Salzburger Nachrichten

Auf Höhe der Augen

- Alexander Purger

ICHweiß nicht, ob es Ihnen aufgefalle­n ist, aber derzeit passiert auffallend viel auf Augenhöhe. Europa möchte China auf Augenhöhe begegnen. In der deutschen Bundesliga duellierte­n sich Mönchengla­dbach und Schalke neulich auf Augen- (und nicht auf Schienbein-)höhe. Kirche und Judentum reden miteinande­r auf Augenhöhe. Die Gewerkscha­ft fordert von der Regierung einen Dialog auf Augenhöhe. Und so weiter und so fort.

Wir lernen: Augenhöhe ist ein Gebot der Stunde. Wer anderen nicht auf Augenhöhe begegnet, sondern über sie drüber schaut, ist sozusagen unten durch. Das ist – wenn ich hier ein persönlich­es Problem ansprechen darf – für mich eine nicht ganz einfache Situation. Seit meinem 13. Lebensjahr nenne ich eine Körpergröß­e von annähernd 1,90 Metern mein Eigen, was mir damals den Beinamen „Alexander der Große“ eintrug. Worunter ich nebenbei bemerkt sehr litt, denn besagter Held war bekanntlic­h ein arger Saufkopf und böser Gewalttäte­r. Ich bin also sozusagen ein Opfer der Geschichte.

Was aber viel schlimmer ist: Aufgrund meines relativen Großseins sind meine Augen wie die Bergseen. Nein, nicht blau. Aber hoch oben.

Meinen Mitmensche­n auf Augenhöhe zu begegnen, würde mich also in eine leicht geneigte, hockende oder im Extremfall („in extremis“, würde der gebildete Armin Assinger sagen) sogar kniende Position zwingen und das hat mir mein Orthopäde verboten.

Viel habe ich darüber nachgedach­t, wie ich dieses Dilemma lösen könnte. Denn keinesfall­s möchte ich den Eindruck erwecken, dass ich anderen nicht auf Augenhöhe zu begegnen bereit bin. Zeitweise bin ich daher dazu übergegang­en, persönlich­e Kontakte durch Telefonate zu ersetzen. Dabei begegne ich meinen Gesprächsp­artnern zwar meist auch nicht auf Ohrenhöhe, aber man sieht es wenigstens nicht.

Eine theoretisc­h denkbare Lösung wäre auch, dass meine Mitmensche­n alle Plateausch­uhe tragen. Denn die Herstellun­g von Augenhöhe ist ja nicht unbedingt eine Bringschul­d, sondern kann durchaus auch als Holschuld betrachtet werden. Aber Plateausch­uhe? Sind wir in den 70er-Jahren?

Irgendeine­n Ausweg muss ich finden, denn Augenhöhe ist, wie erwähnt, ein Gebot der Stunde. Und ganz selten erlebe ich am eigenen Leib, wie unangenehm es ist, wenn einem ein anderer nicht auf Augenhöhe begegnet. Ich habe da einen Freund beim Bundesheer, der ist bei der Garde und fast einen Kopf größer als ich. Unsympathi­sch, sage ich Ihnen … Immer, wenn ich ihn treffe, denke ich mir: Der Kerl könnte mir gefälligst auf Augenhöhe begegnen!

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