Noch will keiner Theresa Mays Job
Während Millionen gegen den Brexit auf der Straße und im Internet protestieren, ist in der Konservativen Partei der Basar um die Nachfolge der Premierministerin eröffnet. Die ist aber noch im Amt.
Eine Million Menschen, so die Schätzung der Organisatoren, protestierten am Samstag bunt und friedlich gegen den Brexit. Die Kampagne „People’s Vote“(Volksabstimmung) fordert ein erneutes Referendum zum EU-Austritt und hatte zu dem Marsch aufgerufen. Am Ende kamen weitaus mehr als erwartet. „Wir sind nur Tage davon entfernt, von einer Klippe zu stürzen mit katastrophalen Folgen. Genug ist genug“, befand Londons Bürgermeister Sadiq Khan. Briten und EU-Bürger aus allen Ecken des Landes sowie vom Kontinent waren teils mit Sonderbussen angereist, wie etwa der 55-jährige Kenny aus dem mittelenglischen Lincoln. „Ich glaube, dass die Stimmung umgeschlagen hat und sich am Ende der gesunde Menschenverstand durchsetzen wird“, sagte er. Der Brexit sei ein „einziges peinliches Chaos“. Das Parlament solle nun die Kontrolle übernehmen und „uns noch einmal wählen lassen“.
Derzeit sieht es allerdings keineswegs danach aus, als ob die beeindruckenden Bilder des Protests die Regierung oder den Großteil der Abgeordneten umstimmen würden. Auch die Onlinepetition für den Verbleib in der EU, die bis Sonntagnachmittag von mehr als fünf Millionen Menschen unterzeichnet wurde, sendet zwar ein starkes Signal aus. Dabei bleibt es aber vermutlich. Im Unterhaus gibt es nach wie vor keine Mehrheit für ein zweites Referendum und die Brexit-Anhänger kontern regelmäßig, man habe die Bevölkerung – bis heute in der Europafrage tief gespalten – im Juni 2016 gefragt. May beharrt ebenfalls stets darauf, „den Willen des Volkes“respektieren zu wollen.
Doch ihr steht eine Schicksalswoche bevor. Schon in den nächsten Tagen könnte die Premierministerin von ihrem eigenen Kabinett zum Rücktritt gezwungen werden, wie mehrere Medien am Wochenende berichteten. Obwohl sie noch im Amt ist, begannen bereits die Spekulationen über mögliche Nachfolger. Ein wenig ging es innerhalb der Konservativen Partei zu wie auf dem Basar. So hieß es etwa, dass der inoffizielle Vizepremier David Lidington als Interimsregierungschef einspringen könnte, um zunächst einen neuen Kurs für den EU-Austritt auszuloten. Am Sonntag wies Lidington das zurück: Er habe kein Interesse am Posten in der Downing Street, betonte er. Ebenfalls gehandelt wurde Umweltminister Michael Gove, der als „Königsmörder“gilt, seit er nach dem Referendum 2016 Boris Johnson in den Rücken gefallen war.
Und Theresa May hofft hingegen noch immer, dass das völlig zerstrittene Parlament ihren mit Brüssel ausgehandelten Austrittsdeal in dieser Woche billigen wird. Doch die Chancen stehen auch dieses Mal – es wäre der dritte Versuch – schlecht.