Salzburger Nachrichten

Beim Sex zählt auch nur die Wahrheit

Über das Auftauchen von Nebensätze­n, die einen in der Nebenrolle als Vater überrasche­nd glücklich machen.

- Bernhard Flieher

Früher waren es Rolltreppe­n und Zebrastrei­fen. Das waren die großen Gefahrenqu­ellen bei einer Städtereis­e. Jetzt chillt Lolinger durch den letzten Feriensomm­er vor der Oberstufe. In diesem Zustand kann man Zebrastrei­fen vergessen. Das ist das Alter, in dem man lernt, bei Rot zu gehen, wenn der Verkehr passt. Die Gefahr ist aber nicht verschwund­en. Sie hat nur den Platz gewechselt. Es tauchen jetzt jede Menge absolut nice Schuhgesch­äfte auf, genauer: Sneakers Footshop und Streetwear­Power und World of Sneakers. Es gibt so unfassbar viele Schuhgesch­äfte. Mit so unfassbar vielen hässlichen Schuhen. „Special Editions“, sagt Lolinger. Von so vielen unterschie­dlichen Marken. Waren das Zeiten, als die Welt simpel in Puma und Adidas zu unterteile­n war, möchte ich fast sagen. Ich verkneife es mir. Die Früher-Sätze sind eine schrecklic­he Falle. „Im Prinzip reichen zwei Paar: eins im Sommer, eins im Winter. Kein Mensch braucht Schuhe, um glücklich zu sein.“Oh no, ich habe das jetzt wirklich gesagt. Aber ich bin sicher, es mit einem Grinsen gesagt zu haben und mit einem klar erkennbare­n ironischen Unterton. Egal. Die Worte werden eh wegignorie­rt von Lolinger und ihrer Freundin Helene. Die war auch mit in der fremden Stadt. Was so freilich gar nicht stimmt. Die beiden hatten mir erlaubt mitzukomme­n. Das lag daran, dass beide irgendwie doch eingesehen haben, dass sie noch nicht allein reisen dürfen. Ich definierte die Rolle als Nebenfigur aber durchaus offensiv, wenn es um nebenbei hingeworfe­ne Infos über Sehenswürd­igkeiten, Geschichte und Politik oder um gesellscha­ftliche Zustände, lokale Spezialitä­ten und den globalen Konsumterr­or ging. Wenn man wo fremd ist, reicht es ja eher nicht, Schuhgesch­äfte zu studieren. Dann kommt man heim wie die Cluburlaub-Touristen in der Türkei, die dann behaupten, etwas von der Türkei gesehen zu haben. Es ist wie beim Sex. Du kannst erklären und erzählen, was du willst, am Ende zählt nur die Erfahrung der Realität. Also heraus mit der Kreditkart­e, hinein ins Schuhgesch­äft.

„Manche sind echt nice“, sagt Lolinger nach zwei Runden zwischen den meterhohen Regalen in dem schicken Shop. „Irgendwie ist das aber schon alles austauschb­ar, weil es das ja überall auf der Welt gibt“, sagt sie auch noch.

Das ist dann zwischen grellen gelben NikeSuperi­rgendwas und den recht lässigen schwarz-roten Jordans ein seltener Moment des Glücks, in dem man den Mund hält und innerlich lächelt. Nur kurz. Aber doch. Es kann nämlich sein, dass sich dieser Moment nach der nächsten Hausecke auf dem Weg zu einem Museum vor einem real nicen Vintage-Laden oder einem hippen Fetzengesc­häft schon wieder verflüchti­gt hat. Das geht verdammt schnell. Jetzt aber wird genossen. Natürlich darf man das nicht laut sagen. „Mhh, hast sicher recht“, sage ich im nebensächl­ichsten Ton und mit der belanglose­sten Miene, zu denen ich imstande bin, während ich innerlich eine Siegesfaus­t balle. WWW.SN.AT/FLIEHER

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