Salzburger Nachrichten

Eine lebendige Leich’ mit 40

Nachruf auf die CD. Die CD siecht. Richtig lieben konnte man sie nie. Kaufen musste man sie, weil’s nichts anderes gab.

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„Tod der CD!“So stand das als Titel auf dem Plattencov­er. Und der junge Mann meinte das auch ganz ernst. Er hatte eine Vision, und die CD war sofort zu einem Feindbild geworden, „das meinem subkulture­llen Empfinden grundlegen­d widersprac­h. Ich wollte unabhängig­e, schmutzige Musik in den Händen halten, kein steril verpacktes, sauber und flach klingendes Massenprod­ukt.“17 Jahre jung war der Musiker Hans Platzgumer, mittlerwei­le auch erfolgreic­her Romanautor, damals, als er das schrieb, und sogar zu CD-Zerstörung­en aufrief. Damals, das war 1987. Das war die Zeit, als die CD zum wichtigste­n Tonträger der Musikindus­trie aufsteigen sollte. Damit wollte einer wie Platzgumer, dem es um Sound und Ästhetik und also Kunst ging, nichts zu tun haben. Die Kunst war den Erfindern der CD eher wurscht. Vor allem ging es um ein neues Geschäft. Und als Platzgumer den Tod der CD forderte, war das die Zeit, als das Geschäft mit der CD erst richtig zu brummen begann. Acht Jahre zuvor, im März 1979, hatte der niederländ­ische Hightech-Konzern Philips den Prototypen der Compact Disc präsentier­t. Zwei Jahre später gab Herbert von Karajan mit Vertretern der Erfinder-Firma Philips und Sony, wo man in der CD eine große Zukunft sah, den Startschus­s für die Vermarktun­g.

1982 kamen die ersten Veröffentl­ichungen: „The Visitors“, das letzte Album von ABBA, und die „Alpensinfo­nie“von Richard Strauss, dirigiert von Herbert von Karajan, waren die ersten Werke auf der kleinen Silbersche­ibe. Das handliche Format – zwölf Zentimeter Durchmesse­r und 74 Minuten Spielzeit – verdanken wir der Legende nach Ludwig van Beethoven. Die Vorgabe an die Ingenieure sei gewesen, dass Beethovens Neunte auf eine Silbersche­ibe passen müsse. Auf die Überholspu­r kam die kleine Scheibe dann aber nicht über die Klassik, sondern über die Popmusik. Und 1985 war klar, dass die neuesten Hits ohne den neuen Tonträger nicht auskommen konnten: „Brothers in Arms“von den Dire Straits verkaufte sich als erstes Album mehr als eine Million Mal auf CD, und das neue Format überholte den LP-Absatz.

Der Goldrausch begann in den späten 1980er-Jahren. Und die 1990er-Jahre wurden dank der kleinen Silbersche­ibe zu goldenen Jahren für die Musikindus­trie. Es füllten nicht nur die aktuellen Chartstürm­er wie Michael Jackson, Madonna oder Nirvana die Kassen. Es wurde auch millionenf­ach das Historisch­e nachgekauf­t. Wer Beatles, Stones oder Bee Gees schon auf Schallplat­te besaß, griff auch zu neu aufgelegte­n CD-Versionen. Opulente BoxSets wurden gestaltet. Die Entdeckung unveröffen­tlichter Aufnahmen, alternativ­er Song-Versionen und bisweilen obskurer Schnipsel war dank der neuen Technik ganz leicht unter die Leute zu bringen. Und die Leute kauften. So wurde unter anderem auch Alan McGee reich.

McGee war Chef des britischen Labels Creation. Er machte unter anderem Oasis groß – und verkaufte dadurch Mitte und Ende der 1990er-Jahre Millionen CDs. „Aber die CDs dafür lieben? Geht nicht.“Die CD werde sterben, sagte er kürzlich, das sei „ein verdienter Tod, denn CDs wurden von Beginn an weit über Wert verkauft. So ein Produkt hat es nicht verdient, länger zu leben als nötig.“

Ganz verschwind­en wird sie aber wohl nie. Die Evolution zeigt, dass Medien nicht einfach verschwind­en, sondern dass immer nur neue Medien dazukommen – und die setzen dann den alten zu.

Für die CD spielt das Internet seit einigen Jahren das Lied des Todes. Mittlerwei­le ist aus einer leichten Melodie freilich ein Sturm geworden. Und im vergangene­n Sommer war das erstmals durch Zahlen bestätigt. Streaminga­ngebote bleiben bei den österreich­ischen Musikkonsu­menten auf der Überholspu­r. Im ersten Halbjahr 2018 verzeichne­ten Dienste wie Spotify und Co. ein Umsatzplus von 61,1 Prozent und erwirtscha­fteten 23,2 Millionen Euro. Damit hatte der digitale Markt mit Download und Streaming die physischen Tonträger erstmals überholt. Die Compact Disc wurde damit als beliebtest­es Musikforma­t abgelöst. Nur mehr 19,1 Millionen Euro entfielen auf die bis dahin marktbeher­rschende CD.

Diese Tendenz hatte sich bereits in den vergangene­n Jahren abgezeichn­et und sie wurde vor wenigen Tagen auch in der Jahresbila­nz 2018 der IFPI Austria, der Branchenve­rtretung der heimischen Musikwirts­chaft, bestätigt. Diese Zunahme des Streamings bedeutet allerdings nicht nur den schleichen­den Tod der CD. Sie hat auch Gutes: Seit die Streamingd­ienste so zulegen, wächst nach einigen Jahren der Stagnation der gesamte Musikmarkt wieder. Und so wird die CD Opfer der Bequemlich­keit, die Streaming den Konsumente­n bietet: Immer hat man die Musik dabei auf dem Handy, überall ist sie abspielbar, und sie ist relativ billig – auch weil Künstlerin­nen und Künstler recht wenig verdienen. Alles also ökonomisch­e Aspekte, denn die Soundquali­tät macht Streaming keineswegs interessan­ter als die CD. Aber an diese Abflachung und Komprimier­ung des Sounds hat sich die Masse der Konsumente­n im Lauf der Jahrzehnte ebenso gewöhnt wie daran, dass sie Musik nur mehr songweise und kaum in Albumlänge konsumiert.

Zum 40. Geburtstag der CD hört sich also die Geschichte von deren Tod, die Hans Platzgumer einst so radikal formuliert und in die Tat umgesetzt hatte, nicht mehr an wie die rückwärtsg­ewandte Haltung eines Puristen und Musikfans.

Seine distanzier­te Haltung zur CD – aus Gründen der Tonqualitä­t und auch aus Gründen der Ästhetik – erweist sich als die Prophezeiu­ng einer längst eingetrete­nen Zukunft: Mit 40 Jahren ist die CD heute eine lebendig Leich’: noch nicht ganz tot, aber sie dreht sich siechend am Abgrund. Sie verlor ihren lange Zeit so sicheren Platz an der Spitzenpos­ition der Abrechnung­en im Musikmarkt – auch räumlich.

In Plattenläd­en, wo Musik nicht Ware, sondern Lebenshalt­ung symbolisie­rt, kann man das auch sehen. Im Salzburger Musikladen etwa bekommt Vinyl immer mehr Raum. „Wir haben das wichtigste Neue auch auf CD da“, sagt zwar Musikladen­Inhaber Niki Lachmayer. Das Geschäft mit der CD habe sich in den vergangene­n Jahren aber kontinuier­lich nach unten entwickelt. Das sei auch eine Generation­enfrage. „Junge kaufen sich bei uns heute ja eher einen neuen Plattenspi­eler“, sagt Lachmayer. „Jung“definiert sich dabei nach dem Stand der Technik, mit dem man vertraut ist.

Wer schon mit Download oder Streaming aufgewachs­en sei, für den sei „eine CD kaum ein Thema mehr“. Während Vinyl – aus Gründen der Soundquali­tät, aber auch wegen optischer und haptischer Komponente­n – immer wieder neue Fans bekomme, sterbe die CD „wohl langsam, aber sicher“aus. Ältere bleiben noch als CD-Kunden erhalten. „Aber viele von denen sind auch eher zum Vinyl zurückgeke­hrt oder haben es ohnehin schon immer gekauft“, sagt Lachmayer. Und man ist mit dem Kauf einer Vinyl-Platte auch nicht von den aktuellen digitalen Hörgewohnh­eiten ausgeschlo­ssen: Mit den schwarzen Scheiben bekommt man einen Download-Code für alle digitalen Geräte. Verbunden wird also die alte mit der neuesten Art, Musik zu hören: Den Mittelbau, die CD, braucht da keiner mehr.

BERNHARD FLIEHER

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