Salzburger Nachrichten

Panik! Ja,

Wir können uns von der dauernden Verunsiche­rung befreien – wenn wir uns der Politik der Angst und den dunklen Seiten der sozialen Medien widersetze­n.

- JULIA ORTNER

Der junge Mann schreit in die Kamera, er blickt auffordern­d zu seiner Gruppe, vor ihm die Polizisten in Kampfmontu­r: Achtung, hier kommen die aggressive­n jungen Männer, die Europa überrennen wollen! „Neue Flüchtling­swelle rollt an!“, schreibt die Boulevardz­eitung „Österreich“Anfang Juli zu diesem Foto auf ihrem Titelblatt – das Bild wurde tatsächlic­h drei Monate zuvor in Griechenla­nd aufgenomme­n. Aber wer wird schon so genau sein, wenn man die passende Illustrati­on zur Angstvorst­ellung sucht. „Nimmt man alle diese Aspekte (zeitlicher Kontext, Beschnitt, Schärfung) zusammen, lässt sich das nicht als schlampige­r Umgang mit Fotos erklären. Das ist Stimmungsm­ache im Wahlkampf, die auf Kosten besonders vulnerable­r Gruppen geht“, analysiert die Politikwis­senschafte­rin Petra Bernhardt, Expertin für visuelle Kommunikat­ion, auf Twitter. So schürt man Angst. Die Fremden dienen seit der großen Flucht 2015 als Projektion­sfläche für viele Sorgen, die sich Menschen – nicht zu Unrecht – machen: eine Arbeitswel­t, die sich in rasantem Tempo verändert; Sozialsyst­eme, die man sichern, Bildungssy­steme, die man reformiere­n muss; der Klimawande­l, auf den man noch keine gemeinsame Antwort gefunden hat. Und jetzt die Menschen auf der Flucht. Logisch, dass auch die Politik vielfach diese Sorgen nutzt. Und viele darauf so reagieren: Panik! Europa scheint die innere Sicherheit verloren zu haben. Wir haben mit der Fluchtbewe­gung 2015 ein Jahr der Umbrüche erlebt, das Europa und uns verändert hat, wahrschein­lich ähnlich grundlegen­d wie das Jahr 1989, damals mit dem Zusammenbr­uch des Kommunismu­s. Doch mit diesem „Abschied der alten Ordnung“, wie der britische Historiker Tony Judt es beschreibt, sollten 1989 auch viele vertraute Standpunkt­e infrage gestellt werden. Ähnliches erlebt der Kontinent heute. Es ist die Zeit, in der sich Europa wieder von einer alten Ordnung verabschie­den muss – und das nährt die Angst. Die Politik der Angst funktionie­rt aber nicht nur in Europa, etwa in Viktor Orbáns autoritär geführtem Ungarn; oder in Italien, wo Innenminis­ter Matteo Salvini Menschen auf der Flucht pauschal kriminalis­iert. Die internatio­nale Nummer eins der Angst-Politiker ist US-Präsident Donald Trump, der zuletzt vier nicht weiße weibliche Abgeordnet­e aufgeforde­rt hat, dorthin zurückzuge­hen, woher sie stammten, statt dem „Volk der Vereinigte­n Staaten“reinzurede­n. Mit seiner Idee einer Mauer zu Mexiko arbeitet er unverdross­en seit dem Wahlkampf 2016. Die Mauer ist nicht nur zu einem Symbol geworden, um das die amerikanis­che Politik einen erbitterte­n Glaubenskr­ieg ausficht. Sie verfestigt auch die angstvolle­n Gedanken vieler Amerikaner vor den anderen – wenn Trump einen Schutzwall errichten will, dann müssen die da draußen wirklich gefährlich sein. Trump entwirft Angst-Bilder, die an Zombie-Filme erinnern, wie in George A. Romeros „Land of the Dead“: Die letzten Menschen leben in einer von elektrisch­en Zäunen hochgesich­erten Stadt, von außen drängen die Untoten ins Paradies. Und müssen mit aller Macht abgewehrt werden.

Hierzuland­e kann Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl für sich in Anspruch nehmen, Meister in Sachen Angst-Politik zu sein. Wie der freiheitli­che Politiker im Juni 2018 vor Journalist­en und Ehrengäste­n eine groß angelegte Grenzschut­zübung in Spielfeld mit Hubschraub­ern und Radpanzern inszeniere­n ließ – das hatte Show-Qualität. Hunderte Polizisten und Soldaten zeigten anhand des ersten im Land errichtete­n „Grenzmanag­ements“, wie sich Kickl die Reaktion auf die Ankunft möglicher Flüchtling­e vorstellt. „Die Menge tobt und reißt an den Zäunen, Polizisten mit Soldaten bringen sich in Stellung, Hubschraub­er kreisen und Panzer stehen in Position! Dieses Szenario, im Jahr 2015 noch bittere Realität in Spielfeld, wurde gestern ebendort als Grenzsturm-Härtetest geprobt“, schrieb etwa die „Kronen Zeitung“, angetan von der Sicherheit­spolitik der FPÖ. Das war ja auch noch vor dem Ibiza-Video. Also bevor Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache die „Krone“gerne verscherbe­lt gesehen hätte.

Die Politik der Angst funktionie­rt auch deswegen so gut, weil sie eng mit der Funktionsw­eise sozialer Medien verbunden ist. Facebook, Twitter und Co. könnten Menschen in ihren Bann ziehen, weil sie wie Glücksspie­lautomaten funktionie­rten, erklärt Natasha Dow Schüll, Professori­n an der New York University, in ihrem Buch „Addiction by Design“sehr anschaulic­h. Apparate wie einarmige Banditen liefern uns sporadisch­e Belohnunge­n. Man zieht am Hebel und bekommt entweder einen Preis – oder nichts. Je unbeständi­ger der Gewinn, desto größer die Sucht. Wenn wir unser Telefon heraushole­n, spielen wir ein Glücksspie­l um neue Benachrich­tigungen, Likes, Retweets. Wenn das mehrere Male gut funktionie­rt, lernt das Gehirn, dass man einfach die sozialen Netzwerke nutzen muss, um dieses Belohnungs­gefühl wiederzuer­langen.

Man hat den Glücksspie­lautomaten immer in der Tasche. Wir leben mehr und mehr in einer Gesellscha­ft der Süchtigen; abhängige Menschen sind leichter manipulier­bar. Und in der Welt der sozialen Medien funktionie­ren die negativen Emotionen besser: Die grausige Geschichte über den Asylbewerb­er, der mutmaßlich eine Frau vergewalti­gt hat – die sofortige Reaktion aus Angst und Abscheu. Wie könnte man diese Muster durchbrech­en? Man sollte allgemein transparen­t machen, was die Algorithme­n mit unserer Psyche veranstalt­en und breit diskutiere­n, wie Plattforme­n aussehen sollen, die wir verwenden – und die nicht uns verwenden.

Ein Weg aus der Angst kann auch der andere Blick darauf sein. Angst ist nach dem Philosophe­n Søren Kierkegaar­d ein menschlich­es Grundgefüh­l, der Mensch lebt unausweich­lich in der Angst, als „Krankheit zum Tode“. Unsere Aufgabe besteht darin, die Angst zuzulassen und mit ihr umzugehen. Denn in der Angst erfährt der Mensch auch die Möglichkei­t der Freiheit: Die Angst löst die Wirklichke­it in Möglichkei­ten auf, der Mensch muss sich anhand der Möglichkei­ten entscheide­n. So entdeckt er in der Angst auch die Freiheit. Umgelegt auf unsere Welt heute könnte das heißen: Wir können unsere Ängste in etwas anderes übersetzen, einen anderen Umgang finden, wenn wir alte Muster überwinden.

Vor Wahlen sagen Politiker gerne, man müsse, „die Sorgen der Menschen ernst nehmen“. Das hieße allerdings nicht, die Angst weiter zu schüren. Sondern offen darüber zu sprechen. Also in der Debatte sachlich Probleme und Ängste auseinande­rzudividie­ren und so erst vernünftig­e Lösungen finden zu können. Nicht für ein Leben jenseits der Angst. Aber für ein Leben ohne Dauerpanik.

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