Kann Urlaub Heimat auf Zeit bieten?
Der Alpenraum ist oft Sinnbild für die „heile Welt“schlechthin. Doch wie nahe dürfen sich Heimatgefühl und Tourismus kommen?
VILLACH. Urlaubsgäste suchen Heimat auf Zeit. „Über diese Tatsache sollte man sich nicht lustig machen“, warnt der Geschäftsführer der Tourismusregion Villach, Georg Overs, vor intellektueller Überheblichkeit. Der gebürtige Rheinländer hat selbst schon mehrfach seine „Heimaten“gewechselt. Dieses Wechselspiel zwischen Nähe und Ferne, von der Herkunft vorgegebener und – freiwillig oder genötigt – veränderter Heimat prägte die diesjährigen Europäischen Toleranzgespräche im Kärntner Fresach, deren Auftakt als Tourismusforum in Villach über die Bühne ging.
Der Begriff Heimat habe sich vom juristischen Faktum „Heimatrecht“durch die studentischen Burschenschaften im 19. Jahrhundert zum idealisierten, ethnisch-politischen und antisemitischen Diktat gewandelt, erklärt die Südtiroler Autorin Elsbeth Wallnöfer („Heimat – Ein Vorschlag zur Güte“). Das so stark belastete Wort werde heute eher als Gefühl verstanden denn als Ortsgebundenheit. So sieht es auch Leo Bauernberger, Geschäftsführer der Salzburger Land Tourismus Gesellschaft und sagt: „Wir wollen dem Gast Heimatgefühl vermitteln.“Wie es auch in den von der Salzburger Tourismusgesellschaft festgelegten strategischen Highlights formuliert ist: Heimatgefühl, das Tradition, Brauchtum und Handwerk umfasst.
Wallnöfer bezeichnet es als gefährlich, Heimat mit Traditionen gleichzusetzen. „Dieses Heimatdiktat, erfunden von systemkonformen Deutungseliten“, drücke sich in Tracht, Essen und Festen aus. Aktuelle kulturelle Strömungen würden – auch als Reiseangebot – ignoriert. Tourismusvermarkter sollten hinterfragen, wie weit der „Mythos Alpen“als Inbegriff der heilen Welt für Heimat und Geborgenheit überhaupt zukunftsträchtig sei.
Der in Siena lehrende Anthropologe Maurizio Bettini („Wurzeln – Die trügerischen Mythen der Identität“) brachte es bei den Toleranzgesprächen mit Blick auf die Antike auf den Punkt: Während die alten Griechen Fremden und Zuwanderern niemals Zugang zu Land oder Bürgerrechten gewährten, hätten im Römischen Reich sogar Sklaven Bürger werden können. „Die Jugend hat ihre Zugehörigkeit heute römisch definiert“, sagt Bettini mit Überzeugung. Die Jugend reise, arbeite und lebe in anderen Ländern. „Sie schaffen wandelbare Heimaten. Alle erwerben ein neues Bürgerrecht und behalten dennoch – so wie einst in Rom – ihre eigene Abstammung, ihr Origo.“Europa solle diese Überlegenheit des offenen Zugangs nie vergessen.
Der Begriff Heimat selbst wird zwar in vielen Branchen – bis hin zu den Lebensmitteldiskontern – offensiv verwendet. Von der österreichischen Tourismuswirtschaft wird er dagegen eher selten in Anspruch genommen. Selbst Bauernberger wundert sich, dass er im eigenen Markenbildungspapier nicht vorkommt. Wenn sich in Oberösterreich der Tourismuslandesrat freue, dass „Touristiker ein Stück Heimat hinaustragen“, dann gehe es um die Ausstattung der Tourismusmitarbeiter mit Dirndl und Trachtenjanker, sagt Bauernberger.
Neben der historischen Belastung durch deutschnationale Männerbünde ist die Zurückhaltung wohl auch in der schwierigen Übersetzung begründet. „Homeland“hat wenig mit Heimatgefühl zu tun. Heimweh wiederum wurde von der Psychiatrie erfunden („Schweizerkrankheit“), das Gegenstück „Fernweh“ist noch mehr ein deutschsprachiges Unikat. Es wird auf Englisch zum Lehnwort „Wanderlust“.
Doch die Flut der nun global von Fernweh Befallenen befeuert die Diskussion, wie intensiv andere ins heimatliche Umfeld eindringen dürfen. Denn in der alpinen Tourismuswerbung wird seit einigen Jahren Authentizität als Nonplusultra gehandelt. „Live like a local“, fasste Airbnb den Gästewunsch schlagkräftig zusammen. Immer wieder berichten selbst Hoteliers von Urlaubern, die am liebsten abends am Esstisch ihrer Gastgeber Platz nehmen würden.
Tourismusforscherin Nadine Scharfenort von der Freien Universität Berlin stellt fest: „Sich als Tourismusort an Besuchermassen anzupassen hat nichts mit kultureller Prostitution zu tun. Gastfreundschaft bedeutet Flexibilität gegenüber seinen Gästen, ohne dabei die eigenen Werte zu negieren.“
So stehe beispielsweise Zell am See nicht zu seiner hohen Attraktivität bei arabischen Gästen, sondern blende diese in der Vermarktung, etwa auf Fotos, komplett aus. Anekdotisch erinnerte sie an ihre mehrjährige Forschung rund um den Boom arabischer Gäste am Zeller See. Dabei könnten manche Kritikpunkte der Gäste im übertragenen Sinne genauso von Österreichern über Österreicher in Caorle stammen. „There are too many Arabs here“, das sei eine durchaus geläufige Antwort von arabischen Gästen gewesen. Man will in der Urlaubsheimat offensichtlich nicht an den Alltag erinnert werden. Doch folgt andererseits bei kultureller Nähe eine überhöhte Identifikation. So hat Scharfenort nicht nur ein Mal von deutschen Touristen zu hören bekommen: „Es sind zu viele Ausländer hier.“
Die lebhafte Diskussion in Villach zeigte, wie vielschichtig das Wechselspiel zwischen Heimat und Tourismus ist. Objekte, die ins Eigentum der temporären Gäste übergehen, werden oft als „verkaufte Heimat“betrachtet. Gerade bei Grund und Boden sei es unverständlich, dass dieser als beschränkte Ressource frei gehandelt werde, kritisierte Sozialwissenschafterin Brigitte Kratzwald. „Es gibt unmessbare Werte, die man erst merkt, wenn sie weg sind. Heimat gehört zu diesen ,Commons‘ genannten Ressourcen, die wir gemeinsam besitzen, pflegen, verwalten und nutzen sollten.“
Doch der Tourismus kann auch „Opfer“von privatem Grundeigentum werden. Villach-Touristiker Georg Overs nannte zwei Beispiele: „Natürlich bewegt uns hier in Kärnten: Wem gehören die Seegrundstücke? Oder die Mountainbikestrecken?“Die öffentliche Hand versuche hier Rückkäufe und Nutzungsregelungen zum Wohle von Einheimischen und Touristen zustande zu bringen. „Aber man muss in diesem Zusammenhang auch über Enteignen sprechen dürfen, ohne gleich Kommunist zu sein.“
„Heimat ist nicht gleich Traditionen.“