Es geht um die Substanz des ORF
Noch jede Regierung hat versucht, den ORF unter ihre Kontrolle zu bekommen. Doch diesmal liegen die Dinge ernster.
Der ORF ist nicht nur, wie ihn der legendäre Generalintendant Gerd Bacher einst nannte, die „größte Orgel des Landes“, sondern auch dessen wichtigste Bühne und dessen lautester Lautsprecher. Entsprechend heftig prallen hier die Interessen aufeinander.
Da ist die Kanzlerpartei ÖVP, der die kritische Unabhängigkeit vor allem der ORF-Information ein Ärgernis ist. Und die den ORF gern ihrer „Message-Control“unterwerfen würde.
Da ist die FPÖ, die sich vom ORF notorisch schlecht behandelt fühlt. Und dieses größte Medienunternehmen des Landes gern auf Minimalgröße zusammenstutzen möchte. Das wohl nicht zuletzt mit dem Ziel, die Wahrnehmbarkeit ihrer eigenen Parteimedien, die sich die FPÖ längst geschaffen hat, zu erhöhen.
Da sind die Landeshauptleute, die – anders als die Regierungsparteien in Wien – mit dem ORF so lange ihren Frieden machen, als sie dieser mit gut ausgestatteten Landesstudios verwöhnt.
Und da ist der ORF selbst, der seine mit Gebührengeldern errungene Marktmacht ausnützt, um privaten Print- und Funkkonkurrenten das Wasser abzugraben, und gnadenlos deren Geschäftsfelder besetzt.
Wir haben es also zu tun mit einer wilden Mischung aus unterschiedlichen Interessen, die kaum unter einen Hut zu bringen sind. Daher ist es kein Wunder, dass das von der Regierung mehrfach angekündigte neue Mediengesetz noch nicht vorhanden ist.
Was möglicherweise für alle Beteiligten besser ist. Denn schon was sich im Vorfeld der geplanten ORF-Reform tut, deutet darauf hin, dass es den handelnden Personen nicht um das Medienunternehmen geht, sondern um ihren künftigen politischen Einfluss in diesem. Schon werden Kästchen für die künftige Führungsstruktur gezeichnet und mit türkisen und blauen Namen versehen. Schon werden die marktschreierischen Boulevardblätter gezielt mit halbseidenen Enthüllungen über angebliche Luxusgagen der ORF-Mitarbeiter versorgt. Schon mutierte selbst der Kanzler, um den ORF sturmreif zu schießen, zum Medienkritiker und warf dieser Tage der Radio-Info in aller Öffentlichkeit vor, eine „ultimative Form der Falschinformation“zu betreiben. Schon dient sich der ORF-General, der das Ganze überleben will, ausgerechnet der ORF-feindlichen FPÖ als schmeichelweicher FPÖ-Versteher an (Motto: Burschenschafter-Doku raus, Dinghofer-Doku rein). Schon treibt ebendieser ORF-General einen Keil zwischen die Regierung und die Landeshauptleute, indem er für den Fall, dass der ORF zusammengestutzt wird, die Schließung von Landesstudios in Aussicht stellt. Eine Drohung, die die Landesfürsten zu seinen natürlichen Verbündeten macht.
Nichts Neues um den ORF, könnte man sagen, denn noch jede Regierung hat versucht, den ORF unter ihre Kontrolle zu bekommen. Doch diesmal liegen die Dinge ernster. Diesmal geht’s an die Substanz des Unternehmens: Die Koalition erwägt auf Druck der FPÖ, die GISGebühren abzuschaffen und den ORF aus dem Steuertopf zu finanzieren. Klingt gut, denn wer zahlt schon gern Gebühren, würde aber dem ORF die letzten Reste seiner Unabhängigkeit rauben. Denn der ORF-Chef müsste in diesem Fall alljährlich zum Finanzminister (faktisch also: zum Bundeskanzler) pilgern und um Geld betteln. Ein solcher Sender würde unweigerlich zum Staatsfunk verkommen.
Sehr populär klingt auch die in Regierungskreisen ventilierte Idee, unter dem Schlagwort „sparen“die ORF-Gebühren zu senken und den ORF damit auf Mittelmaß zu schrumpfen. Klar, „sparen“kommt immer gut an, solange es die anderen betrifft. Freilich muss man in Rechnung stellen, dass der ORF sein Geld nicht aus dem Fenster wirft, sondern damit ein über weite Strecken anständiges Programm erzeugt. Weniger Geld bedeutet nicht nur: weniger Dancing Stars und Klamauk, sondern auch: weniger Information, weniger Kultur, weniger Qualität, weniger österreichischer Content. Dafür noch mehr amerikanische Meter-Unterhaltungsware. Das kann in niemandes Interesse sein. Sollte man meinen.
Wie wäre es mit einem offensiv-konstruktiven statt mit dem herkömmlichen defensiv-destruktiven medienpolitischen Ansatz? Wie wäre es damit, statt den ORF mit Sparvorgaben zu ruinieren, bessere Marktchancen für die restlichen Medien zu schaffen? Wie wäre es damit, dem ORF sein Geld zu lassen, ihm aber präzisere Grenzen dort zu setzen, wo er mit seiner Marktmacht den Privatmedien das Geschäft ruiniert, etwa mit seiner Nachrichtenseite orf.at? Wie wäre es mit einer Reform der Presseund Medienförderung, die dem qualitätsvollen Journalismus das Leben erleichtern könnte? Wie wäre es mit dem Bekenntnis, dass ein Land, das sich – zu Recht! – tolle Theater und Festspiele, führende Opernhäuser und Konzertsäle leistet, sich auch Qualitätsmedien leisten will? Das wäre Medienpolitik, die diesen Namen verdient.
Wenn der Kanzler zum Medienkritiker wird Wie wäre es mit Medienpolitik, die diesen Namen verdient?