Der Ritter, der die Welt besser machen wollte
Die Bregenzer Festspiele entdecken eine traumhafte Opernschönheit voll Melancholie und Abschied: „Don Quichotte“von Jules Massenet.
BREGENZ. Mit der kontinuierlichen Entdeckung von Opernraritäten sichern sich die Bregenzer Festspiele parallel zum Seebühnenspektakel eine besondere Note. Der Aufwand für nur drei Aufführungen ist dabei beträchtlich. Heuer scheint es fast so, als hätte das Megaformat des „Rigoletto“auch auf die sogenannte Hausoper übergegriffen. Für die fünfaktige Comédie héroïque „Don Quichotte“von Jules Massenet, eine eigenartige Mischung aus Traummusik und Abschiedsmelancholie, 1910 als letztes Werk des damals 68-jährigen Komponisten in Monte Carlo uraufgeführt, hat Julia Hansen fünf eigenständige, für sich stehende Bühnenbilder gebaut, die eine sonderbare Zeitreise sind.
Sie reagieren damit durchaus kongruent auf den Stilmix der Musik, die sich spanischer Folklore ebenso bedient wie großer Gefühle in Romanzen, Balladen, Monologen, Duetten, die wuchtige Chormusik ebenso bietet wie knappe, wie fragmentarisch wirkende Szenenskizzen. Der gravierende Nachteil: Die komplizierten Umbauten schaffen überlange Pausen, reißen Löcher in die ohnedies kurzen Episoden, kappen damit schnell aufgebaute Spannungsbögen beträchtlich. Man steht wie vor einem nicht durchwirkten Patchwork.
Dies wirkt auch deshalb nachteilig, weil Daniel Cohen als Dirigent einen oft weit ausschwingenden, elegisch leisen Ton vorgibt (den die Wiener Symphoniker mit superber Klangkultur und solistisch feiner Transparenz adeln). Auch wenn er durch laute, plakativ illustrierende Elemente, vor allem wenn Lokalkolorit auftaucht, durchbrochen wird, bleibt doch eine getragene Grundstimmung voll subtiler Momente vorherrschend.
Regisseurin Mariame Clément will in ihrer szenischen Umdeutung das Männlichkeitsideal des Helden kritisch befragen. Als tagesaktuellen Vorspann gibt es deshalb den Werbespot eines Herstellers von Rasierklingen, der vornehmlich in rechten Kreisen einen Shitstorm auslöste, weil er das Männerbild verweich-, wenn nicht gar verweiblicht. Darauf folgt die Suada eines wütenden Mannes aus dem Publikum: leider so plump, dass es nicht nur den Beginn lähmt, sondern auch die Aufführung komplizierter macht, als es das Stück ist. Der Episodencharakter der fünf Akte würde einen leicht(er)en Erzählfluss vertragen.
So folgen nach dem historisch pittoresk bebilderten Ständchen für Dulcinée (als Theater auf dem Theater) zunächst Abort und Dusche, wo Don Quichotte gegen die Windmühlen-Riesen in Form eines Ventilators kämpft, dann wird der gestohlene Schmuck für Dulcinée einer Straßengang abgeluchst, welche den Ritter in ihrer Unterwelt wie einen Heiligen empfängt. Schließlich landen Sancho Pansa und sein Herr, der endlich die Liebe seiner Angebeteten erringen will, in einem modernen Großraumbüro, ehe wieder alles zum Theater wird, um rührend von Don Quichotte Abschied zu nehmen.
Der tiefere Sinn dieser Wechselbäder mag sich nicht erschließen. Entschädigt wird man dafür durch den balsamischen Wohllaut, mit dem Gábor Bretz die vokalen Linien des Titelhelden zieht – den Massenet für Fjodor Schaljapin geschrieben hatte: mit einer Spannkraft ohne jede Überspanntheit. Wunderbar abschattiert ist auch David Stouts beweglicher Sancho Pansa. Und je länger, je mehr gefällt auch die anfangs noch verschlossen wirkende Anna Goryachova als dunkel erblühende Dulcinée.
Gerührt vom Ritter, der Träume und Ideale zu seiner Wirklichkeit macht, dankte das Premierenpublikum begeistert. Oper: