Himmel Koran und Bibel über den
„Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen.“(Apostelgeschichte 1,11) „Siehe, für die Gottesfürchtigen gibt es (im Paradies) Gewinn: Obstgärten und Weinstöcke, und gleichaltrige Frauen mit schwellenden Brüsten, und Becher, bis zum Rand gefüllt. Weder Geschwätz noch Lüge hören sie dort, als Lohn von deinem Herrn, als Gabe, als Entgelt vom Herrn der Himmel und der Erde und dessen, was dazwischen ist, vom Erbarmer.“(Koran, Sure 78:31–37)
ANGELIKA WALSER
Das griechische Wort „ouranos“, der Himmel, kommt im Neuen Testament 274 (!) Mal vor, vor allem in der Verbindung mit Jesu Botschaft vom „Königreich Gottes“, das häufig auch als „Reich der Himmel“bezeichnet wird. Wenn Jesu Jünger in der Apostelgeschichte, die ca. 90 n. Chr. entstanden ist und von der ersten Etappe der Geschichte der Kirche im Römischen Reich erzählt, „zum Himmel empor schauen“, wird das antike orientalische Weltbild vorausgesetzt: Meer, Erde und Himmel bilden miteinander das Weltgebäude. Über der flachen Erdscheibe, die vom Ozean umspült ist, wölbt sich das Firmament gleich einer Schale oder Hohlkugel. Darüber befindet sich der himmlische Ozean (Gen 1,8). Vom Himmel herunter kommt daher das Wasser, die indoeuropäische Wortwurzel von „ouranos“bedeutet vermutlich „Befeuchter“oder „Befruchter“.
Andererseits hat „Himmel“in allen alten Kulturen immer auch eine metaphysische Bedeutung im Sinne von: das, was über den Menschen Macht hat, sprich: die Götter.
Vieles im heutigen christlich-himmlischen Personeninventar stammt aus der Welt des Alten Testaments: Der „König, der auf den Wolken reitet“ist ein Gottesbild, das Israel vom Baalskult der kanaanäischen Religion übernommen hat (Dtn 33,26). Der himmlische Hofstaat des ugaritischen Göttervaters El ist noch heute im Chor der Engel präsent. Einst umfasste er viele Götter, die über den Menschen Gericht hielten (Ps 82). Als sich langsam der Monotheismus durchsetzte, wurden sie jedoch zu Jahwes Dienern degradiert, genau wie die Gestirne am Himmel im Laufe der Geschichte entmythologisiert wurden: von himmlisch-göttlichen Kräften zu den von Gott geschaffenen „Lampen“, mit deren Hilfe man den Kalender berechnen kann (Gen 1,14).
„Im Himmel“, d. h. bei Gott, wohnt auch die hoheitsvolle Gestalt des Menschensohns, dem Gott die endzeitliche Herrschaft über die Erde anvertraut (Dan 7,13ff.). Im Neuen Testament wird diese Gestalt mit Jesus Christus identifiziert, der als Sohn Gottes „vom Himmel herabgestiegen ist“und wieder in die göttliche Lichtwelt hinaufsteigt. Dort bereitet er im Haus seines Vaters eine Wohnung für all jene vor, die an ihn glauben (Joh 14,2). Die rabbinische Tradition bezeichnet diese paradiesische Nähe zu Gott als den „siebten Himmel“.
Gott lässt sich allerdings nicht lokal auf einem Berg, im Tempel, im Himmel festhalten, sondern übersteigt alle Vorstellungen von Raum und Zeit (eindrucksvoll Psalm 139). Das alttestamentliche Buch Jesaja liefert gar eine „Orts“-Angabe der völlig anderen Art: Der Heilige, „der in der Höhe wohnt“, richtet das Herz der Zerschlagenen wieder auf und lässt den Geist der Niedrigen aufleben (Jes 57,15). Die theologische Aussage ist klar: Himmlisch-göttliche Verhältnisse werden genau dort hergestellt, wo den Armen Liebe und Gerechtigkeit widerfahren. Wenn Jesus sich solchen Menschen zuwendet, handelt er eindeutig in himmlischer = göttlicher Mission.
Von dieser Einsicht bis zu den ersten ökumenischen Konzilien mit ihrem Glaubensbekenntnis zu Jesus Christus als dem wahren Menschen und wahren Gott (endgültig Chalcedon 451 n. Chr.) dauert es noch Jahrhunderte, doch liegt hier eine der biblischen Wurzeln. Wenn der Mensch Jesus in den Himmel auffährt, heißt das, er gehört eindeutig auch auf die Seite Gottes. Für christliche Spiritualität ist das bis heute bedeutsam: Himmlische Aufwärtsbewegung ist undenkbar ohne Einsatz auf dem Boden
irdischer Tatsachen. Angelika Walser ist Professorin für Moraltheologie/ Spirituelle Theologie, Vizedekanin der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg.
MOUHANAD KHORCHIDE
Der zitierte Vers stammt aus der frühmekkanischen Phase zu Beginn der Verkündigung Mohammeds. Die üppigen Beschreibungen des Paradieses sind kennzeichnend für diese erste Phase, da sie mit dem Lebensstil und den Erwartungen der Adressaten Mohammeds in dieser Periode korrespondieren. Der Koran verwendet dabei für die Bezeichnung des Paradieses hauptsächlich das arabische Wort Dschanna, das bereits in der vorislamischen Poesie für „Garten“verwendet wurde. Während allerdings die koranischen Schilderungen in der gesamten mekkanischen Periode (610–622) das Paradies als Ort sinnlicher Genüsse erscheinen lassen, nimmt in der medinensischen Periode (622–632) die geistige Dimension zu, welche die Gottesnähe anspricht.
Innerhalb der klassischen Exegese trifft man auf ein wortwörtliches Verständnis. Entsprechend fasst sie das Paradies im materiellen Sinne als Raum der physischen Vergnügungen auf. Die Diskussion innerhalb der systematischen Theologie darüber, ob die Wiederauferstehung am Jüngsten Tag eine physische (den Körper betreffend) oder rein geistige (die Seele betreffend) sei, wurde in der Exegese weniger reflektiert.
In der islamischen Mystik finden wir hingegen Auslegungen des Paradieses, die darin eine rein metaphorische Rede sehen. Denn es gehe nicht um sinnliche Genüsse, sondern um eine bildhafte Beschreibung vom Zustand der Glückseligkeit in Gottes Nähe. Die Mystikerin Rābi’a al-’Adawiyya (gest. 801) brachte dies in ihrer berühmten Aussage auf den Punkt: „Ich würde so gerne das Höllenfeuer löschen und das Paradies mit Feuer anzünden, damit die Menschen nicht aus Angst vor der Hölle bzw. Hoffnung auf das Paradies handeln.“Die Menschen sollten aus Liebe und im Nachvollzug der göttlichen Liebe ethisch korrekt handeln. Auch der Gelehrte al-Gazali (gest. 1111) sieht die endgültige Glückseligkeit in der Nähe zu Gott, das Gelangen in seine Gegenwart sei der wahre paradiesische Zustand. Alle koranischen Bilder vom Paradies liest er als metaphorische Rede für diesen Zustand der Gottesnähe.
Diese Auslegung al-Gazalis würden heute nur wenige Exegeten teilen. Das Paradies wird weiterhin vorwiegend als materieller Raum der sinnlichen Genüsse verstanden. Einige religiöse Erzieher setzen die Rede vom Paradies gar als Motivation für mehr Religiosität ein. Dabei ist hoch problematisch, dass dadurch das Gute nicht um des Guten willen angestrebt wird, sondern wegen der erwarteten Belohnung. So wird die Gott-MenschBeziehung auf reine Nützlichkeit reduziert, man betet Gott an, um zu der materiellen Vergnügung zu gelangen. Daher sieht al-Gazali in dieser Form der Beziehung zu Gott den Monotheismus bedroht, weil es weniger um Gott und die Liebe zu ihm an sich geht, sondern um den Nutzen aus der Beziehung des Menschen zu Gott.
Extremistische Gruppierungen setzen heute die Rede vom Paradies verstärkt dazu ein, um vor allem junge Menschen zu rekrutieren. Dabei ist die Rede von den vielen paradiesischen Jungfrauen für junge Männer eine wichtige Motivation. Im Gegensatz dazu ist die mystische Lesart der koranischen Bilder vom Paradies wichtig, um sich in einem anderen Horizont als dem der sinnlichen Genüsse zu bewegen. Das Paradies als Zustand der Nähe zu Gott zu lesen – auch hier und jetzt auf der Erde, indem man im Alltag als „Hand Gottes“, als Hand der Liebe und Barmherzigkeit handelt – verleiht der Rede vom Paradies eine zugleich spirituelle und soziale Dimension. Diese kann dem Gläubigen zu seiner inneren Vervollkommnung
helfen. Mouhanad Khorchide ist Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster.