Der große „kleine Wurm“
Die leise Reise von Neil Armstrong nach Salzburg. Die erstaunliche Geschichte, warum der Mann vom Mond am 28. Juli 2010 in der Mozartstadt landete.
„Nicht weil es einfach, sondern weil es schwer ist“, so begründete John F. Kennedy am 12. September 1962 die Mondmissionen der USA. Zum Ende des Jahrzehnts sollte ein Amerikaner auf dem Trabanten landen. Das war mal eine Ansage – und insgesamt arbeiteten rund 400.000 Menschen daran, sieben Jahre später mit Milliarden von Steuerdollars den ersten Menschen auf den Mond zu schießen.
Doch wer sollte der erste Mensch auf dem Mond sein? Die NASA hatte einige Favoriten, aber das Schicksal – auch anderer mutiger Männer – wollte es, dass Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fußabdruck auf dem Mond hinterlassen würde.
Beim „Talk im Hangar-7“von Servus TV anlässlich seines 80. Geburtstags bezeichnete er sich selbst als den „kleinen Wurm“in diesem gigantischen Projekt. Die Aussage beweist: Die NASA hatte den bescheidensten Helden auf Erden ausgewählt.
Wie es dazu kam, dass der extrem medienscheue Mann vom Mond am 28. Juli 2010 ausgerechnet in Salzburg bei einem noch jungen TV-Sender landete, ist eine andere Geschichte: Bei einer Themensitzung Anfang des Jahres fiel ein spezieller Geburtstag auf. Der 80er von Neil Armstrong am 5. August. Das war ein Donnerstag und damit der Ausstrahlungstag der Sendung. „Wir müssen mit Neil Armstrong reden“, stellte der damalige Unterhaltungschef nüchtern fest. Eine Ansage, die schon fast ein wenig Kennedy war. Für uns als junges Redaktionsteam, dessen Leitung ich wenige Monate zuvor übernommen hatte, war Neil Armstrong so weit weg wie einst der Mond von der Erde. Warum sollte der Columbus unserer Zeit zu seinem 80. Geburtstag ausgerechnet zu uns nach Salzburg kommen? Zudem war Armstrong kein Mann der großen Auftritte. Bis auf den einen für die Ewigkeit. Die zündende Idee lieferten dann die Fliegerexperten von Red Bull: Wenn man einen Piloten zu etwas bewegen will, dann natürlich mit Flugzeugen – die es im und um den Hangar-7 zu sehen gibt. Angeblich hatte Neil Armstrong einen Großteil davon selbst geflogen und einzelne Modelle einstmals sogar mitentwickelt. Ein Wiedersehen in Salzburg könnte ihm gefallen. Der Plan klang vielversprechend.
Die lange Wartezeit auf die Antwort aus Ohio kam uns so ewig vor wie einst den Live-Zuschauern der Mondlandung die gute halbe Stunde, als Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins im Funkschatten des Mondes waren – und niemand wusste, ob sie sich jemals wieder melden würden.
Doch augenscheinlich hatte Armstrong die Post aus Salzburg gefallen. Er, der nach seiner Heldentat zunächst an der University of Cincinnati lehrte und dann in die Wirtschaft wechselte, hatte eben eine große Leidenschaft: Fliegen.
Die Zusage konnten wir – und viele andere – kaum glauben. Harald Lesch, der Erklärer der deutschen Fernsehnation, sollte einer der anderen Gäste sein. Eine Talkshow mit Neil Armstrong? Das klang nach Fake News. Aber am Ende blies er dafür sogar das große Fest zu seinem 50er am gleichen Abend ab.
Der Sender wollte Neil Armstrong die Anreise natürlich so bequem wie möglich machen. Aber der Pilot, der mehrere Abstürze und Testunfälle sowie die rund 2000 Tonnen Spezialtreibstoff der Saturn-V-Rakete unter sich überlebt hatte, nahm einfach einen Linienflug: über Frankfurt nach Salzburg. Als mir meine Kollegin Frauke Pietschmann, die ihn in Empfang nahm, dann am Morgen des 28. Juli 2010 die erlösende Nachricht mit „The Eagle has landed“schrieb, war das eine Art Mondlandung für uns alle. Nach seiner Ankunft wollte unser Held zunächst seine Ruhe und dann in erster Linie die versprochenen Flugzeuge sehen. Das war sein eigentliches Highlight. Nicht zwingend die TV-Sendung ihm zu Ehren. Auch wenn er uns das weder vor noch nach der Aufzeichnung spüren ließ. Freundlich und elegant, wie er war.
Als Neil Armstrong vom renommierten Journalisten Frank Schirrmacher gefragt wurde, ob er „denn wirklich oben“war, hat nicht er geantwortet, sondern sein Gegenüber. Ein Russe und ebenfalls ein Raumfahrtpionier: Alexei Leonow, zweifach als „Held der Sowjetunion“ausgezeichnet, hätte den ersten Weltraumspaziergang der Geschichte um ein Haar mit seinem Leben bezahlt. Er wäre wohl der erste Mann auf dem Mond gewesen, hätten die Russen das Rennen gemacht. Auf Schirrmachers Frage antwortete Leonow blitzartig: „Ja, er war.“Und wer, wenn nicht die Russen, hätte es gewusst und sicher nicht für sich behalten, wäre die Mondlandung in einem Hollywoodstudio aufgezeichnet worden? Sie, die den Amerikanern in Sachen Raumfahrt jahrelang weit voraus waren, hatten die Mondlandung genau beobachtet und ihre eigenen Mond-Pläne nach dem Erfolg der USA sofort ad acta gelegt.
Aber Menschen, die etwas wirklich Wichtiges zu sagen haben, machen nicht viele Worte. Erst als der Applaus für Leonows schnelle Antwort verhallt war, bestätigte Neil Armstrong kurz und knapp: „Definitively.“Mit Sicherheit war er oben. Wer diesen Mann auch nur kurz kennenlernen durfte, weiß, dass er nie Kopf der größten Lüge der Menschheitsgeschichte hätte sein können. Er, der in allen Geschichtsbüchern stehen wird, solange es solche gibt, war als Persönlichkeit Beweis genug. Die Mondlandung ist bis heute das einzige Ereignis der Welt, bei dem Hunderte Millionen Menschen – über Nationalitäten, Hautfarben, Grenzen, Konflikte und Religionen hinweg – ihre Daumen gedrückt haben: für eine friedliche Mission, für eine kolossale Idee, für ein tolles Teamwork. Und am Ende für einen Mann, der diese unglaubliche Last mit einer gewissen Schwerelosigkeit trug: „Es wäre der absolut falsche Moment, einen Fehler zu machen“, meinte er im Hangar-7 auf die Frage, was er sich denn wirklich gedacht hatte, als er die Leiter der Landefähre „Eagle“hinunterstieg. Die Mondlandung war ein großer Sprung für die Menschheit und Neil Armstrong war mit Sicherheit die Bestbesetzung. Ein Superstar, der nie einer sein wollte und der sich selbst nie wichtig nahm. Ein letzter Beweis: Zum Zehn-Jahr-Jubiläum der Mondlandung war er schon einmal im deutschsprachigen Fernsehen zu Gast: Bei Peter Alexander in der Show „Wir gratulieren“sangen die beiden „Guter Mond, du gehst so stille“. Neil Armstrong war ein leiser Held und der perfekte Mann für Sternstunden. Tommy Schmidle war von 2010 bis 2012 Redaktionsleiter bei „Talk im Hangar-7“und ist heute Regisseur und Gestalter diverser TV-Formate, u. a. der Wissenschaftssendung „Quantensprung“. Sendehinweise: Quantensprung „50 Jahre Mondlandung“, morgen Abend, 20.15 Uhr, ORF III. Ausschnitte aus dem „Talk im Hangar-7“mit Neil Armstrong, morgen Abend, 22.55 Uhr, Servus TV.