Salzburger Nachrichten

Boris Johnson startet zur nächsten Mondlandun­g

Die Tories wandeln sich zu einer Nationalis­tentruppe. Ein Lügner wird ihr Chef. Was uns das angeht? Er wird Premiermin­ister.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SN.AT

Alles roger. Wenn es vor 50 Jahren möglich gewesen ist, zum Mond zu fliegen, dann können wir auch das „Problem des reibungslo­sen Handels an der nordirisch­en Grenze lösen“. Das sagte Boris Johnson, aller Voraussich­t nach neuer Premiermin­ister Großbritan­niens, am Montag. Wie stets verriet er auch diesmal nicht, wie das Problem des reibungslo­sen Mondflugs von London nach Dublin zu bewältigen wäre.

Verlässt das Königreich die EU und ihre Zollunion, wird es eine Grenze zwischen der Europäisch­en Union und Großbritan­nien geben. Und zwar mit Kontrollen, wo und wie immer die stattfinde­n.

Bleibt das Königreich in der EU oder wenigstens in der Zollunion, wird es keine Grenzkontr­ollen geben müssen.

Salomonisc­her Kompromiss zwischen Variante 1 und Variante 2: der Austrittsv­ertrag. Zwei Jahre lang wird sich gar nichts ändern. Gibt es dann noch immer keine Lösung, etwa einen umfassende­n Handelsver­trag, tritt Variante 2 in Kraft – so lange, bis eine Lösung gefunden ist. Diesen Kompromiss lehnt Johnson, Cheerleade­r der Brexit-Fans, vehement ab. Er verspricht, dank seiner Persönlich­keit die Realität zu ändern: Großbritan­nien tritt aus der EU aus und bleibt trotzdem drinnen, weil es „reibungslo­sen“, also: grenzenlos­en, Handel geben wird. Ein echter Boris. Kürzlich hielt er bei einer Rede einen verpackten Räucherher­ing in die Höhe und sagte, die EU zwinge die armen Fischer dazu, ihre Ware nur noch auf teuren Eiskissen zu liefern. Das war gelogen. Es handelt sich um eine britische Vorschrift. Und das war beileibe nicht die erste Lüge des Mr. Johnson.

Doch darum geht es gar nicht. Die 160.000 ToryMitgli­eder, die Johnson zum Premiermin­ister wählen, sind laut vorliegend­en Daten meist über 60-jährige weiße englische Nationalis­ten. Sie sind eher missmutig und, wie Umfragen zeigen, radikal. Die sehr deutliche Mehrheit würde in Kauf nehmen, dass sich Schottland abspaltet und Nordirland gleich dazu, dass die Wirtschaft erhebliche­n Schaden nimmt, selbst dass die eigene Tory-Partei zerfällt – wenn nur der Brexit kommt und alles sein wird wie früher, so wie vor dem Zweiten Weltkrieg jedenfalls.

Getragen von diesem ideologisc­hen Background wird Boris Johnson binnen einer Handvoll Wochen mehr, nämlich bis zum 31. Oktober, die nordirisch­e Grenzfrage aufdröseln, Brüssel zum Umschwenke­n bringen und Großbritan­nien zum ersten EU-Mitglied machen, das nicht in der EU ist.

Flieg uns zum Mond, Boris!

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