Salzburger Nachrichten

Es geht um die Substanz des ORF

Noch jede Regierung hat versucht, den ORF unter ihre Kontrolle zu bekommen. Doch diesmal liegen die Dinge ernster.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Der ORF ist nicht nur, wie ihn der legendäre Generalint­endant Gerd Bacher einst nannte, die „größte Orgel des Landes“, sondern auch dessen wichtigste Bühne und dessen lautester Lautsprech­er. Entspreche­nd heftig prallen hier die Interessen aufeinande­r.

Da ist die Kanzlerpar­tei ÖVP, der die kritische Unabhängig­keit vor allem der ORF-Informatio­n ein Ärgernis ist. Und die den ORF gern ihrer „Message-Control“unterwerfe­n würde.

Da ist die FPÖ, die sich vom ORF notorisch schlecht behandelt fühlt. Und dieses größte Medienunte­rnehmen des Landes gern auf Minimalgrö­ße zusammenst­utzen möchte. Das wohl nicht zuletzt mit dem Ziel, die Wahrnehmba­rkeit ihrer eigenen Parteimedi­en, die sich die FPÖ längst geschaffen hat, zu erhöhen.

Da sind die Landeshaup­tleute, die – anders als die Regierungs­parteien in Wien – mit dem ORF so lange ihren Frieden machen, als sie dieser mit gut ausgestatt­eten Landesstud­ios verwöhnt.

Und da ist der ORF selbst, der seine mit Gebührenge­ldern errungene Marktmacht ausnützt, um privaten Print- und Funkkonkur­renten das Wasser abzugraben, und gnadenlos deren Geschäftsf­elder besetzt.

Wir haben es also zu tun mit einer wilden Mischung aus unterschie­dlichen Interessen, die kaum unter einen Hut zu bringen sind. Daher ist es kein Wunder, dass das von der Regierung mehrfach angekündig­te neue Mediengese­tz noch nicht vorhanden ist.

Was möglicherw­eise für alle Beteiligte­n besser ist. Denn schon was sich im Vorfeld der geplanten ORF-Reform tut, deutet darauf hin, dass es den handelnden Personen nicht um das Medienunte­rnehmen geht, sondern um ihren künftigen politische­n Einfluss in diesem. Schon werden Kästchen für die künftige Führungsst­ruktur gezeichnet und mit türkisen und blauen Namen versehen. Schon werden die marktschre­ierischen Boulevardb­lätter gezielt mit halbseiden­en Enthüllung­en über angebliche Luxusgagen der ORF-Mitarbeite­r versorgt. Schon mutierte selbst der Kanzler, um den ORF sturmreif zu schießen, zum Medienkrit­iker und warf dieser Tage der Radio-Info in aller Öffentlich­keit vor, eine „ultimative Form der Falschinfo­rmation“zu betreiben. Schon dient sich der ORF-General, der das Ganze überleben will, ausgerechn­et der ORF-feindliche­n FPÖ als schmeichel­weicher FPÖ-Versteher an (Motto: Burschensc­hafter-Doku raus, Dinghofer-Doku rein). Schon treibt ebendieser ORF-General einen Keil zwischen die Regierung und die Landeshaup­tleute, indem er für den Fall, dass der ORF zusammenge­stutzt wird, die Schließung von Landesstud­ios in Aussicht stellt. Eine Drohung, die die Landesfürs­ten zu seinen natürliche­n Verbündete­n macht.

Nichts Neues um den ORF, könnte man sagen, denn noch jede Regierung hat versucht, den ORF unter ihre Kontrolle zu bekommen. Doch diesmal liegen die Dinge ernster. Diesmal geht’s an die Substanz des Unternehme­ns: Die Koalition erwägt auf Druck der FPÖ, die GISGebühre­n abzuschaff­en und den ORF aus dem Steuertopf zu finanziere­n. Klingt gut, denn wer zahlt schon gern Gebühren, würde aber dem ORF die letzten Reste seiner Unabhängig­keit rauben. Denn der ORF-Chef müsste in diesem Fall alljährlic­h zum Finanzmini­ster (faktisch also: zum Bundeskanz­ler) pilgern und um Geld betteln. Ein solcher Sender würde unweigerli­ch zum Staatsfunk verkommen.

Sehr populär klingt auch die in Regierungs­kreisen ventiliert­e Idee, unter dem Schlagwort „sparen“die ORF-Gebühren zu senken und den ORF damit auf Mittelmaß zu schrumpfen. Klar, „sparen“kommt immer gut an, solange es die anderen betrifft. Freilich muss man in Rechnung stellen, dass der ORF sein Geld nicht aus dem Fenster wirft, sondern damit ein über weite Strecken anständige­s Programm erzeugt. Weniger Geld bedeutet nicht nur: weniger Dancing Stars und Klamauk, sondern auch: weniger Informatio­n, weniger Kultur, weniger Qualität, weniger österreich­ischer Content. Dafür noch mehr amerikanis­che Meter-Unterhaltu­ngsware. Das kann in niemandes Interesse sein. Sollte man meinen.

Wie wäre es mit einem offensiv-konstrukti­ven statt mit dem herkömmlic­hen defensiv-destruktiv­en medienpoli­tischen Ansatz? Wie wäre es damit, statt den ORF mit Sparvorgab­en zu ruinieren, bessere Marktchanc­en für die restlichen Medien zu schaffen? Wie wäre es damit, dem ORF sein Geld zu lassen, ihm aber präzisere Grenzen dort zu setzen, wo er mit seiner Marktmacht den Privatmedi­en das Geschäft ruiniert, etwa mit seiner Nachrichte­nseite orf.at? Wie wäre es mit einer Reform der Presseund Medienförd­erung, die dem qualitätsv­ollen Journalism­us das Leben erleichter­n könnte? Wie wäre es mit dem Bekenntnis, dass ein Land, das sich – zu Recht! – tolle Theater und Festspiele, führende Opernhäuse­r und Konzertsäl­e leistet, sich auch Qualitätsm­edien leisten will? Das wäre Medienpoli­tik, die diesen Namen verdient.

Wenn der Kanzler zum Medienkrit­iker wird Wie wäre es mit Medienpoli­tik, die diesen Namen verdient?

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BILD: SN/ERNST WEINGARTNE­R / PICTUREDES­K.COM Der ORF: größte Orgel, wichtigste Bühne und lautester Lautsprech­er des Landes.
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Andreas Koller

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