Die Rekorde des „Fuchsgesichts“
Vor 70 Jahren gewann der Radrennfahrer Richard Menapace aus Salzburg die erste Österreich-Rundfahrt.
Es war das Jahr, in dem die Bundesrepublik Deutschland gegründet, George Orwells Roman „1984“veröffentlicht und in Salzburg Josef Klaus zum Landeshauptmann gewählt wurde. Das Jahr, in dem die US-Behörden den „kleinen Grenzverkehr“zwischen Salzburg und Freilassing gestatteten – und in dem das nach den Kriegswirren noch gebeutelte Österreich das erste sportliche Idol nach 1945 geschenkt bekam: Der aus Südtirol stammende Radrennfahrer Richard Menapace, ein Jahr zuvor Österreicher mit Wohnsitz Salzburg geworden, gewann im Juli 1949 die erstmals ausgetragene Österreich-Rundfahrt. Und das mit Rekordvorsprung. Seine Premiere als Salzburger feierte Menapace am 1. Mai 1949 mit dem Sieg im „RIH-Preis“. Eine Woche vor dem Rundfahrtstart heiratete er seine Jugendliebe Magda von Elzenbaum aus der bekannten Traminer Weinbaudynastie. Weil auch im Fahrradgeschäft, das er mit seinem Rennfahrerkollegen Franz Perfahl an der Plainstraße (später gegenüber dem Arbeitsamt an der Lehener Brücke) betrieb, jede Menge Arbeit anstand, kam die Vorbereitung zu kurz, er schaffte gerade einmal 200 Kilometer. Am 23. Juli ging die Tour vom Wiener Rathaus Richtung Graz los. Schon am zweiten Tag fiel die Vorentscheidung: Menapace erreichte Klagenfurt mit sieben Minuten Vorsprung.
Auf der folgenden Glockner-Etappe ärgerte ihn anfangs sein ehemaliger Landsmann Enrico Gandolfi. Dann aber, gestärkt durch einen Mix aus rohem Ei mit Zucker und einigen Schlucken starken Kaffees, stampfte MM, die „Maschine Menapace“, bergauf. Beim Fuscher Törl lag er zehn Minuten voran, durfte sich als Glocknerkönig eine Prämie von 1000 Schilling gutschreiben lassen, und fuhr in Zell am See mit elf Minuten Vorsprung über die Ziellinie. Nach dem Ruhetag folgte die Fahrt nach Innsbruck mit Menapaces viertem Sieg en suite – Rekord, bis heute. Und der Vorsprung im Gesamtklassement wuchs weiter. Die 281 Kilometer von Innsbruck nach Linz wurden mit einem Zwischenstopp in Salzburg absolviert. Ausgerechnet in seiner neuen Heimat waren ein paar andere Österreicher schneller. „Schade, dass ich meine Fans enttäuschte“, sagte Menapace damals. Die Schlussetappe von Linz nach Wien glich Menschenmauern entlang der Fahrt auf einer Via Triumphalis, vor dem Wiener Rathaus traf er 13 Minuten vor den Verfolgern ein. Nach insgesamt über 36 Stunden Fahrzeit für die 1262 Kilometer war Menapace fast 39 Minuten vor dem Zweiten. Das geflügelte Wort von den „Giganten der Landstraße“, die glühender Hitze, Durst, klirrender Kälte und strömendem Regen auf staubigen Straßen trotzten, war geboren. Der Jubel schwappte von Wien auf ganz Österreich über, es gab ein neues Idol, zwar im Ausland geboren, aber jetzt eben Österreicher (ähnlich wie später Jochen Rindt). Unter den Preisen, die er für den Sieg erhielt, war auch ein Kinderwagen – er sollte alsbald nützlich sein. Der Empfang in Salzburg übertraf alle Erwartungen, Tausende jubelten auf dem Residenzplatz. Bei der erstmals durchgeführten Wahl zum „Sportler des Jahres“belegte Menapace den ersten Platz – bis heute ist Auch 1950 hieß der Rundfahrtsieger Menapace, er gewann drei Etappen, wurde wieder Glocknerkönig und hatte in der Endwertung 22 Minuten Vorsprung. Und wieder fragten sich die Konkurrenten, wie macht er das? Er war drahtig, nur 1,58 Meter groß und 55 Kilogramm schwer, hatte aber, wie sein Sohn Clemens, bekannter Orthopäde in Salzburg, erzählt, „einen Brustkorb wie ein Fass“, deshalb hatten Herz und Lunge auch ein größeres Volumen. Richard Menapaces Credo lautete: „Was braucht ein Radrennfahrer? Erstens Luft, zweitens Luft, drittens Luft.“Und er war ein großer Taktiker, seiner Kniffe wegen nannten ihn die Kollegen und Gegner „Fuchsgesicht“. Luft und den richtigen Dreh hatte er schon als junger Bursch, der in der Schlosserei des Vaters in Tramin half, Fahrräder zu reparieren und der später als Lehrling in einer Gärtnerei in Bozen die tägliche Mittagszeit nutzte, um mit dem Rad auf den Mendelpass zu strampeln. Ohne Trikot, dafür in Sonntagshemd und schwarzen Schuhen, gewann er sein erstes Rennen trotz Sturzes. Er machte in Italien auf sich aufmerksam, holte sich 1936 als 22-Jähriger mit dem italienisierten Vornamen Riccardo seinen ersten großen Erfolg mit dem Sieg im Rennen Mailand–München. Er durfte seinen ersten Giro d’Italia fahren und belegte nach 18 Reifenschäden den 16. Platz. Menapace fuhr Rennen bis 1941, ehe er im Nordafrika-Kriegseinsatz in der Deutschen Wehrmacht das Rad gegen das Gewehr tauschen musste. Nach Kriegsende hatten vorerst Blumen und Pflanzen Vorrang, die Arbeit als Obergärtner in einem Hotel in Bozen erlaubte nur langsam eine Rückkehr in den geliebten Radsport. Dann ging es aber recht schnell: 21 Siege in 25 Rennen, Seriensiege 1948 in der neuen Heimat Salzburg, wo ihn die Zeitungen vorerst „Menapaci“nannten, und Gewinn der österreichischen Meisterschaft. Meist fuhr er aus Trainingszwecken mit dem Rad zu den Rennen und ebenso nach Hause, das waren schon einmal 300 Kilometer in einem Stück. Und da war auch die Arbeit im Geschäft; weil es kein Sicherheitsgitter vor den Schaufenstern gab, wechselten Menapace und Perfahl einander als „Wachhunde“für ihre kostbaren Räder ab und verbrachten die Nächte auf Feldbetten. Zuvor schon war die Meisterprüfung eine hohe Hürde gewesen – andere Fahrradhändler fürchteten den prominenten Namen und wollten den „Kollegen“verhindern – ohne Erfolg. Dem Rennrad blieb Menapace lang treu, mit über 60 Jahren fuhr er noch Seniorenrennen und selbst ein Herzinfarkt war kein Grund, nicht in hohem Alter etwa noch auf den Gaisberg zu radeln. Im April 2000 verstarb er im 86. Lebensjahr. In der Retrospektive dieses bescheidenen und charismatischen Sportlers, der nach Sepp Bradl zum zweiten Idol des heimischen Sports wurde, findet sich viel: Toursiege mit dem größten Vorsprung, fünf Etappensiege während einer Tour als „ewiger“Rekord, mit 35 Jahren ältester Toursieger aller Zeiten – ein Rennfahrer mit 250 Siegen insgesamt, dessen Pokale und Trophäen im Dorfmuseum in Tramin und bei Sohn Rupert in Wien stehen, und der alle seine Rennräder verschenkt hat.