenbar schon von der schweren Krankheit gezeichnet war, die wenige Tage später voll ausbrach. In Le Castellet erlebte das Volk im Fahrerlager zum vorläufig letzten Mal ihren Niki. Er suchte wie immer nicht den kürzesten Weg vom Eingang zu seinem Stützpunkt. Ein Kimi Räikkönen etwa hastet stets mit dem Handy am Ohr in Richtung Motorhome – ansprechen nicht gestattet! Niki Lauda schüttelt Hände, blickt geduldig in hingehaltene Selfie-Objektive und hält in Runden, die sich spontan ergeben, improvisierte Vorträge über die Rennfahrerei. Auf die Frage, was sich ein Teamkollege denkt, wenn der andere Fahrer wegen eines technischen Defekts rausfliegt, erklärte er einmal verdutzten Leuten: „Er denkt sich, ein Gegner weniger auf der Strecke. So ist es. Der Motorsport ist frei von jeder Sentimentalität. Das muss auch einmal klar gesagt sein.“
Die klaren Worte sind ein Markenzeichen des Niki Lauda und so selbstverständlich für ihn wie das rote Kapperl. Ruft der Job auf der Kommandobrücke seines Arbeitgebers Mercedes AMG Petronas F1 Team, ist es vorbei mit der Plauderei. „Jetzt nicht, später.“Bei Lauda gibt es dieses Später an einem Grand-Prix-Wochenende tatsächlich. Er ist da. Für mehr oder weniger wichtige Repräsentanten der Rennszene und für Fans vieler Altersstufen. Andere Prominente verdrücken sich.
Eine klare Meinung hatte Lauda auch über seinen Sechziger vor zehn Jahren: „Ein Geburtstag, na und?“Einen Wendepunkt in Laudas Leben markiert der 1. August 1976. Feuerunfall auf dem Nürburgring. Sein Umgang damit ist schnörkellos. Am 30. Jahrestag des Geschehens sagte er im SN-Interview: „Der Unfall an sich, der hat mich gar nicht überrascht. Als ich im Krankenhaus aufgewacht bin, habe ich gewusst, es ist nun eben passiert. Und in einem Krankenhaus aufzuwachen, das war eh das Beste, was in der damaligen Zeit in so einem Fall geschehen konnte.“
Zu diesem 30. Jahrestag organisierten Weggefährten im August 2006 auf dem Nürburgring ein Treffen zwischen Lauda und dem italienischen Rennfahrer Arturo Merzario, der den Österreicher beherzt aus dem brennenden Ferrari gezogen hatte. Lauda hielt sich ein Schweinsohr an den Kopf, nahe der Stelle, wo bis zum Unfall das rechte Ohr seinen Platz hatte. „Meines habe ich ja nicht mehr.“Der Legende nach erschreckte Lauda einmal eine US-Reporterin an der Unfallstelle. Er soll ein zuvor verstecktes verschrumpeltes Keks mit den Worten „Da ist ja mein Ohr“vom Boden aufgehoben haben.
Ernst wurde Lauda nach einer Vorführung des Hollywood-Films „Rush“im Jahr 2013 in einem kleinen Kreis noch vor der offiziellen Premiere – natürlich auf dem Nürburgring. Im Film geht es um das Duell Niki Lauda gegen James Hunt in jener WM-Saison 1976. Der Feuerunfall und Laudas Überlebenskampf sind die dramatischen Höhepunkte. „Die Szenen im Krankenhaus sind mir schon nahegegangen“, sagte Lauda, „das mit der Letzten Ölung – da wird mir wieder bewusst, wie knapp alles wirklich war.“
In einer Filmszene fragt ein italienischer Reporter den von Daniel Brühl dargestellten Lauda voll mit Brandwunden: „Wie lange wird Ihre Frau noch bei Ihnen bleiben, mit so einem Gesicht?“Später vermöbelt James Hunt (dargestellt von Chris Hemsworth) den Reporter auf einer Toilette. Lauda: „Die Frage ist mir in Monza bei der Pressekonferenz tatsächlich gestellt worden. Ob der James so wie im Film reagiert hat, das weiß ich nicht – vorstellen kann ich’s mir.“