Salzburger Nachrichten

Missbrauch wird jetzt auch im Buddhismus beklagt

Das enge Verhältnis von Lehrern und Schülern ist einer der Gründe für sexuellen Missbrauch. Das sei „Teil der Tradition“, hieß es. Jetzt regt sich entschiede­ner Widerstand dagegen.

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HAMBURG, SALZBURG. Sexueller Missbrauch kommt jetzt auch in buddhistis­chen Gemeinscha­ften zunehmend an die Öffentlich­keit. Dabei geht es vor allem um die Ausnutzung der Autorität durch buddhistis­che Lehrer. So sind in Asien Fälle von körperlich­er Züchtigung und sexuellem Missbrauch in Klöstern bekannt geworden. In Europa und den USA haben langjährig­e Schülerinn­en zwei buddhistis­chen Meistern der Rigpa- und Shambhala-Bewegung „physische und sexualisie­rte Gewalt sowie finanziell­en und emotionale­n Missbrauch“vorgeworfe­n. In einem anderen Fall wurde ein deutscher Zen-Priester mit pädophilen Neigungen wegen Kindesmiss­brauchs in sieben Fällen zu einer Gefängniss­trafe verurteilt.

Ein wesentlich­er Auslöser für das Bekanntwer­den solcher Vorfälle in den Medien war die MeToo-Debatte. „Doch schon vorher, im Juli 2017, wurden konkrete Fälle bekannt, die zuvor unter den Teppich gekehrt worden waren“, sagt die buddhistis­che Nonne Carola Roloff. Das habe viele westliche Buddhistin­nen und Buddhisten irritiert und desillusio­niert. „Viele meinten, solche Vorfälle gäbe es nur in der katholisch­en Kirche. Mit Entsetzen sehen sie, dass nun aus buddhistis­chen Gemeinscha­ften Ähnliches bekannt wird“, so die Wissenscha­fterin, die an der Akademie der Weltreligi­onen der Universitä­t Hamburg lehrt.

Schon in den 1990er-Jahren hat der Dalai Lama zu sexuellem Missbrauch durch buddhistis­che Lehrer Stellung genommen. „Es gibt im Buddhismus keine strenge Hierarchie“, erklärt Roloff. „Aus dem Umfeld des Dalai Lama hörte man daher, er habe versucht, betroffene Lehrer durch Gespräche und Briefe zur Räson zu rufen – ob sie auf ihn hörten, stehe auf einem anderen Blatt. Tatsächlic­h disziplinä­r eingreifen kann er nicht, weil die Lehrer in der Eigenveran­twortung stehen.“Nach den Ordensrege­ln liegen Entscheidu­ng und Verantwort­ung bei den Ordensgeme­inschaften.

Im Westen sei jetzt aber ein Sinneswand­el im Gange, betont Roloff. „Es wird immer weniger akzeptiert, dass sich buddhistis­che Dachverbän­de mit ebendiesem Argument heraushalt­en, die einzelnen Gemeinscha­ften seien autonom und man könne ihnen keine Vorschrift­en machen. Seit ein paar Jahren gibt es eine starke Strömung, die ei- nen Ethikrat fordert.“Dieser soll Stellungna­hmen erarbeiten und, wenn es um grundlegen­de buddhistis­che Prinzipien geht, mit einer Stimme für den Buddhismus sprechen können. Außerdem soll er Anlaufstel­len für Opfer von Missbrauch und Übergriffe­n schaffen.

Wie in der katholisch­en Kirche ist dieser Reinigungs­prozess nicht von innen heraus zustande gekommen. Einige kritische Zeitschrif­ten des Buddhismus haben Autorität, Abhängigke­it und sexuellen Missbrauch zwar thematisie­rt, aber in den buddhistis­chen Gemeinscha­ften herrschte häufig Schweigen. Erst kritische Medienberi­chte läuteten das Umdenken ein.

Ein Hintergrun­d ist das im Buddhismus sehr enge Lehrer-SchülerVer­hältnis. Wie weit hier Reformen notwendig seien, darüber streiten sich zwei Denkschule­n. „Die einen sagen, das Lehrer-Schüler-Verhältnis sei so zu sehen wie das Therapeute­n-Klienten-Verhältnis in einer Psychother­apie. Daher sei jede sexuelle Beziehung absolut tabu“, erklärt Roloff. Andere würden sich z. B. auf alte Texte aus dem tantrische­n Buddhismus berufen, wonach eine sexuelle Beziehung zwischen Lehrer und Schüler zur Tradition gehöre. Es habe aber große Verbitteru­ng ausgelöst, als der ehemalige Vorsitzend­e der Deutschen Buddhistis­chen Union öffentlich die Ansicht vertrat, Sexualität zwischen Schülerinn­en und Schülern gehöre zum Vajrayana, dem tantrische­n Buddhismus. „Da sagten viele, das gehe entschiede­n zu weit.“

Unterschie­dlich verläuft die Aufarbeitu­ng von Gewalt und Missbrauch in asiatische­n Klöstern. „Ich habe kürzlich Videos von einem kritischen und umstritten­en Tibe- ter gesehen. Bei seiner Wortwahl hatte ich das Gefühl, dass er einer der Ersten ist, die das Thema über YouTube an die breite Öffentlich­keit bringen“, sagt Roloff. Das vielfache Verschweig­en sei auch durch die alles beherrsche­nde Sorge in Tibet begründet, dass man sich vor China keine Blöße geben dürfe.

In Thailand wird dagegen in den Tageszeitu­ngen immer wieder über Vorfälle in Klöstern berichtet, von Prügelstra­fen und sexuellem Missbrauch bis zur finanziell­en Ausnutzung von Machtposit­ionen. Es gibt aber auch dort nach wie vor Regeln, die es Mitglieder­n von Klöstern verbieten, mit Menschen außerhalb über Probleme im Kloster zu sprechen. Das behindert die konkrete Aufarbeitu­ng von Übergriffe­n.

„Da sind die Klöster entschiede­n zu mehr Selbstkrit­ik aufgeforde­rt“, sagt die deutsche Buddhistin. „Es müssen aber auch diejenigen genauer hinschauen, die von außen solche Fälle mitbekomme­n, vor allem die Eltern der Schüler.“Offenbar ist das bei Eltern, die ihre Kinder bisher in Klostersch­ulen schickten, teils schon der Fall. Sie geben die Kinder vermehrt in andere Schulen.

„Viele dachten, das gibt es bei uns nicht.“ Carola Roloff, buddhistis­che Nonne

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BILD: SN/CMFOTOWORK­S STOCK.ADOBE.COM In den buddhistis­chen Gemeinscha­ften herrschte häufig Schweigen.
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