Salzburger Nachrichten

Wo der Fundamenta­lismus anfing

Die Bibel und ihre wörtliche Auslegung sind eine politische Macht. Daher wird es dem Phänomen des Fundamenta­lismus nicht gerecht, wenn man ihn nur mit dem Islam verbindet.

- ANDREAS G. WEISS

IIn seinem viel beachteten Buch „Thumpin’ It“setzte sich Jacques Berlinerbl­au mit der Rolle der Bibel in der US-amerikanis­chen Politik auseinande­r. Dies ist umso bemerkensw­erter, weil er als Professor für Jüdische Kulturgesc­hichte diese Thematik von einem Standpunkt mit gewisser Distanz vornehmen wollte: Die Bibel taucht in der gesellscha­ftspolitis­chen Entwicklun­g der USA an unterschie­dlichen Stellen auf. In so gut wie allen Fällen erfüllt sie jedoch keinen genuin religiösen Zweck, sondern dient der Erreichung sehr irdischer Ziele. Es werden ihr Argumentat­ionsmuster, Identitäts­motive oder allseits bekannte Szenarien entnommen, um eine intendiert­e Wirkung in der Adressaten­schaft zu erzielen.

Donald Trump reiht sich nahtlos in die gesellscha­ftspolitis­che Funktional­isierung der Bibel ein. Dazu passend die These von Jacques Berlinerbl­au: Die Bibel ist eine politische Macht. Ihr Einsatz gibt moralische­n und ideologisc­hen Rückhalt, der Stabilität und Durchsetzu­ngskraft erzeugt. Die Bibel ermöglicht symbolisch­e Bezüge, mit ihr in der Hand lässt sich Nachdruck erzeugen. Sie wirkt wie ein Abwehrschi­ld, der als unhinterfr­agte Autorität in der Öffentlich­keit eingesetzt werden kann. Bei ihr handelt es sich mehr um ein Werkzeug öffentlich­keitswirks­amer Rhetorik als um eine Quelle spirituell­en Lebens – wenngleich das nicht ausgeschlo­ssen wird.

Wenn es heute in Debatten um den Fundamenta­lismus geht, denken viele entweder an die islamistis­chen Selbstmord­attentäter, die sich offenbar liebend gerne in die Glaubenswe­lten einer spätantike­n Zeit zurückbomb­en wollen, oder aber man hat traditiona­listische Gruppierun­gen christlich­er Kirchen vor Augen, die wohl nur allzu bereitwill­ig wieder ins finstere Mittelalte­r zurückkehr­en wollen und heimlich schon wieder an Scheiterha­ufen schichten. Beide Vorstellun­gen sind angesichts aktueller Entwicklun­gen durchaus verständli­ch, doch werden sie dem komplexen Phänomen des Fundamenta­lismus nicht gerecht.

Zunächst muss klargestel­lt werden: Der Fundamenta­lismus ist ein genuin modernes Phänomen. Fundamenta­listen sind ohne die aufkommend­e Moderne gar nicht zu denken. Man muss sogar sagen, dass Fundamenta­listen ohne ihren fortschrit­tlichen Widerpart völlig sinnlose und ziellose Gestalten wären. Schließlic­h war der Fundamenta­lismus seit seinen ersten Entwicklun­gen eine Weltsicht, die sich von der Moderne absetzen wollte. Also: Ohne Moderne gäbe es auch keine Notwendigk­eit, einen Fundamenta­lismus zu begründen. Ohne Gegner würde jeder fundamenta­listische Kampfsport­ler zu einem Schattenbo­xer werden. Insofern gab es im Mittelalte­r oder in der Antike noch keine Fundamenta­listen.

Als religiöse Bewegung hat diese Haltung ihre Ursprünge denn auch nicht in den muslimisch­en Gebieten, sondern in den USA, genauer gesagt in Kalifornie­n, und feiert – wenn man das so bezeichnen kann – ziemlich genau ihren 100. Geburtstag. Die damalige Zeit war von den Erfolgen der modernen Wissenscha­ften geprägt. Deren bahnbreche­nde Erkenntnis­se forderten die Glaubensan­sichten der Menschen heraus. Als Antwort auf diese „Relativier­ungen“– zum Beispiel die der Erschaffun­g der Welt in sechs Tagen durch die Evolutions­theorie – forderten konservati­ve Kreise eine umso größere Konzentrat­ion auf unumstößli­che Wahrheiten des Glaubens.

Man wandte sich, als sich die Moderne wissenscha­ftlich zu ihren ersten Höhepunkte­n entwickelt­e, einfach von ihr ab und versuchte, ihr eine Gegenreali­tät, die einzig wahre Realität des christlich­en Glaubens, entgegenzu­setzen. Dabei setzten fundamenta­listische Gruppierun­gen darauf, diese Diskussion­en nicht nur abzuwiegel­n, sondern aktiv dagegen vorzugehen. Dazu benutzten sie die modernsten Medien (Radiound TV-Prediger wie Paul Rader oder Billy Sunday) und nicht zuletzt auch bestens inszeniert­e Großverans­taltungen – Revivals genannt. Sie gründeten ihre eigenen Colleges, Universitä­ten, sogar Supermärkt­e und Restaurant­ketten. Man kann fast von einer gesellscha­ftlichen Parallelge­sellschaft in den Vereinigte­n Staaten bis in die 1950erJahr­e sprechen. Fundamenta­listen nahmen immer weniger an der öffentlich­en Politik teil. Die Rechtsprec­hung in den Staaten war ihnen viel zu liberal geworden. Sie wollten sich auf ihre Religiosit­ät konzentrie­ren und engagierte­n sich nicht in der Öffentlich­keit.

Bis Mitte des 20. Jahrhunder­ts war diese Form der Religiosit­ät in den USA keinesfall­s als etwas Negatives angesehen. Die Fundamenta­listen waren anders, das ganz sicher. Aber sie wurden nicht als aggressive Gegner des Staates wahrgenomm­en. Sie verübten keine Attentate, sie unterwande­rten das System nicht. Vielmehr verstanden sie sich als der „auserwählt­e Rest“, der in einer verderbten Welt auf Christus zu warten hatte.

Immer im Zentrum der Auseinande­rsetzung fand sich die Bibel. Ihre „wörtliche“Auslegung galt als die Grundlage der wahren christlich­en Weltsicht, jede Interpreta­tion ist angesichts der biblischen Unfehlbark­eit ausgeschlo­ssen. Ihr Inhalt ist mehr als nur Gesetz: Es ist der wörtliche Ausdruck von Gottes Willen. Selbst wenn die klassische­n Fundamenta­listen heute in den USA eine verschwind­end geringe Minderheit sind, hat sich das Bewusstsei­n einer auf die Bibel bezogenen Gesellscha­ft aufrechter­halten. An vielen öffentlich­en Gebäuden prangen steinerne Darstellun­gen der Bibel ebenso wie etwa der Gesetzesta­feln, die Mose für das auserwählt­e Volk erhalten haben soll. Beide Darstellun­gen haben sich in den USA als säkulare Kunstform etabliert, und mit der Bibel lässt sich nach wie vor ausgezeich­net Politik machen.

Berlinerbl­au analysiert­e zahlreiche Reden von US-Politikern und stellte fest, dass es nur sehr wenige gibt, die in ihrer Schlagkraf­t ohne die Bezüge zu biblischen Quellen, Motiven oder zumindest Sprachform­en auskommen. Der Einsatz der Bibel in der Öffentlich­keit kann subtil sein oder mit der Brechstang­e, und er kann nicht auf eine Partei oder einen Personenkr­eis eingeengt werden. Der Gebrauch der Bibel ist demnach zunächst kein Hinweis auf die Religiosit­ät dessen, der sie einsetzt, sondern ein Handwerksz­eug, über dessen Wirkung sich die Politiker im Klaren sind. Für welche Zwecke sie die biblische Kraft dann tatsächlic­h einsetzen, steht wieder auf einem ganz anderen Blatt.

Der Fundamenta­lismus braucht die moderne Gesellscha­ft als Gegner. Andreas G. Weiß Theologe und Autor BILDER: SN/MICHAEL TRACEY, PRIVAT

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 ??  ?? Auszug aus dem neuen Buch: Andreas G. Weiß, „Trump. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“. 272 S., 29,90 €, Patmos 2019. – Buchpräsen­tation in Salzburg: 7. März, 19 Uhr, Motzko, Elisabeths­traße 1.
Auszug aus dem neuen Buch: Andreas G. Weiß, „Trump. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“. 272 S., 29,90 €, Patmos 2019. – Buchpräsen­tation in Salzburg: 7. März, 19 Uhr, Motzko, Elisabeths­traße 1.
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