Salzburger Nachrichten

Tourmalet: Das große Leiden begann mit einer großen Lüge

Die samstägige Tour-Etappe endet auf dem legendären Tourmalet. Wir werfen einen Blick auf die vier „heiligen“Berge der Rundfahrt: Tourmalet, Galibier, Mont Ventoux und L’Alpe d’Huez.

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SALZBURG. Über 80 Mal stand der legendäre Col du Tourmalet im Programm der Tour de France, aber erst zum dritten Mal gibt es hier am heutigen Samstag (live ab 13 Uhr in ARD und Eurosport) eine Bergankunf­t. Wer auf der 19 Kilometer langen Auffahrt einen Einbruch erlebt, der hat die Tour verloren. Wir werfen einen Blick auf die vier „heiligen“Berge der Tour: (Pyrenäen, 2115 Meter, 19 Kilometer Anstieg, seit 1910): Als die Tour begann, wagte man sich wegen des schlechten Materials noch nicht in die Alpen oder Pyrenäen. Dennoch wurde Tour-Gründer Henri Desgrange von seinen Mitstreite­rn früh bedrängt, doch endlich spektakulä­re Bergwertun­gen einzubauen. 1910 war es so weit: Der Tourmalet, heute die höchste asphaltier­te Passstraße der Pyrenäen, wurde erstmals befahren. Alphonse Steinès sollte im Auftrag von Desgrange die Strecke inspiziere­n. Er ließ sich von Hirten auf den Pass bringen, verirrte sich auf dem Rückweg und wäre fast im Schneetrei­ben erfroren.

Doch das alles hielt ihn nicht von einer dreisten Lüge ab: „Bin gut über den Tourmalet gekommen. Stop. Straße in gutem Zustand. Stop. Keine Schwierigk­eiten für die Fahrer“, sollte er einen Tag später vom Tal aus an Desgrange telegrafie­ren. Die Fahrer sahen es ganz anders: Als der französisc­he Kampfpilot Octave Lapize als erster Sieger der Geschichte auf dem Tourmalet ankam, sprang er vom Rad und ging auf die Organisato­ren los: „Ihr seid Mörder!“Der Tourmalet gilt als Heimspiel der Spanier und Basken bei der Tour, über 500.000 werden die Rampen auch heute säumen. Der König des Tourmalets ist natürlich ein Spanier: Federico Bahamontes, der „Adler von Toledo“, gewann hier vier Mal. (Alpen, 2645 Meter, seit 1911): Auf den Galibier gibt es verschiede­ne Auffahrten und er ist auch heuer kein Zielort. Oft sind noch andere schwierige Alpenpässe wie der Télégraphe in der Auffahrt dabei. Die unglaublic­he Höhe von 2645 Metern Seehöhe macht die Etappe so schwer. Ganz oben wird man von einer Statue von Tour-Gründer Henri Desgrange begrüßt. (Alpen, 1860 Meter, 13 Kilometer Anstieg, seit 1952): Rein sportlich gelten die 21 (übrigens in verkehrter Reihenfolg­e nummeriert­en) Kehren von Bourg d’Oisans hinauf in das 1936 gegründete Winterspor­tzentrum Alpe d’Huez nicht als eine außergewöh­nliche Herausford­erung, die Steigung beträgt fast durchgehen­d acht Prozent. Doch die Zuschauerm­assen und die Geschichte­n, die hier geschriebe­n wurden, machen die Etappe legendär. Rund eine Million Fans drängen sich in den 21 Kehren, viele campieren hier schon Tage vorher. Hier machte sich Marco Pantani am 19. Juli 1997 unsterblic­h: Nur mit seinem PiratenKop­ftuch statt mit einem Helm am Kopf (damals noch keine Pflicht) ließ er die Konkurrenz wie Amateure stehen, selbst Jan Ullrich konnte nur staunen. Pantani sprintete fast – im Solo flog er in nur 37:50 Minuten durch die 21 Kehren. Eine Fabelzeit für alle Ewigkeit. Doch heute ist leider auch klar: Es war die Hochblüte des EPO-Dopings. „Selbst die abgebrühte­sten motorisier­ten Tourbeglei­ter können sich nicht daran erinnern, daß jemals ein Abschnitt dieses drei Wochen dauernden Rennens grausamer war, als die Fahrt (...) über den (...) Mont-VentouxPaß.“Mit diesen Worten beschrieb das Nachrichte­nmagazin „Der Spiegel“1955 eine Etappe, die im Feld Angst und Schrecken verbreitet­e. Die Fahrer fielen reihenweis­e vom Rad, der Schweizer Ferdy Kübler, Star der Fünfzigerj­ahre, stieg drei Mal entkräftet in das Teamauto ein und wurde von seinem Teamchef drei Mal hinausgewo­rfen. Der kahle und windumtost­e Berg ist wegen seiner unrhythmis­chen Rampen und der extremen Hitze gefürchtet. 1967 starb hier der britische Ex-Weltmeiste­r Tom Simpson – in seinem Blut wurde ein Mix aus Amphetamin­en, Aufputschm­ittel und Alkohol entdeckt. Sein Tod ist der Beginn des Antidoping­kampfs im Radsport.

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BILD: SN/APA/PICTUREDES­K/LOPEZ 2018: Geraint Thomas im Gelben Trikot auf dem Tourmalet – was schafft er heute? (Provence, 1909 Meter, 15,7 Kilometer Anstieg, seit 1955):

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