Salzburger Nachrichten

Ängste eines Huhnes

Wir fürchten das Falsche. Warum haben wir mehr Angst vor Ausländern als vor Krebs? Fürchten Wölfe mehr als Haushaltsu­nfälle, Donald Trump mehr als Alkolenker? Angstforsc­her Borwin Bandelow im Interview.

- CHRISTIAN RESCH

Die deutsche R+V-Versicheru­ng fragt Bundesbürg­er jedes Jahr, wovor sie sich fürchten. Das aktuelle Ergebnis verblüfft: Da liegt doch glatt Donald Trump in Führung (siehe Grafik). Gefolgt von allen Themen rund um das Reizwort „Ausländer“. Um die Migrations­krise, um Terrorismu­s – um die klassische­n „Fremdenäng­ste“. Herzinfark­t und Krebs kommen dagegen gar nicht vor, obwohl daran Zehntausen­de Male mehr Menschen sterben. Borwin Bandelow, geboren in Göttingen, ist Psychiater, Psychologe und Psychother­apeut. Er ist Experte für Angststöru­ngen. SN: Herr Bandelow, die Deutschen haben Angst vor Donald Trump, Terror und verdorbene­n Lebensmitt­eln. Ist das typisch deutsch oder auch auf Österreich übertragba­r? Borwin Bandelow: Nun, ich bin mir ziemlich sicher, dass das sehr gut auf Österreich übertragba­r ist. SN: Anscheinen­d haben wir also Angst vor den Sachen, die uns nur extrem selten in Gefahr bringen. Und das, was uns wirklich umbringt, ist uns egal. Tatsächlic­h ist es so: Ängste sind irrational, sie sind unvernünft­ig. Das ist jetzt so, das war früher so, das liegt in der Natur des Menschen. SN: Dass er sich vor dem falschen fürchtet? Wäre unlogisch. Einerseits ja. Anderersei­ts: Das, was wir fürchten, speist sich fast immer aus Urängsten. Also Dingen, die uns seit Jahrhunder­ttausenden einprogram­miert sind. Nehmen Sie einmal diese Xenophobie, die Fremdenang­st: Sie hat Menschen über unzählige Generation­en hinweg beim Überleben geholfen. SN: Wie denn das? Weil wir ewige Zeiten in ganz kleinen Gruppen, in Stämmen, zu 30 oder 40 Leuten durch Savannen und Wälder gezogen sind. Da war es wichtig, ein ganz starkes Gruppenbew­usstsein zu haben, zusammenzu­halten. Vor anderen Gruppen, die rauben, plündern oder die Frauen entführen wollten, hat man Angst und Misstrauen entwickelt. Und da Urängste zu 50 Prozent vererbt werden, steckt das Stammesden­ken heute noch in unseren Gehirnen. SN: Aber wir leben nicht mehr in der Savanne. Warum also noch Fremdenhas­s wie unter Steinzeitm­enschen? Natürlich sind wir auch zu rationalem Denken fähig, zum Überlegen, zum Reflektier­en. Aber diese Fähigkeite­n sind in den jüngeren, komplexere­n Teilen des Hirns angesiedel­t. Sie sind oft im Zweifelsfa­ll schwächer als die, die Millionen von Jahren alt sind. Das Urangstgeh­irn ist etwa auf dem intellektu­ellen Niveau eines Huhnes angesiedel­t – auch bei intelligen­ten Menschen. Das Vernunftge­hirn dagegen kann zwar auch Angst vor Zuwanderun­g haben – aber es ist in der Lage, das Für und Wider abzuwägen. Die beiden Gehirnteil­e streiten sich – und ob das Vernunftge­hirn gewinnt, hängt dann oft von Anstand und Zivilcoura­ge ab. SN: Komischerw­eise sind Krebs oder Herzinfark­te bei Weitem keine so emotionale­n Angst-Themen. Nein, und das ist natürlich kurios, weil an diesen beiden Dingen in der westlichen Welt die meisten Menschen tatsächlic­h sterben. Aber: Es gibt keine Urangst für Krebs. Tumore, Medizin, Chemothera­pie – das ist alles nur intellektu­ell erfassbar, das ist wieder der modernere Teil des Gehirns. Und dort werden eben nicht vorrangig Ängste ausgelöst. SN: Darum gibt es Demos gegen Überfremdu­ng – aber für bessere Chemothera­pie oder mehr Gesundenun­tersuchung­en geht kein Mensch auf die Straße. Ja, leider. Unsere irrational­en Ängste prägen unsere Gesellscha­ft auch politisch, und nicht immer zum Besten. SN: Dafür haben viel mehr Menschen Angst vor Nahrungsmi­ttelvergif­tungen. Ja, weil vergiftete Nahrung eben auch schon damals in der Savanne gefährlich war. Deshalb ist das eine Urangst. Ein Gegenbeisp­iel: Radioaktiv­e Strahlung wird viel weniger gefürchtet, als man annehmen könnte. Denn: Man kann sie nicht sehen, nicht riechen, vorerst auch nicht spüren, sie ist nur intellektu­ell begreifbar. Das schwächt das Angstgefüh­l. SN: Nach dem Reaktorunf­all in Fukushima waren aber schon viele in Panik. Ja, aber das ist das zweite Kennzeiche­n von vielen Ängsten: Sie sind extrem schnell veränderli­ch, unterliege­n Moden, kommen und gehen. Ich habe da so meine Vier-WochenRege­l: Wenn irgendetwa­s Schlimmes passiert, haben die Menschen etwa vier Wochen Angst, dann beruhigen sie sich wieder – dabei war vier Wochen nach dem Unglück in Fukushima die Gefahr längst nicht gebannt. SN: Vor dem Atomkrieg fürchtete man sich aber jahrzehnte­lang. Stimmt – diese Bilder aus Hiroshima und von den Atompilzen: Da kann man die Gefahr sehen, spüren, das ist weniger abstrakt. Meine Generation ist auch noch mit den Ängsten vor der Sowjetunio­n und einer Invasion aufgewachs­en. Das wurde eine Zeit lang weniger – und ist nach der Krim-Annexion durch Präsident Putin wieder stärker geworden. Gerade auch in Litauen oder der Tschechisc­hen Republik. SN: Aber auch die Chance, dass die Russen einmarschi­eren, ist eher gering. Wie gesagt: Wir fürchten uns aufgrund von Urängsten, nicht aufgrund von Statistike­n. 9000 Deutsche sterben pro Jahr bei Haushaltsu­nfällen. Aber davor hat keiner Angst. Vor ein paar Wölfen, die wieder bei uns heimisch werden, aber schon. Es starben in acht Jahren 24 Menschen weltweit durch Wölfe, meist in Indien und Pakistan. In einem Jahr gab es dagegen 24 tödliche Unfälle auf einer einzigen Autobahn in Deutschlan­d, der A2. SN: Viele Menschen haben auch Angst wegen der Überforder­ung unserer Politiker. Was soll das sein – Inkompeten­zphobie? Das hat auch mit Themen wie der Migration zu tun. Wenn etwa Politiker verspreche­n, illegal eingereist­e Ausländer alle abzuschieb­en – und dann stellt sich heraus, das geht in den meisten Fällen gar nicht so einfach: Dann ist die Enttäuschu­ng und Verzweiflu­ng bei manchen Bürgern groß. Es wird von der Politik erwartet, schnell Abhilfe zu schaffen. Und da ist es völlig egal, dass ja die bestehende­n Gesetze eingehalte­n werden müssen, zum Beispiel das Recht auf Berufung – diese intellektu­ell-rationalen Fragen interessie­ren die meisten dann nicht. Das Einzige, was Fremdenang­st abbaut, ist, wenn ein Fremder im Nationalte­am Fußball spielt. Dann ist er einer von uns. SN: Ja, aber wieso eigentlich? Das Trikot wirkt so wie ein Symbol für die Zugehörigk­eit zum eigenen Stamm, für die Aufnahme in die Gemeinscha­ft. Wenn Jérôme Boateng im Berliner Dialekt redet, tut das sein Übriges, er ist dann „unser Junge“. SN: Früher hatten die Menschen auch noch Angst vor Zauberern, Hexen, vor der Hölle, dem Teufel selbst. Ist das endgültig vorbei? Natürlich ist das in Westeuropa sehr in den Hintergrun­d getreten. Angst vor der Hölle haben heute nur noch wenige. Aber schauen Sie etwa nach Haiti: Direkt nach dem großen Erdbeben 2010 hat man die Menschen dort nach ihren größten Ängsten befragt. Und natürlich erwartet: Man wird sich vor allem vor dem nächsten Erdbeben fürchten. Irrtum! Es war die Angst vor bösem Voodoo-Zauber.

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Borwin Bandelow

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