... die Concorde nicht abgestürzt wäre?
Das Ende eines Zukunftsprojekts. Vor 50 Jahren hob die Concorde zum ersten Mal ab. Doch im Jahr 2000 starben 113 Menschen bei einem katastrophalen Absturz. Wäre das nicht passiert – würde der Überschallvogel heute noch fliegen?
CHRISTIAN RESCH
EEs waren schreckliche Bilder, die am 25. Juli 2000 um 14.44 von Videokameras eingefangen wurden: Eine Concorde der Air France zog einen Dutzende Meter langen Flammenschweif über den Himmel über dem Flughafen Charles de Gaulle bei Paris. Sackte ab und stürzte in ein Hotel, 113 Menschen starben, darunter eine Österreicherin. Wenig später war die gesamte Luftfahrtkarriere der Concorde beendet; ihr Image hatte durch den Absturz stark gelitten, die Horrorbilder waren um die Welt gegangen. Der letzte Flug einer Concorde der British Airways fand am 24. Oktober 2003 statt. Heute lässt sich der schlanke Vogel etwa noch im Technik-Museum Sinsheim in Baden-Württemberg bestaunen; der größte Teil der insgesamt 20 gebauten Exemplare wurde verschrottet. Was aber wäre gewesen, wenn – eben wenn dieses Unglück nicht passiert wäre? Würde das britisch-französische Leuchtturmprojekt heute noch mit doppelter Schallgeschwindigkeit Passagiere über die Ozeane tragen, etwa von Paris nach New York binnen drei Stunden? Dazu muss man sagen: Das Projekt Concorde befand sich schon lange vor jenem Katastrophentag in Paris auf einem falschen Kurs. Bereits 1959 hatten die Franzosen die technischen Eckpunkte des Projekts festgelegt, 1962 kamen die Briten zur gemeinsamen Entwicklung an Bord. Damals war man überzeugt: Mit Überschallgeschwindigkeit von A nach B – das ist die Zukunft. Freilich: Dies- und jenseits des Ärmelkanals sprach man unterschiedliche Sprachen, nicht nur linguistisch betrachtet. Das Monsterprojekt führte über die Jahre zu regelrechten diplomatischen Krisen – die Spezifikationen wurden immer wieder verändert, der Flugzeugrumpf verlängert, die Kosten stiegen und stiegen. Übrigens: Gleichzeitig bastelten auch die USA an einem Konkurrenzmodell (Boeing 2707), doch Anfang der 70erJahre drehte der US-Kongress den Geldhahn zu. Und das, obwohl bereits 120 Maschinen verkauft worden waren.
Die Europäer, namentlich die British Aerospace und die Aérospatiale, hatten dagegen 1968 erst knapp 76 Vorbestellungen. Jedoch: Immer mehr Fluglinien sprangen ab; die Kosten des Projekts hatten sich von geplanten 160 auf 1200 Millionen britische Pfund vervielfacht. 1972 konnte das elegante Geschoss jedenfalls zu einer globalen Verkaufstour abheben.
„Die Concorde war technologisch für die damalige Zeit ein Wahnsinn“, sagt Oliver Huber vom österreichischen Luftfahrtmagazin Austrian Wings. „Die Steuerung erfolgte elektronisch, ohne Seilzüge. Das wurde erst in den 1980er-Jahren zum Standard.“
Andererseits: Mit der Concorde zu fliegen, das sei für manchen eine fast enttäuschende Erfahrung gewesen: „Drinnen war es eng, man konnte die Sitze auch nicht umlegen. Das Bordrestaurant war erstklassig, aber sonst gab es kaum einen Unterschied zu einem Mittelstreckenflugzeug. Bis auf den Preis natürlich.“Denn gut 10.000 Euro konnte eine Atlantiküberquerung samt Rückflug schon kosten.
Jedenfalls: Die Auslastung der Flugzeuge lag gegen Ende bei gut 50 Prozent, dafür wurden pro Stunde sagenhafte 20 Tonnen Kerosin verbrannt. Und das bei ohrenbetäubender Lautstärke. „Also, wenn man den Lärm und das ökologische Problem berücksichtigt und dazunimmt, dass heute die Zeit der staatlichen Fluglinien einfach vorbei ist, dann muss man sagen: Die Concorde würde heute wohl sowieso nicht mehr fliegen“, resümiert Huber.
Tatsache sei, dass Fliegen mit Überschall ein Flugzeug extremer Beanspruchung aussetze. Die Folgen: Hohe Konstruktionskosten, noch höhere Wartungskosten, dazu hoher Spritverbauch, extremer Lärm – vor allem mit der Triebwerkstechnologie der späten 60er-Jahre. Und in Zeiten, in denen Billigflieger den Markt eroberten, Flughafenanrainer immer wehrhafter würden und man politische Prestigeprojekte immer kritischer sehe, bleibe wohl kaum Platz am Markt für einen Überflieger wie die Concorde.
Keine Concorde-Illusionen hat auch der österreichische Luftfahrtsachverständige Thomas Friesacher: „Die Concorde war ein wunderschönes europäisches Projekt. Hier wurde de facto auch der Grundstein für den späteren Airbus gelegt. Aber das Flugzeug hätte auch ohne diesen Absturz sein Aus schon längst erlebt.“Damit Überschallflüge für „normale“Passagiere sich jemals rentieren würden, wäre ein enormer Technologiesprung nötig. „Und für einen solchen gibt es derzeit und in den kommenden Jahren einfach keine Anzeichen.“
So sieht es auch der Hamburger Luftfahrtexperte und Journalist Cord Schellenberg: „Die Concorde ist ein technisches Wunderwerk ihrer Zeit – vor 50 Jahren ging es weniger um Kerosinverbrauch und Ökobilanz als um einen Technologiesprung und europäisches Hightech-Know-how.“Wirtschaftlich betreiben hätte man die Concorde nie können, allein schon wegen ihres Kerosinverbrauchs und der wenigen Sitzplätze. „Auch ohne den Unfall von Paris wäre sie über kurz oder lang zum prestigeträchtigen Museumsstück geworden.“