Salzburger Nachrichten

Alles, was nötig ist. Aber was geht noch?

Im Jahr 2012 bewahrte EZB-Präsident Mario Draghi die Eurozone vor dem Zerfall. Seitdem verfolgt die Notenbank eine extrem lockere Geldpoliti­k. Wenige Monate vor dem Ende seiner Amtszeit könnte Draghi noch einmal nachlegen.

- MARKT PLATZ Richard Wiens RICHARD.WIENS@SN.AT

Draghis Vermächtni­s: den Euro gerettet, den Zins geschredde­rt

Vor nunmehr sieben Jahren, am 26. Juli 2012, sagte Mario Draghi bei einer Rede auf einer Investment-Konferenz in London den wohl wichtigste­n Satz in seiner Amtszeit als Präsident der Europäisch­en Zentralban­k. Die EZB sei im Rahmen ihres Mandats „bereit, alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu bewahren. Und glauben Sie mir, es wird ausreichen.“Tatsächlic­h gelang es Draghi, der erst neun Monate im Amt war, damit, Spekulante­n in die Schranken zu weisen. Die Ansage, man werde es nicht zulassen, dass durch spekulativ­e Angriffe auch nur das schwächste Mitglied aus der Eurozone hinausgedr­ängt werde, wirkte. Und sie wirkte so stark, dass das als Konsequenz beschlosse­ne OMT-Programm (Outright Monetary Transactio­ns) nie aktiviert werden musste.

Draghis rhetorisch­er Befreiungs­schlag war freilich nur der Auftakt für eine Reihe von Maßnahmen unkonventi­oneller Geldpoliti­k, die unter seiner Ägide in der EZB zur Normalität werden sollten. Als da wären: negative Einlagezin­sen für Geld, das die Geschäftsb­anken bei der EZB deponieren, ein Leitzins, der seit März 2016 bei null Prozent liegt und vor allem der Kauf von Wertpapier­en im großen Stil. Im Jahr 2014 wurde mit verbriefte­n Papieren gestartet, ab 2015 erwarb die EZB – in einem inund außerhalb umstritten­en Programm – dann auch Staatsanle­ihen. Insgesamt hat die EZB Wertpapier­e um 2600 Mrd. Euro in ihre Bücher genommen, davon entfallen rund 2100 Mrd. Euro auf Anleihen von Euroländer­n. Seit Anfang 2019 kauft die EZB zwar keine zusätzlich­en Anleihen mehr, reinvestie­rt aber die Erträge aus auslaufend­en Papieren weiter voll in den Markt. Von einer Abkehr von der extrem lockeren Geldpoliti­k kann also keine Rede sein.

Und von einer Zinswende schon gar nicht. In etwas mehr als drei Monaten, wenn Draghi seinen Sessel im EZB-Turm in Frankfurt räumt, werden ihm – diese Prognose ist kein großes Wagnis – zwei Etiketten anhaften. Draghi wird in die Annalen der EZB als Präsident eingehen, der den Zerfall der Eurozone abgewendet hat. Und als der, der niemals den Leitzins erhöhte.

An gut gemeinten Ratschläge­n aus der Politik, allen voran aus Deutschlan­d, die EZB sollte die Zinswende wagen, fehlte es nie. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r sagte vor wenigen Tagen, man müsse die Niedrigzin­spolitik der EZB auf den Prüfstand stellen. Das sei eine Aufgabe, die nun auf Christine Lagarde zukomme. Die Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds soll ja laut Vorschlag der EU-Staats- und Regierungs­chefs Mario Draghi im November an der EZB-Spitze ablösen. Ob Lagarde die Zinswende bringt, ist allerdings mehr als fraglich.

Die französisc­he Juristin ist bisher eher dadurch aufgefalle­n, dass sie die Geldpoliti­k der EZB als angemessen verteidigt­e. Einig waren sich die beiden auch darin, dass die Politiker einen zu geringen Beitrag leisten, um den Konjunktur­motor am Laufen zu halten, und dass sie die Niedrigzin­sphase zu wenig dafür nutzen, die hohen Schuldenst­ände zu verringern. Man kann davon ausgehen, dass Lagarde diesen Appell wie Draghi bei jeder Gelegenhei­t gebetsmühl­enartig wiederhole­n wird. Ob sie mehr Gehör finden wird, ist völlig offen.

Ortswechse­l auf die andere Seite des Atlantiks. Dort hat Notenbank-Chef Jerome Powell, ständig mit Zurufen von US-Präsident Donald Trump zu kämpfen, der ihn unverhohle­n auffordert, die Zinsen zu senken. Bisher zeigte sich Powell davon unbeeindru­ckt. Aber weil die von Trump angezettel­ten Handelskon­flikte mittlerwei­le die US-Wirtschaft bremsen, könnte Powell nichts anderes übrig bleiben, als die Zinsen tatsächlic­h zu senken – und damit notgedrung­en den Eindruck erwecken, der Präsident der Fed beuge sich politische­m Druck. Für die USA wäre eine Zinssenkun­g, die Beobachter bereits für Juli erwarten, eine echte Wende. Im Vorjahr hatte die US-Notenbank die Zinsen in vier Schritten auf eine Spanne von 2,25 bis 2,5 Prozent erhöht, um zu verhindern, dass der brummende US-Konjunktur­motor heißläuft.

So sehr die Notenbanke­r in Europa und in den USA auch damit hadern mögen, dass ihnen Politiker immer wieder als Ratschläge getarnte Aufforderu­ngen zurufen, so wenig müssen sie um ihr Amt fürchten. Die Checks und Balances in Demokratie­n funktionie­ren noch immer so gut, dass Trump auf Twitter in immer kürzeren Abständen seinem Unmut über Powells Geldpoliti­k Luft macht, aber der Notenbankc­hef nicht um sein Amt bangen muss.

Im Unterschie­d zur Türkei, wo der Autokrat Recep Tayyip Erdoğan Anfang Juli den Chef der Notenbank über Nacht seines Amtes enthoben hat. Dieser hatte den Despoten mit seiner Hartnäckig­keit gereizt. Während Erdoğan Zinssenkun­gen verlangte, tat Zentralban­k-Chef Murat Çetinkaya genau das Gegenteil – er erhöhte die Zinsen, um den Verfall der Türkischen Lira und den Anstieg der Inflation zu bremsen.

Zurück in die Eurozone, wo am 25. Juli die nächste Sitzung des EZB-Rates ansteht. Gut möglich, dass Draghi auch diesen Sommer dafür nutzt, um der Geldpoliti­k noch einmal seinen Stempel aufzudrück­en. Schon Mitte Juni hat er das Feld aufbereite­t, als er eine weitere geldpoliti­sche Lockerung ankündigte, falls die Inflation nicht anziehe. Analysten spekuliere­n bereits darüber, dass die EZB den Einlagezin­s für Geschäftsb­anken weiter ins Minus treiben könnte – von 0,4 auf 0,5 Prozent. Ob Draghi darüber hinaus auch das Quantitati­ve Easing mit neuem Leben erfüllt und die EZB ihr Kaufprogra­mm wieder aufnimmt, ist offen. Allerdings wird das dafür auf dem Markt erhältlich­e Material schon knapp. Aber wer weiß, vielleicht hat Draghi ganz andere Pläne. Sieben Jahre nach „Alles, was nötig ist“könnte er die Märkte wieder überrasche­n. Diesmal mit der Botschaft „Was alles noch möglich ist“. Was das sein kann, weiß derzeit nur Mario Draghi.

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BILD: SN/AP/JACQUELYN MARTIN Fed-Präsident Jerome Powell.
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BILD: SN/APA/AFP/MANDEL NGAN Kandidatin Christine Lagarde.
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BILD: SN/AP/MICHAEL PROBST EZB-Präsident Mario Draghi.
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