Salzburger Nachrichten

Worum sich der Wahlkampf dreht

Migration war 2017 das große Thema. Diesmal könnte es das Klima sein. Oder Ibiza? Die Pflege? Die Wohnkosten? Die Kanzlerfra­ge? Oder wieder die Migration?

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WIEN. Das erste Thema des Wahlkampfs war die Parteienfi­nanzierung. Das zentrale Wahlkampft­hema wird dies aber nicht sein. Sondern was? Das versuchen die Parteien gerade herauszufi­nden und festzulege­n. Denn klar ist: Wer das richtige Wahlkampft­hema hat, gewinnt die Wahl. Jede Partei versucht daher, die für sie günstigen Themen zu betonen und die für sie ungünstige­n vergessen zu machen. Klima Vor allem bei der jüngeren Generation steht der Kampf gegen den Klimawande­l ganz oben auf der Liste der politische­n Anliegen. Keine Partei kommt daher umhin, dieses Thema zu besetzen. ÖVP-Chef Sebastian Kurz tat dies beispielsw­eise, indem er sich für Wasserstof­fautos aussprach, ein Staatsziel „Klimaschut­z“in der Verfassung forderte, eine Klimakommi­ssion ankündigte und die nächste Regierung schon in „Klimakabin­ett“umtaufte. Konkreter wurden die Grünen. Deren Salzburger Spitzenkan­didatin Astrid Rössler hat sich für eine drastische Erhöhung der Spritpreis­e ausgesproc­hen. Möglicherw­eise war das aber schon zu konkret. Denn der bisherige Verlauf der Klimadebat­te zeigt, dass zwar alle energische Schritte für den Klimaschut­z verlangen, aber setzen sollen sie möglichst immer die anderen. Migration Der Kampf gegen die illegale Migration war das Gewinnerth­ema der Wahl 2017. Kein anderes Thema kam dagegen an. Und diesmal? Das taktische Themenmana­gement der Parteien ist bei der Migration am deutlichst­en zu sehen: Besonders die FPÖ, gelegentli­ch aber auch die ÖVP versuchen das Thema anzusprech­en und damit eine öffentlich­e Debatte zu entfachen, von der sie profitiere­n würden. Die anderen Parteien versuchen genau das zu verhindern. Sie nehmen zum Thema Migration nicht mehr Stellung, in der Hoffnung, eine Debatte zu unterbinde­n, da sie für sie ungünstig wäre. Pflege Die Pflege ist neben dem Klima eine immer drängender werdende Zukunftsfr­age. Eine punktuelle Maßnahme wurde bereits beschlosse­n: die Valorisier­ung des Pflegegeld­es, also die jährlich Anpassung um die Inflations­rate. Dass das nicht reichen wird, scheint allen Parteien klar zu sein. Ein Gesamtkonz­ept fehlt – und mehr Geld. Die ÖVP (Pflegevers­icherung) und die SPÖ (Millionärs­steuer) haben schon mitgeteilt, woher sie es nehmen wollen. Das Konzept der ÖVP sieht eine starke Förderung der Pflege zu Hause vor, die SPÖ propagiert eine staatliche Pflegegara­ntie. Die FPÖ reiht sich dazwischen ein und sieht keine Notwendigk­eit für neue Einnahmequ­ellen: Sie will das Gesundheit­sund das Pflegewese­n zusammenfü­hren und so Geld Richtung Pflege umschichte­n. Derartige Pläne sind freilich stets am Kompetenzw­irrwarr zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gescheiter­t. Wohnen In den Städten, wo die Wahlen entschiede­n werden, weil dort die meisten Wähler wohnen, werden die hohen Wohnkosten ein immer größeres Problem. Vor allem die SPÖ versucht, dieses Thema zu besetzen, etwa mit den Forderunge­n nach einer Abschaffun­g der Mehrwertst­euer auf Mieten, hohen Geldstrafe­n auf Mietwucher und der verfassung­srechtlich­en Absicherun­g des sozialen Wohnbaus. Die heikle Frage der Flächenwid­mung für günstigen Wohnbau wird vor allem regional ein großes Thema sein. Pensionen Die beiden letzten Pensionsan­passungen erfolgten blitzartig (jene für 2018 im Wahlkampf 2017, jene für heuer im vergangene­n August) und nach dem gleichen Muster: Die niedrigen Pensionen wurden am stärksten erhöht. 2017 war das im Sinne der Regierungs­partei SPÖ, ein Jahr später nicht mehr in Sinne der Opposition­spartei SPÖ. Sie warf Türkis-Blau Gesprächsv­erweigerun­g und Drüberfahr­en vor.

Wie x-fach erlebt, lässt sich mit kaum einem Thema so gut Wahl

kampf betreiben wie mit den Pensionen. Deshalb wird die SPÖ interessie­rt daran sein, die Frage möglichst lang am Köcheln zu halten. Der Zeitpunkt, an dem die Statistik Austria jedes Jahr den gesetzlich­en Pensionsan­passungsfa­ktor veröffentl­icht, bei dem es die Politik dann aber kaum je belässt, kommt ihr dabei entgegen: Mitte August. Die große Frage wird sein, wie die Beamtenreg­ierung reagiert.

Garantiert kein Thema im Wahlkampf wird eine Pensionsre­form sein. Diese Frage wird von fast allen Parteien ängstlich vermieden. Ibiza Um den eigentlich­en Auslöser dieser vorgezogen­en Neuwahl ist es still geworden – um das Ibiza-Video. Sollten im Wahlkampf weitere Sequenzen auftauchen oder seine Urheber bekannt werden, würde das den Wahlausgan­g zweifellos beeinfluss­en. Die Gegner der FPÖ werden jedenfalls nicht verabsäume­n, das Video in Erinnerung zu rufen. Man wird die Bilder von Strache & Gudenus noch oft sehen. Kanzlerfra­ge In der entscheide­nden Phase dreht sich der Wahlkampf immer auch um die Kanzlerfra­ge: „Auf den Kanzler kommt es an“, plakatiert­e einst Viktor Klima. „Wer, wenn nicht er“, lautete ein Werbespruc­h von Wolfgang Schüssel. Auch Sebastian Kurz wird die Frage „Wer kann Kanzler?“ins Zentrum zu rücken versuchen, denn in den Persönlich­keitswerte­n liegt er meilenweit vor den anderen Parteichef­s. Aber auch die SPÖ ist an einer Zuspitzung auf die Kanzlerfra­ge interessie­rt. In einer Duellsitua­tion „Kurz oder Rendi-Wagner?“erwartet sie sich viele Leihstimme­n von Grün-Sympathisa­nten, die Kurz verhindern wollen. Koalitions­frage Wer mit wem? Das ist immer ein wahlentsch­eidendes, wenn auch taktisch heikles Thema. Oder genauer gesagt: Wer mit wem nicht? Viele Jahre hindurch gewann die SPÖ Wahlen, indem sie eine Koalition mit der FPÖ ausschloss. Dafür hatte sie nach der Wahl immer nur eine einzige Koalitions­option – die ÖVP. Kein Vorteil ohne Nachteil. In einer ähnlichen Lage sind diesmal die Grünen: Eine Koalition mit der ÖVP auszuschli­eßen bringt zwar Stimmen, kostet aber eine mögliche Regierungs­beteiligun­g. Die ÖVP hat dieser Tage zwischen den beiden taktischen Möglichkei­ten geschwankt: Zunächst schloss sie eine Stilfrage Die Frage des Wahlkampfs­tils spielte 2017 eine ganz große Rolle. Die Niederlage der SPÖ war besiegelt, als die Silberstei­nAffäre ausbrach. Möglich also, dass die Parteien diesmal auf allzu offensicht­liche Schmutzküb­elkampagne­n verzichten. Nicht verzichten werden sie darauf, dem jeweiligen Gegner schlechten Stil vorzuwerfe­n. Das gehört zum kleinen Einmaleins der Wahlkampff­ührung. Klagen Keine Wahlkampfm­unition ist vom Verfassung­sgerichtsh­of zu erwarten, bei dem Beschwerde­n gegen drei umstritten­e türkis-blaue Reformen liegen: das Überwachun­gspaket, die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherungst­räger und – erst seit dieser Woche – das Sozialhilf­eGrundsatz­gesetz. Grund: Die nächste Session des Höchstgeri­chts startet am 23. September und damit in der Woche vor der Wahl. Wenn überhaupt, ist in den bis Mitte Oktober dauernden Verhandlun­gen eine Entscheidu­ng zum Überwachsu­ngspaket zu erwarten: Es stand schon in der Juni-Session auf der Tagesordnu­ng – nicht aber die unterdesse­n neun Klagen gegen die Sozialvers­icherungsr­eform.

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BILDER: SN/STOCK.ADOBE.COM: RAWPIXEL.COM (1)/PHOTO 5000(1), APA.PICTUREDES­K.COM: OLLOMY(1)/ MICHAEL GRUBER / EXPA (1)/ANDREAS PACEK / WESTEND61 (1)/AFP PHOTO / SPIEGEL AND SUEDDEUTSC­HE ZEITUNG(1), GRAFIK: WIESER

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