„Die Musik muss Funken schlagen“
Wie überdauert ein Festival 50 Jahre? Joe Viera, der 86-jährige Gründer und Intendant der Jazzwoche Burghausen, verrät seine Prinzipien.
Als aktiver Jazzmusiker war Joe Viera Ende der 60er-Jahre bereits weit gereist. Aber in Burghausen? Da war der Saxofonist und Jazzpädagoge zuvor noch nie gewesen. Das änderte sich, als er zu einem Vortrag in den kleinen Jazzclub eingeladen wurde. Sein erster Eindruck von der bayerisch-österreichischen Grenzstadt? Der sei „eher durchschnittlich“gewesen, erinnert sich der 86jährige Viera im Interview zurück.
Trotzdem: Als er am nächsten Tag wieder die Heimreise antrat, stand der Plan fest, dass er bald wiederkommen würde. Ein halbes Jahrhundert lang hat sich das nicht mehr geändert: Diese Woche feiert die Internationale Jazzwoche in Burghausen, die Joe Viera begründet und seither als künstlerischer Leiter geprägt hat, ihr 50-jähriges Jubiläum.
Die Idee sei entstanden, als ihn Helmut Viertel, der damalige Betreiber des kleinen Clubs, tags darauf wieder zum Zug in Richtung München chauffiert habe. „Ich bin ja einer der letzten Fußgänger“, erzählt Viera, „Führerschein und Auto besitze ich bis heute nicht.“
Weil das Gespräch während der kurzen Fahrt immer interessanter geworden sei, „habe ich erst einmal den Zug verpasst, und dann auch noch gleich den nächsten“. Stattdessen habe der Fahrplan für die erste Burghausener Jazzwoche Gestalt angenommen. „Mich hat die Idee gereizt, an einem Ort, der damals ein weißer Fleck auf der Jazzlandkarte war, etwas Größeres aufzuziehen.“
Mit dem Termin Ende März wich das Duo der Konkurrenz vorsorglich aus. Auch die Vorgabe, sich nicht auf einen Stil zu kaprizieren, sondern „ein Allroundfestival zu machen“, erwies sich als dauerhaft haltbar: Zum heurigen Geburtstag kommen etwa Jazz-Popstar Jamie Cullum, Swingdiva Dianne Reeves und Songschreiberin Angélique Kidjo ebenso wie der norwegische Trompeter Nils Petter Molvaer und die Reggae-Pioniere Sly & Robbie.
Bereits bei der ersten Festivalausgabe 1970 habe man auf Marathons verzichtet und „ganz altmodisch zwei Konzerte pro Abend angesetzt. Bei einem Festival geht es oft auch darum, genau zu wissen, was man nicht macht.“
Ob er sich an den Moment erinnern kann, als bei der Premiere die Anspannung einem Gefühl der Erleichterung wich? „Das war, nachdem ich von der Bühne gegangen bin. Ich habe ja damals mit meinem Quartett zum Festivalabschluss gespielt. Nach dem letzten Ton war ich sehr glücklich, und Helmut Viertel auch. Wir haben gleich begonnen, Pläne für die zweite Ausgabe zu machen.“Dass daraus 50 Festivals geworden seien, liege auch an dem Geist, von dem das Festival in Burghausen getragen werde. Die Teamarbeit, die von den Bewohnern größtenteils ehrenamtlich geleistet wird, „wurde sehr charakteristisch für das Festival“. Vielleicht auch durch die Grenzlage sei Burghausen eine Stadt, die stets offen für neue Klänge gewesen sei.
Ob sich die Art, wie Viera zu neuen Bands kommt, im Lauf eines hal- ben Jahrhunderts stark verändert hat? Entdeckt er seine BurghausenStars heute auch über YouTube-Kanäle? „Musik höre ich gern in höchster Tonqualität“, bemerkt der Intendant trocken, „die vermisse ich im Internet.“Über Tonträger und vor allem viele Gespräche entdecke er neue Bands. Zum elften Mal veranstaltet das Jazzfestival auch seinen eigenen NachwuchsWettbewerb, „da schicken bis zu 90 Bands aus ganz Europa ihre Musik ein“. Neben dem Preisgeld gewinnt der Sieger auch einen Auftritt im Hauptprogramm in der Wackerhalle. Mit der britischen Bigband „Beats & Pieces“kommen heuer auch ehemalige Nachwuchspreisträger auf Festivalbesuch.
Welche Eigenschaften er im Spiel von Hoffnungsträgern und alten Hasen gleichermaßen hören muss, damit er sie für Burghausen engagiert? „Die Musik muss Funken schlagen“, erläutert Viera.
Am besten zu hören sei dieser Funkenschlag aber oft auch nach den offiziellen Konzerten. Bei den Sessions in der Altstadt. „Es gab auch Jahrgänge, wo die allerbeste Musik dann um drei Uhr früh zu hören war. Da muss man als Zuhörer ein bisschen Geduld mitbringen. Und irgendwann geht es dann richtig los.“
„Man muss auch wissen, was man nicht machen will.“Joe Viera, Intendant