Koffer, Kanzler, Wechselkragen
Wenn man es genau nimmt, gleichen Nationalratswahlen in Österreich dem Tragen eines schweren Koffers. Zunächst schleppt man ihn mit der rechten Hand. Wenn er zu schwer wird, wechselt man ihn in die linke Hand. Wird er dort zu schwer, kommt wieder die rechte Hand dran und so fort.
Genauso ist es in der Politik. Einmal wählt man die ÖVP ins Kanzleramt, dann die SPÖ, dann wieder die ÖVP und immer so weiter. Wann wird endlich der politische Rollkoffer erfunden? R, wohlgemerkt, nicht V!
Ein ganz ähnliches Gleichnis wie jenes mit dem Koffer ist vom Schriftsteller Franz Molnar überliefert. Wie Friedrich Torberg in der „Tante Jolesch“erzählt, wurde der beständig zwischen Wien und Budapest pendelnde Molnar einmal gefragt, in welcher der beiden Städte er eigentlich lieber lebe.
Molnar antwortete, er kenne einen kleinen Lokalreporter, der nie Geld habe und nur ein einziges Hemd mit (das gab es damals) zwei Kragen besitze. Wenn ihm der eine Kragen zu schmutzig geworden sei, gebe er ihn zur Sitzkassierin seines Stammcafés in die Schublade und nehme den anderen. Nach einiger Zeit, wenn ihm auch dieser Kragen zu schmutzig erscheine, gehe er wieder zum Schubfach und tausche ihn wieder um. Genauso, schloss Molnar, gehe es ihm mit Wien und Budapest.
Womit jetzt selbstverständlich in keiner Weise angedeutet werden soll, dass ÖVP und SPÖ irgendetwas mit schmutziger Wäsche zu tun hätten. Gerade jetzt im Wahlkampf würde nie jemand auf eine so abwegige Idee kommen!
Durch Molnars Geschichte erhält die Redensart, dass es diesem oder jenem Politiker und dieser oder jener Partei bei der Wahl an den Kragen geht, jedenfalls eine völlig neue Bedeutung.
Aber noch ist es nicht so weit. Noch sind Koffer und Kragen ungewechselt, politisch gesprochen. In Österreich geht das alles nicht so schnell wie etwa bei den Griechen. Dort wurden heuer Ende Mai Neuwahlen ausgerufen, Anfang Juli fanden sie statt und schon tags darauf gab es eine neue Regierung. Das geht zack, zack im Tzatziki-Land.
In Österreich ist das anders. Hier wurden die Neuwahlen im Juni beschlossen, Ende September finden sie statt und die neue Regierung wird es irgendwann im Dezember oder Jänner geben. Begründet wird diese strudelteigartige Vorgangsweise mit dem Fristenlauf, obwohl von Lauf keine Rede sein kann. Fristenstand müsste es vielmehr heißen.
Was können die Griechen, was wir Österreicher nicht können?
Obwohl: Man kann es auch anders sehen. Eigentlich hätte die Legislaturperiode nach der Wahl 2017 fünf Jahre dauern sollen. Die nächste Wahl hätte also erst 2022 stattgefunden. Nun verlieren wir zwar gegenüber den Griechen ein paar Monate, gewinnen im Gegenzug aber drei Jahre! Und wenn man bedenkt, dass schon die Wahlen 2008 um zwei Jahre und jene 2017 um ein Jahr zu früh stattfanden, dann hat Österreich in Summe schon sechs Jahre gewonnen, befindet sich im Vergleich zu den Griechen also bereits im Jahre 2025! So sieht zukunftsorientierte Politik aus.
Kritiker, die ja immer etwas auszusetzen haben, werden jetzt von menschengemachtem Kalenderwandel sprechen. Unsinn! Das Beispiel mit dem Koffer beweist: Es ist ein Naturgesetz, dass man schwere Lasten mit der Zeit immer kürzer er-trägt. Der Koffer muss in immer kürzeren Abständen zwischen den Händen hin und her wechseln. Bei den Krägen von Molnars Reporter wird es nicht anders gewesen sein.
Das heißt, man darf davon ausgehen, dass der nächste Koffer, äh, Kanzler nicht für fünf und auch nicht für zwei, sondern höchstens noch für ein Jahr gewählt wird. Womit schon wieder vier Jahre gewonnen wären!