Die Mischung macht’s
Mannheim. Zwischen Hafenflair, Industrieromantik und Multikulti – ein Blick auf die trendigen Viertel Jungbusch und Little Istanbul.
Der Weg zur Muckibude führt durch einen Hinterhof in der Böckstraße. „Onaschd wie wo onaschda“, also anders als woanders, prangt auf einem Schild über dem Eingang. Rudi Gehrig, 72, breite Schultern, nach hinten gegeltes Haar, lächelt sehr entspannt hinter dem Tresen hervor und erzählt, wie er 1980 das Sportstudio Jungbusch als erstes „Kraftsportstudio“Mannheims gründete. Damals war das Viertel Rotlichtmilieu und Drogenumschlagplatz. Sein Studio dagegen sei immer ein Ort gewesen, wo „Friede, Freude, Eierkuchen herrscht und jeder jeden machen lässt“, erklärt der gebürtige Mannheimer. Freundlichkeit und Respekt lautet die Devise – wer sich nicht daran hält, muss gehen. Sein Sportpublikum ist vorwiegend männlich, international, teils harte Jungs mit Goldkettchen, teils mit Hang zu Anabolika. Davon rät der erfahrene Bodybuilder allerdings ab, obwohl er in jungen Jahren selbst ein wilder Hund gewesen sei. Neulinge begrüßt er stets mit der Frage: „Wilsch du Strandläufer wärre oder uff Wettkämpf?“Gehrig und die Muckibude sind inzwischen Kult und über den Jungbusch hinaus bekannt.
Der Jungbusch mit etwa 5000 Einwohnern liegt eingeklemmt zwischen Neckar, dem vierspurigen Luisenring und dem seit 1869 existierenden Verbindungskanal zwischen Neckar und Rhein. Der Name Jungbusch stammt aus der Zeit, als das Gebiet regelmäßig von beiden Flüssen überschwemmt wurde. Die hier wachsenden Bäumchen und Sträucher wurden nie alt, weil die nächste Flut sie ertränkte. Auch der Pestbuckel befand sich hier: Im 17. Jahrhundert hat man Tausende Opfer der Seuche im Gebiet des heutigen Jungbuschs begraben. Was viele nicht wissen: Das Viertel mit seinem hohen Migrations- und Arbeiteranteil war vor 100 Jahren aufgrund der Nähe zum Hafen das Wohnviertel wohlhabender Reeder, Kapitäne und Kaufleute, das lässt sich an den teils prächtigen Klinkerbauten noch sehen. Das Brummen des Containerterminals ist jedoch noch heute zu hören, schließlich ist der Mannheimer Hafen einer der größten Binnenhäfen Europas.
Die Hafenhistorie klingt noch in Namen von Straßen und Bars durch: Werftstraße, Hafenstraße, Am Salzkai oder eben Kiets König, Kombüse, Onkel Otto Bar. „Der Jungbusch ist super geworden“, findet Gehrig. Weniger gefalle ihm, dass „die Leut“immer noch alles auf die Straße schmeißen. So sei der Jungbusch der einzige Stadtteil Mannheims, in dem jeden Tag gekehrt wird.
Nun hat die Gentrifizierung auch den Jungbusch erreicht: Die Immobilienpreise steigen, plötzlich ziehen Gutverdiener und schicke Läden ins Viertel. Auch liegt hier Deutschlands einzige Hochschule für populäre Musik, kurz Pop-Akademie, nur wenige Meter entfernt residiert mit dem Musikpark ein Existenzgründerzentrum für die Musikwirtschaft. Spotify hätte also – rein theoretisch – auch in Mannheim erfunden werden können. Im Restaurant Die Küche speist man abends mit sensationellem Blick auf den Hafen und die beleuchtete Kulisse des Chemiegiganten BASF in Ludwigshafen. Im Restaurant Fundament serviert Kai Wienand gehobene Crossover-Küche mit Pfälzer Einschlag: etwa den „Elwetritsch“, ein Fabeltier aus Ente, Fasan und Hirsch, und genau diese Zutaten finden sich auf dem Teller.
Kontraste liegen selten so dicht beieinander wie in Mannheim, einer Stadt mit 300.600 Einwohnern aus 170 Nationen. Vom Wasserturm, dem Wahrzeichen Mannheims, braucht es über die Planken, die Einkaufsmeile, gerade einmal 15 Gehminuten bis zum Jungbusch. Freunde der Sterneküche sollten in der Shopping Mall Q6/Q7 haltmachen. Als Kuriosum im fensterlosen Untergeschoß, zwischen Drogeriemarkt und Imbissstand, liegt nämlich mit Emma Wolf since 1920 Deutschlands einziges SterneRestaurant in einem Einkaufszentrum. Der Name des kleinen Restaurants rührt vom Namen und Geburtsjahr der Großmutter des Küchenchefs Dennis Maier. Der 36-Jährige wollte zurück in seine Geburtsstadt – und näher zum Gast. Die offene, einsehbare Küche und enge Bestuhlung sorgen für eine intime, lockere Bistro-Atmosphäre. Nur wenige Gehminuten entfernt im O5 kocht Maiers Kollege Tristan Brandt im Opus V, im obersten Stockwerk des alteingesessenen Modekaufhauses Engelhorn. Der nur 33-jährige Brandt hat sich innerhalb weniger Jahre zwei Sterne erkocht. Gut essen und shoppen gehören in Mannheim zusammen.
Q6 oder O5 klingen als Ortsangaben für Uneingeweihte seltsam. Tatsächlich ist Mannheim die einzige Stadt, die im Zentrum auf Straßennamen verzichtet und stattdessen die nicht immer quadratischen Häuserblöcke nach Schachbrettart benannt hat. Wer es begriffen hat, findet schnell den Marktplatz mit dem alten Mannheimer Rathaus. Dort, zwischen Marktplatz und dem von türkischen Einwanderern geprägten Viertel mit dem inoffiziellen Namen „Little Istanbul“, im Eck F2/G2, lassen junge türkischstämmige Männer die Motoren ihrer schwarzen, tiefergelegten Karossen aufheulen, Türk Pop dröhnt durch die Autofenster. Little Istanbul liegt genau zwischen dem schicken Mannheim und dem Jungbusch und lebt von drei Einnahmequellen: Brautkleider, Goldschmuck und türkische Bäckereien, wie Vahit Görürs alteingesessene Bäckerei Paşa, die berühmt für ihre Baklava sind. Die zuckersüße Köstlichkeit aus Blätterteig samt gehackten Pistazien und Nüssen ist sehr beliebt. Nur mit der „Strandläufer“-Figur wird’s dann etwas schwierig.