„Unser eigentliches Ziel haben wir überhaupt nicht erreicht“
Helge Fahrnberger fordert verpflichtende Abbiegeassistenten für Lkw. Seine Petition „Leben retten im toten Winkel“haben 75.000 Menschen unterzeichnet. Dennoch ist er enttäuscht.
Helge Fahrnberger ist müde. Die vergangenen Wochen, vor allem der Februar, haben dem 45-Jährigen alles abverlangt. „Mein erster Gedanke war damals: Es muss was passieren.“Das war am 31. Jänner, an jenem Tag, als im dritten Wiener Gemeindebezirk ein neunjähriger Bub auf seinem Scooter von einem Lkw überfahren wurde. Der Lenker hatte den Schüler beim Abbiegen nicht gesehen, weil sich dieser im toten Winkel befand.
Es dauerte nicht lange, da hatte Fahrnberger, der in der IT-Branche tätig ist, mit drei Kollegen auf der Internetplattform aufstehn.at die Petition „Leben retten im toten Winkel“gestartet. Innerhalb weniger Tage waren es Zehntausende, die seine Forderung nach verpflichtenden Abbiegeassistenten für alle Lkw unterstützten. Was folgte, war mediale Omnipräsenz: Fahrnberger wurde zum gesuchten Gesprächspartner für Zeitungen und TV-Sender. Mit seiner Forderung machte sich der Vater einer vierjährigen Tochter nicht nur Freunde. Vor allem die Frächterlobby reagierte empört, eine Nachrüstung mit Abbiegeassistenten sei zu teuer. Und überhaupt: Solange die EU nichts tut, tun wir auch nichts.
Fahrnberger will genau das Gegenteil. „Unsere Absicht war: Wenn wir Österreich dazu kriegen, einen nationalen Alleingang hinzubekommen, gibt es in der EU einen Dominoeffekt. Und wir, als erstes Land, könnten die Standards vorgeben.“Und wenn der 45-Jährige das sagt, dann glänzen seine Augen wieder und die Erschöpfung weicht für einen Moment.
Mitte Februar sah das noch etwas anders aus. Da schwamm die Bewegung hoch oben auf der Schaumkrone der Erfolgswelle. Sämtliche Organisationen und Interessenvertretungen, die in Österreich mit Verkehr zu tun haben, wurden von Helge Fahrnberger in die Pflicht genommen. Am Höhepunkt lud Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) zu einem Gipfelgespräch. Darin sollte, grob umrissen, die Entscheidung fallen: verpflichtende Assistenz beim Abbiegen – oder nicht. Dass es bei Letzterem blieb, sitzt bei Fahrnberger immer noch tief.
Heute sagt er: „Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir es bis zum Sicherheitsgipfel schaffen.“Doch trösten will er sich damit nicht. Ganz im Gegenteil: „Es nützt nichts. Unser eigentliches Ziel haben wir überhaupt nicht erreicht. Und ich kann nichts dagegen tun.“Resignation? „Ich kann mich nicht ewig Vollzeit damit beschäftigen. Das schaffe ich nicht.“Die Frustration, gescheitert zu sein, sei spürbar. „Alle Experten sagen, es geht – nur Regierung und Lobbys sagen, es geht nicht. Das Verhindern von einem Dutzend Todesfällen pro Jahr war in greifbarer Nähe. Jetzt sind wir mit unserem Latein am Ende.“
Doch Helge Fahrnberger hat einen Trumpf im Ärmel – die Zeit. Und damit meint er nicht nur den verpflichtenden Abbiegeassisten- ten für Lkw, um dem toten Winkel den Garaus zu machen. Der gebürtige Steyrer ist überzeugt davon, dass „die Transformation der Stadt in eine multifunktionale, gerecht genutzte urbane Fläche gar nicht aufzuhalten ist“.
In größeren Millionenstädten wie Madrid oder Barcelona seien Ansätze schon deutlich zu erkennen. „Bei uns reguliert die Straßenverkehrsordnung den öffentlichen Raum rigide. In Wien sind 65 Prozent der Verkehrsfläche nur für die Autos da.“Was Fahrnberger fordert, scheint undenkbar: das ersatzlose Streichen von Autoverkehrsadern. „In Seoul hat man etwa eine komplette Stadtautobahn auf Stelzen abgerissen – und was ist passiert? Der Verkehr hat insgesamt abgenommen.“
Schwer tut sich der 45-Jährige mit prinzipieller Ablehnung jeglicher Veränderung. „Denken wir nur an die Donauinsel, was es da für einen Aufstand gab. Heute ist sie ein Vorzeigeprojekt, ein einzigartiges Naherholungsgebiet und der Stolz der Wiener.“Ähnliches gelte für die Fußgängerzonen: Kärntner Straße, Graben – hellste Aufregung, dann Akzeptanz, mittlerweile lieb gewonnene Flaniermeile. „Das war in den 1970er-Jahren. Und was passiert 40 Jahre später? Haargenau dasselbe Theater bei der Mariahilfer Straße.“
Fahrnberger, der vor 15 Jahren sein Auto verkauft hat, weil es ihn in der Stadt „nur noch genervt hat“, sieht sich nicht als Ökofuzzi oder Besserwisser. Alles, was er sich wünscht, ist eine Stadt, „die kindgerecht ist und wo der öffentliche Raum nicht nur für Autos reserviert ist“. Dass es ohne Autos nicht geht, ist ihm klar. „Mit viel weniger allerdings schon.“Das will Fahrnberger weniger als Forderung verstanden haben, sondern mehr als selbsterfüllende Prophezeiung.