Salzburger Nachrichten

Alles Käse

Anton Sutterlüty zieht jeden Sommer auf eine Alm im Bregenzerw­ald. Den großen Rest des Jahres verbringt er in Wien. Unter den Straßen des Ersten Bezirks reift sein Käse. Ein Kellergesp­räch.

- GUDRUN DORINGER

Über Nacht war er plötzlich berühmt: Anton Sutterlüty aus Vorarlberg räumte 2001 als erster Kandidat bei der „Millionens­how“ab – und gewann damals zehn Millionen Schilling. Zufrieden hat ihn das nicht gemacht. Das war er vorher schon. SN: Viele Städter stellen sich das Leben auf der Alm unglaublic­h romantisch vor. Ist es das? Anton Sutterlüty: Nein, gar nicht. Ich bin die ganze Zeit in der Sennerei drin. Früher hatte man da wenigstens eine schöne Aussicht, dann wurde umgebaut und jetzt seh ich zum Stall hin. Wie es wirklich ist, können sich wenige vorstellen. Aber das heißt nicht, dass es dann nicht viele packt, wenn sie das machen. Die einen packt’s richtig und die anderen packen’s net – so viel Arbeit. SN: Sie arbeiten also jeden Sommer von früh bis spät und starren, wenn Sie von Ihrem Käse aufblicken, auf eine Stallwand. Das klingt nicht sehr romantisch. Warum machen Sie das? Darum zum Beispiel. (Sutterlüty kramt sein Handy raus und zeigt ein Bild, auf dem fünf milchige Kreise prangen. Er grinst.) Wenn da die fünf Käse liegen am Morgen. Oder wenn man das Lab zur Milch gibt, die Milch gerinnt und sich beim Schneiden der Käs von der Molke trennt: Dann sieht man die Farbe der Molke, riecht, welcher Geruch da aufsteigt, und wenn das alles gut ist – das ist halt eine Freude. Und man bekommt schon fantastisc­he innere Bilder, wenn man auf der Alm ist. SN: Welche? Man ist immer wieder verschiede­nsten Situatione­n ausgesetzt. Also wenn man Kühe nicht findet, dann muss man Kühe suchen gehen. Dann sollte man eigentlich schon melken, muss aber suchen. Manchmal ist es neblig und es regnet, dann stellen sie sich unter einen Baum und stehen ruhig da, so dass man die Glocken nicht hört. Dann kann man sie halt leicht übersehen. Im Nebel ist eine ganz spezielle Stille. Der Moment, wenn man die Kuh findet und dann mit ihr zurücktrot­tet – das ist mit nichts vergleichb­ar. Oder wenn man bei total schiachem Wetter die Kühe holen muss und dann gehst halt raus, hast einen Hut und Stiefel und plötzlich reißt’s auf, die Sonne strahlt unter den Wolken hervor, dann kommst in den Stall, die Kühe dampfen und dann setzt du dich unter die Kühe zum Melken. Das sind Urbilder. SN: Sie kennen das gar nicht anders, oder? Ihr Sommer war immer auf der Alm. Seit ich zehn Jahre alt bin. SN: Können Sie schon am ersten Tag feststelle­n, wie der Käse einmal schmecken wird? Erahnen kann ich es schon, ja. Natürlich passiert immer noch viel im Käse, aber ich weiß, ob ich gut oder schlecht liege. SN: Was machen Sie, wenn Sie schlecht liegen? So weit lass ich es nicht kommen. SN: den Das Prozess heißt, noch man steuern? kann aber An dem am nächsten. Tag nicht Ich kann mehr, an dem Tag schon vorbauen, indem ich zum Beispiel entscheide, wie ich die Gebsen wasche. Das sind die Holzgefäße, in denen der Käse anfangs liegt. Wenn ich merk, der Käs wird übersäuert, dann koch ich sie gut aus. Wird er zu süß, koch ich sie wenig aus, damit was drinbleibt. SN: Und was, wenn’s wirklich a Kas ist? Das ist mir nur ein Mal passiert. Da hatte eine Kuh eine Euterentzü­ndung und es wurde ihr Penizillin gespritzt. Das haben die Melker am nächsten Tag übersehen. Der Käse hat halt null Reife gehabt, den haben nicht einmal die Schweine gefressen. SN: Ein Käse hat nicht besonders viele Zutaten. Wie kann man trotzdem beeinfluss­en, wie er schmeckt? Das Spezielle ist, dass fast niemand mehr mit Gebsen arbeitet. In denen entwickelt sich etwas, das man nicht kriegt, wenn man eine Kühlwanne verwendet, die Milch runterkühl­t und dann Kulturen dazugibt. Diese Kulturen sind nicht schlecht, aber sie bringen halt nicht diese Vielfalt. SN: Sie transporti­eren Ihren Käse von der Alm nach Wien. Schmeckt er anders, wenn er in Wien reift? Er reift in jedem Keller anders. Aber Wien hat tolle Keller! So tiefe Keller gibt’s in Egg gar nicht. Der in Wien ist sechs Meter tief unten, da gibt’s so ein Ziegelgewö­lbe und der Ziegel hat sehr gute Eigenschaf­ten. Der kann Feuchtigke­it aufnehmen und abgeben und das Klima ausgleiche­n. Darum ist so ein Keller ein Glücksfall. SN: Sie pendeln seit Jahren zwischen zwei Welten. Wie ist das, wenn man nach einem Sommer auf der Alm wieder U-Bahn in Wien fährt? Ein Almsommer ist eine gewisse Anstrengun­g, weil man halt durcharbei­tet, sieben Tage die Woche. Der Rhythmus auf der Alm hat was Gutes und das gefällt mir auch. Aber irgendwann ist es auch schön, diesem Zwang zu entkommen. Eine Zeit lang war es für mich immer schwierig, in Wien wieder einen Sinn in meinem Tun zu finden. Ich hab am Museum moderner Kunst Workshops und Führungen gemacht. Und im ersten Moment hab ich mir schon gedacht: Jetzt erzähl ich da irgendwas über irgendwen und irgendjema­nden, wo eigentlich der Bezug relativ abstrakt ist. Auf der Alm ist alles viel konkreter. Jeden Tag liegen ein paar Laib Käs mehr im Keller. SN: Wie viel Kunst ist Käsemachen? Ich würde sagen, es fließt ineinander. Ich mach Performanc­es. Mir geht es dort auch um einen ganz bestimmten Zustand von Aufmerksam­keit. Ich nehm mir ja nie vor, was ich mache. Ich versuche mich da möglichst der Wahrnehmun­g im Moment hinzugeben und mich von ihr leiten zu lassen – ohne vorher zu wissen, was passiert. Es lassen. Das klingt ein bisschen blöd, aber da verbindet sich der Körper mit sehr vielen verschiede­nen Dingen. In jedem Moment sind wir von hundert verschiede­nen Dingen beeinfluss­t. Und dann gibt es die Erfahrung, dass in einem bestimmten Moment eine bestimmte Bewegung adäquat ist. Und die Bewegung ist unwiderste­hlich. Und die überrascht mich meistens auch. Und das fließt in gewisser Weise ins Käsemachen hinein. SN: Sie haben im Jahr 2001 bei der „Millionens­how“zehn Millionen Schilling gewonnen. Macht Geld glücklich? Nur Geld sicher nicht. Aber Geld bleibt ja nicht Geld. Ich hab mir ein Atelier gemietet und mir viel Zeit für die Kunst genommen. Ich hab mir Zeitluxus gegeben. Das ist natürlich auch eine Auseinande­rsetzung mit sich. Und das bleibt. SN: So eine Alm ist ja auch künstlich, sonst würd alles zuwachsen. Warum ist das in Ihren Augen wichtig? Ich finde, dass das Alpleben ein großer Erfahrungs­schatz ist. Viele haben daran teil, für manche ist es eine entfernte Sehnsucht. Zudem ist die Almwirtsch­aft wichtig, weil sonst mehr Lawinen abgehen würden. SN: Würde nicht mehr Wald mehr Lawinen aufhalten? Da, wo der Wald wächst, ja. Aber weiter oben, wo kein Wald mehr wächst, würde das Gras einfach groß werden und sich im Herbst niederlege­n und verfaulen, wenn der Schnee kommt. Und das gibt eine sehr glatte Fläche, wo der Schnee rutscht. Durch die Viehwege hält der Schnee viel besser. Aber die Almwirtsch­aft schrumpft. Das berührt mich extrem. In den letzten 20 Jahren hat sich die Anzahl der Almen, wo man in Österreich noch mit Gebsen arbeitet, fast auf ein Zehntel reduziert. Weil niemand mehr Zeit hat. Weil niemand diese Arbeit bezahlt, das Produkt müsste viel teurer sein. Es macht eben wahnsinnig viel Arbeit, so Käse zu machen. Aber es ist halt befriedige­nd, finde ich.

 ??  ??
 ??  ?? Anton Sutterlüty (53) war kürzlich auf Einladung des Farmers Club zu Gast in Salzburg. Sein mitgebrach­ter Käse war lange gereift und schnell weg.
Anton Sutterlüty (53) war kürzlich auf Einladung des Farmers Club zu Gast in Salzburg. Sein mitgebrach­ter Käse war lange gereift und schnell weg.

Newspapers in German

Newspapers from Austria