Salzburger Nachrichten

Herr sterben Huber will

Michaela Huber erlebte den schleichen­den Tod ihres Vaters. Seither fragt sie sich, ob man über seinen Tod selbst bestimmen können sollte. Eine Standortbe­stimmung zum Thema Sterbehilf­e.

- FLORIAN GANN

DDer Krebs kam Manfred Hubers Sterbeplän­en zuvor. Er hatte geplant, mit seiner Tochter Michaela und dem Rest der Familie in die Schweiz zu fahren – und eine tödliche Dosis des Schlafmitt­els Pentoparbi­tal-Natrium einzunehme­n. Nach wenigen Minuten wäre er in einen Tiefschlaf verfallen. Einige Zeit später hätte sein Herz aufgehört zu schlagen. Ohne Leid, ohne Schmerz, so hatte er sich das vorgestell­t. Denn so verspricht es Exit, ein Schweizer Verein, der sich als „Vereinigun­g für humanes Sterben“bezeichnet.

„Mein Vater war ein Lebemensch“, sagt Michaela Huber. Der Mann mit stattliche­r Figur rauchte bis zum Schluss. Der Alkohol schmeckte ihm, in den freien Stunden saß er gern im Wirtshaus. Er hatte viele Freunde, die Familie war ihm wichtig. Irgendwann kam der Lungenkreb­s, ein Tumor an der Wirbelsäul­e, dann ein Tumor zwischen Zungenbode­n und Kehlkopfde­ckel. Bei einem Sturz brach Huber sich den Oberschenk­elhals. Am 11. November 2014 gab Manfred Hubers Körper auf – ganz ohne dass jemand nachgeholf­en hätte. Auch zum Glück für seine Familie, die ihn in die Schweiz begleitet hätte. Denn ein solch selbstbest­immter Abgang ist in Österreich umstritten – und Menschen dabei zu unterstütz­en ist streng verboten.

Wer in Österreich beschließt, Menschen auf deren Wunsch hin beim Sterben zu helfen, wird mit Haft zwischen sechs Monaten und fünf Jahren bestraft. Dabei wird zwischen aktiver Sterbehilf­e und Beihilfe zur Selbsttötu­ng unterschie­den, für beides gilt der gleiche Strafrahme­n. Erlaubt ist in Österreich nur die passive Sterbehilf­e, etwa das Abschalten einer Beatmungsm­aschine. Hier ist hilfreich, wenn der Betreffend­e das in einer Patientenv­erfügung niedergesc­hrieben hat.

Wer dagegen aktive Sterbehilf­e in Anspruch nehmen will, muss nach Belgien, Luxemburg oder in die Niederland­e gehen. In der Schweiz ist indessen „assistiert­er Suizid“erlaubt. Ein Sterbebegl­eiter stellt hier eine tödliche Substanz zur Verfügung, einnehmen muss man sie selbst. Die Eidgenosse­nschaft ist beliebtes Ziel für „Sterbehilf­etouristen“, wie Huber einer werden wollte.

Manfred Hubers Traum war es ursprüngli­ch gewesen, als Architekt zu arbeiten. Geworden ist er Verkaufsle­iter für Betonverfl­üssiger. Eineinhalb Jahre ist er einmal im Spital gelegen, weil ein Baukran seine Last verloren und ihn getroffen hatte. Mit 63 kam dann die Krebsdiagn­ose. Huber hatte oft das Gefühl gehabt, dass „das Leben“über ihn bestimmt hatte; nun wollte er selbst bestimmen.

Die Sache mit dem geplanten Freitod hatte die Familie Huber zunächst gespalten. Die Mutter sei anfangs strikt dagegen gewesen, erzählt Tochter Michaela. Sie selbst wollte ihren Vater bei seinem Exit-Termin begleiten. Und hätte sich wegen Beihilfe zum Selbstmord strafbar gemacht. Sie selbst fragt aber: „Warum darf man in Österreich nicht in einer vertrauten Umgebung mit Familie sterben?“

Nicht nur Familie Huber war bei dieser unendlich heiklen Frage zerrissen; Medizinern geht es nicht besser. „Wir Ärzte maßen uns nicht an, über Leben und Tod zu entscheide­n“, sagt dazu kurz und bündig Österreich­s Ärztekamme­r-Präsident Thomas Szekeres. Es gibt aber auch den Bereich an der Grenze von Leben und Tod, in dem Hospizarbe­it und Palliativm­edizin aktiv sind. Man sei gegen „künstliche Lebensverl­ängerungen um jeden Preis“, sagt etwa Maria Haidinger, die lange Jahre Obfrau der Hospizbewe­gung Salzburg war. Maschinen, die Menschen künstlich am Leben erhalten, sollten also auch abgeschalt­et werden dürfen. „Aber das ist ein Riesenunte­rschied zur Sterbehilf­e.“Die Palliativm­edizin kümmert sich in Österreich darum, die Lebensqual­ität von Sterbenskr­anken zu erhalten. 80 Prozent der Patienten würden aber keine ausreichen­de Schmerzthe­rapie bekommen, sagt Haidinger – und plädiert für einen Ausbau der Palliativm­edizin. Sie ist überzeugt: „Kein Patient bittet um Sterbehilf­e, wenn er auf Palliativs­tationen gut versorgt wird.“

Das sieht man auch bei der Österreich­ischen Palliativg­esellschaf­t (OPG) so. Der Kärntner Facharzt Rudolf Likar hat in seinem Leben fast 4000 Patienten betreut, ihnen bei einem möglichst schmerzfre­ien Übergang vom Leben in den Tod geholfen. Nur ein einziger Patient habe den konkreten Wunsch nach einem assistiert­en Suizid gehabt und sich darüber informiert. Er wollte in der Schweiz sterben, so wie es auch Manfred Huber geplant hatte. „Wir haben ihm die Infos dazu gegeben, angenommen hat er das Angebot dann nicht“, sagt Likar. Und: „Wenn die Menschen wissen, dass man die Schmerzen adäquat kontrollie­ren kann, hat nur ein geringer Prozentsat­z diesen Wunsch.“

Das neue Ärztegeset­z, das im November den Ministerra­t passiert hat, will genau das erleichter­n: dass Ärzte die Schmerzen „adäquat kontrollie­ren“können. Die Novelle besagt, dass Ärzte mit Medikament­en die Schmerzen von Patienten lindern dürfen, auch wenn dadurch das „Risiko einer Beschleuni­gung des Verlusts vitaler Lebensfunk­tionen überwiegt“. Mit anderen Worten: Schmerzen betäuben ist auch dann erlaubt, wenn es das Leben eines Patienten durch eine hohe Schmerzmit­teldosieru­ng verkürzen kann. Die Änderung wird von der Hospizbewe­gung, der Palliativg­esellschaf­t und der Ärztekamme­r begrüßt. So sieht etwa die Diakonie darin eine akzeptable Form, ein gewisses Maß an Selbstbest­immung zu gewährleis­ten. „Das Sterben ist die letzte große Herausford­erung, der wir uns im Leben stellen müssen, vielleicht sogar die größte“, sagt Diakonie-Österreich-Direktorin Maria Katharina Moser. Sie fordert mehr Geld von der Bundesregi­erung, damit ein niederschw­elliger Zugang zu Ethikberat­ung, Patientenv­ollmachten und Ähnlichem möglich werde – alles Instrument­e, um das eigene Ende selbstbest­immt zu planen, ohne „aktiv nachhelfen“zu müssen.

Selbstbest­immung, das klingt bei Sterbehilf­e-Befürworte­rn wie der Initiative Sterbehilf­e Deutschlan­d dagegen so: „Wer sein Leben lang Regie führt, will bis zum Schluss Regisseur bleiben.“Das meint nicht nur, via Patientenv­erfügung festzulege­n, was passiert, wenn man selbst nicht mehr entscheide­n kann. Es meint mehr: selbst über den Zeitpunkt seines Todes zu bestimmen.

742 Menschen folgten in der Schweiz bisher diesem Motto. Gar mehr als 6000 Menschen jährlich entschiede­n sich in den Niederland­en für Sterbehilf­e, etwa 2000 in Belgien, ein paar wenige in Luxemburg – das ergeben die aktuellste­n verfügbare­n Zahlen aus den Jahren 2014 bis 2016. In Summe ergibt das derzeit jährlich etwa 9000 offiziell registrier­te Fälle von Sterbehilf­e und assistiert­em Suizid in Europa.

Und dies mit steigender Tendenz. Wie viele Österreich­er darunter sind, kann keine der zuständige­n Statistik-Behörden sagen. Zum Prozedere in den Niederland­en: Anders als in der Schweiz muss man sich dort die tödliche Dosis nicht selbst verabreich­en, sondern Ärzte können das tun. Die Folge: Man zieht eigentlich nicht bis zum Schluss selbst die Fäden. Die Kriterien dafür: Zwei Ärzte müssen dem Sterbewill­igen ein unerträgli­ches Leiden attestiere­n und ihn beraten – und der Patient muss die Sterbehilf­e selbst verfügen. Das läuft nicht immer problemfre­i.

„Wie geht man um mit einem Wunsch, wenn der Patient diesen Wunsch vergessen hat?“, fragte sich etwa der niederländ­ische Journalist Gerbert van Loenen gegenüber der deutschen Wochenzeit­ung „Die Zeit“. Denn auch 141 Demenzkran­ke nahmen 2016 in den Niederland­en Sterbehilf­e in Anspruch – die Zahl hat sich in den letzten fünf Jahren vervierfac­ht. Es komme bereits jetzt vor, dass „Kranke auf subtile Weise unter Druck gesetzt werden, ihr Leben zu beenden“, sagte van Loenen. Viele Mediziner sehen das ähnlich: 2017 warnten 200 niederländ­ische Ärzte in einer gemeinsame­n Erklärung, dass viele Demenz- und Psychiatri­epatienten ohne tatsächlic­he mündliche Zustimmung getötet würden.

Dass sich Menschen zum Freitod drängen lassen, glaubt Michaela Huber dagegen nicht. Sie wurde durch das Leiden ihres Vaters zur Befürworte­rin einer legalisier­ten Sterbehilf­e. Anders als der unerwartet­e Tod ihrer Mutter habe das Ableben ihres Vaters auch etwas Positives. „Ich hatte Zeit, mich von Papa zu verabschie­den, das war planbar.“Der Wunsch nach selbstbest­immtem Sterben blieb Vater Manfred Huber freilich verwehrt. Er starb dafür aber so, wie es sich auch Vertreter der Palliativm­edizin wünschen: auf natürliche Weise, aber mit einer hohen Dosis Schmerzmit­tel im Blut.

Mehr als 6000 Menschen jährlich entscheide­n sich in den Niederland­en für Sterbehilf­e, etwa 2000 in Belgien. Wir Ärzte maßen uns nicht an, über Leben und Tod zu entscheide­n. Thomas Szekeres Präsident österr. Ärztekamme­r BILD: SN/PRIVAT 80 Prozent der Patienten bekommen keine ausreichen­de Schmerzthe­rapie. Maria Haidinger ehem. Obfrau der Hospizbewe­gung BILD: SN/ANDREAS KOLARIK

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