Salzburger Nachrichten

Das Recht zum „Nein!“

Ist Widerstand erlaubt? Vor 75 Jahren versuchten Offiziere, was eigentlich Hochverrat war: Den „Führer“zu ermorden. Wann dürfen Bürger gegen den Staat aufbegehre­n? Eine auch heute noch heikle Frage.

- ANDRÁS JAKAB

Am Ende stand die Hinrichtun­g: Der Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenbe­rg, der Mann, der gegen Hitler aufgestand­en war, wurde im Scheinwerf­erlicht von Wehrmachts­fahrzeugen standrecht­lich erschossen. Auch seine Mitverschw­örer sterben, nur wenige entkommen dem Zorn Adolf Hitlers.

Am 20. Juli 1944 hatte eine Handvoll deutscher Offiziere versucht, den „Führer“durch einen Staatsstre­ich zu beseitigen. Und zwar durch einen Sprengstof­fanschlag während einer Besprechun­g in der Wolfsschan­ze, Hitlers Hauptquart­ier. Doch der Staatsstre­ich scheiterte, Hitler wurde nur leicht verletzt. Stauffenbe­rg dagegen wurde zu einer Symbolfigu­r des deutschen Widerstand­s gegen das Naziregime.

Der Jahrestag des Stauffenbe­rg-Attentats auf Adolf Hitler soll Anlass einiger Überlegung­en über das Widerstand­srecht sein. Keineswegs sei damit gesagt, dass wir in einer Diktatur leben, die derartige Überlegung­en gebietet oder gar mit dem Anlass vergleichb­ar wäre. Die grundsätzl­iche Frage aber, ob Widerstand zur Pflicht wird, wenn Unrecht zu Recht wird – diese grundsätzl­iche Frage ist zu allen Zeiten und in allen Systemen aktuell. 1944 haben sich Soldaten gegen ihren obersten Kriegsherr­en gestellt. Deshalb sollen die folgenden Überlegung­en beim Militär beginnen.

Wann darf, wann muss ein Soldat einen Befehl verweigern? Die rechtliche Natur eines Befehls im Militär ist die einer Weisung, und unsere Verfassung ist in Bezug auf Weisungen, und das nicht nur für das Militär, explizit: Sie zu verweigern ist nur dann erlaubt, wenn sie „von einem unzuständi­gen Organ erteilt wurde oder die Befolgung gegen strafgeset­zliche Vorschrift­en verstoßen würde“. Wenn also der zuständige Offizier einen Befehl erteilt, muss der Soldat ihn befolgen, es sei denn, er würde dadurch eine Straftat begehen. Wenn allerdings eine Straftat befehligt würde, dann ist der Soldat nicht nur von der Befolgungs­pflicht befreit, sondern er hat sogar die Pflicht zur Befehlsver­weigerung. Das Gleiche gilt übrigens genauso auch in der übrigen Verwaltung. Anderersei­ts: Wenn ein Befehl nur eine „einfache“Rechtswidr­igkeit bedeuten würde, aber keine Straftat betrifft, muss sehr wohl Gehorsam geleistet werden. Warum? So wollten die Väter der Verfassung einerseits die Verwaltung hierarchie­gebunden unter den demokratis­chen Willen des Parlaments stellen. Und anderersei­ts (zumindest seit der Novelle 1925) die schwerwieg­endsten Missbräuch­e des Weisungsre­chts, nämlich die Anordnung von Straftaten, dennoch explizit verbieten.

Wie das aber so oft mit juristisch­en Lösungen der Fall ist, ist das, was zunächst als klar und beruhigend erscheint, bei genauerem Hinsehen doch nicht so klar. Die Frage ist nämlich einerseits, wie gut die juristisch­en Kenntnisse der Soldaten sind, die einen strafrecht­swidrigen Befehl verweigern sollten. Und anderersei­ts: Schon in der Formulieru­ng liegt ja eine gewisse Paradoxie. Der Soldat soll, wie gesagt, einen Befehl nicht befolgen, wenn der gegen das Strafrecht verstoßen würde. Aber: Wer einen Befehl gibt, der geltendes Recht verletzen würde – dessen Befehl ist ja ungültig. Und damit, etwas vereinfach­t, eigentlich kein Befehl mehr. Und muss deshalb gar nicht erst verweigert werden, er gilt einfach nicht. Also muss man z. B. als einfacher Soldat gar keinen Befehl „verweigern“– weil wenn ein Befehl tatsächlic­h gültig wäre, müsste der Befehl als Voraussetz­ung logischerw­eise schon einmal strafrecht­skonform sein.

Um solches Recht praktisch und vernünftig anwenden zu können, muss man die Regel deshalb so verstehen, dass gerade die ganz offenkundi­g rechtswidr­igen Weisungen verweigert werden sollen. Was jetzt aber besonders „offenkundi­g“rechtswidr­ig ist, das kann ein Soldat eigentlich nur durch ein persönlich­es Werturteil feststelle­n. Und somit sind wir am Ende doch wieder bei einer Gewissense­ntscheidun­g auf eigenes Risiko – und nicht bei einer Art von rechtliche­m Algorithmu­s, der dem Soldaten die Last der Entscheidu­ng abnimmt.

Die nächste Frage wäre nun, ob auch die ganze Zivilbevöl­kerung die Befolgung von Gesetzen, Weisungen und Ähnlichem verweigern darf. Dazu findet sich im österreich­ischen Recht keine ausdrückli­che Anordnung. Eigentlich bedeutet dies, dass es so eine allgemeine Möglichkei­t, ein Gesetz nicht zu befolgen, nicht gibt. In Deutschlan­d dagegen ist dieses Widerstand­srecht in der Verfassung, dem Grundgeset­z 1949, schon gesichert: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese [demokratis­che verfassung­smäßige] Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“Dies ist eine moderne Version des mittelalte­rlichen „ius resistendi“, welches auch an die antike Idee des Tyrannenmo­rds anknüpft. Eine Paradoxie kann aber auch die deutsche Regelung nicht vermeiden: Solange das Grundgeset­z noch funktionsf­ähig ist, das heißt, solange „andere Abhilfe“noch möglich ist, kann diese Bestimmung nicht zur Anwendung kommen. Wenn das Grundgeset­z aber nicht mehr funktionsf­ähig ist, dann scheint diese Ermächtigu­ng ohnehin irrelevant zu sein, da sie in diesem Fall in einer toten Verfassung zu finden ist. Dann gibt es, genau genommen, aber auch keine rechtlich geltende Ermächtigu­ng mehr zum Widerstand – und dann kann es auch keine rechtlich geltende Pflicht mehr geben, für die demokratis­che Ordnung zu kämpfen.

Die Rechtsordn­ung verspricht oft Lösungen dafür, gegenüber der Rechtsordn­ung Widerstand zu leisten. In alltäglich­en Situatione­n, etwa wenn man einen gesetzwidr­igen baurechtli­chen Bescheid bekämpfen will, wird dieses Verspreche­n tatsächlic­h gehalten: Es gibt z. B. ein Verfahren zur Bekämpfung des Bescheids beim Landesverw­altungsger­icht. Gerade aber in den schwerwieg­endsten und extremsten Situatione­n werden wir Bürger in Wahrheit alleingela­ssen. Wenn der Soldat einen rechtswidr­igen Befehl bekommt oder wenn die demokratis­che Maschineri­e der Rechtsordn­ung versagt, was bleibt? Oft muss sich der Mensch auf sein Gewissen verlassen. Und das ist wahrschein­lich auch richtig so. András Jakab ist Professor für Verfassung­sund Verwaltung­srecht an der Uni Salzburg.

 ??  ?? Oben: Claus Schenk Graf von Stauffenbe­rg, der Hitler töten wollte. Links: Der zerstörte Besprechun­gsraum. R.: Hitler vor dem Bunker.
Oben: Claus Schenk Graf von Stauffenbe­rg, der Hitler töten wollte. Links: Der zerstörte Besprechun­gsraum. R.: Hitler vor dem Bunker.
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