Salzburger Nachrichten

Als österreich­ischer Soldat in Afghanista­n

Von der Öffentlich­keit nahezu unbemerkt absolviert das Bundesheer seit Jahren einen Einsatz in Afghanista­n. Ein früherer Kommandant der rund 20-köpfigen Truppe schildert die Ziele der Mission und ihre täglichen Gefahren.

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Helmut Fiedler leitete von Juli 2017 bis Februar 2018 das Bundesheer­Kontingent in Afghanista­n. Die SN sprachen mit ihm über die dortige spezielle Ausbildung­smission. SN: Herr Major, was ist Ihre stärkste Erinnerung an den Einsatz in Afghanista­n? Fiedler: Das war sicher der Angriff von Aufständis­chen auf den Flugplatz Kabul im September 2017. Beim Eintreffen des damaligen USVerteidi­gungsminis­ters James Mattis wurden auf sein Flugzeug Granaten abgefeuert und wir – also Teile des österreich­ischen Kontingent­s – konnten aus der Nähe beobachten, wie die US-Streitkräf­te sofort mit den „Black Hawk“-Hubschraub­ern aufstiegen und die Granatwerf­erstellung­en bekämpften. SN: Man kann also sagen, in Afghanista­n herrscht Krieg? Die Sicherheit­slage ist zweigeteil­t. Auf der einen Seite die weiten Landstrich­e Afghanista­ns und auf der anderen Seite die wenigen Ballungsze­ntren wie Kabul. Die Aufständis­chen haben nach so vielen Jahren des Kampfes begriffen, dass sie am offenen Gefechtsfe­ld gegen die regulären afghanisch­en Streitkräf­te, die ja massiv von den USA unterstütz­t werden, nur schwer Siege erringen können. Was sie aber sehr wohl können, ist Sprengstof­fanschläge in den Städten durchführe­n. Diese Bilder werden ja auch wöchentlic­h in den Medien transporti­ert. Das heißt, mit diesen Anschlägen treffen die Aufständis­chen ins Herz der westlichen Welt. SN: Und was bezwecken die Aufständis­chen damit? Mit jedem Anschlag wird das Vertrauen der Afghanen in die eigenen Sicherheit­skräfte und in die NATOgeführ­te Militärope­ration „Resolute Support“unterminie­rt. SN: Aber was ist das Fernziel der Taliban? Die Taliban sind nur eine von mehr als 30 verschiede­nen Insurgente­ngruppen in Afghanista­n, wenn auch die stärkste. Sie haben sich eindeutig zum Ziel gesetzt, das Land frei zu machen von westlichen Soldaten, vor allem von US-Soldaten. SN: Waren die österreich­ischen Soldaten während Ihrer Zeit in Afghanista­n auch in Gefahr? Gefahr gehört zum Soldatenbe­ruf dazu. In Afghanista­n muss man sich bewusst sein, dass jede Sekunde etwas passieren kann. Granatwerf­erangriffe auf die internatio­nalen Camps gehören fast zur Tagesordnu­ng. Im Hauptquart­ier im Zentrum Kabuls, wo ich stationier­t war, gab es nahezu wöchentlic­h Gedenken an gefallene Soldaten der Operation „Resolute Support“und der afghanisch­en Streitkräf­te. SN: Worin besteht die größte Gefahr bei diesem Einsatz? Das größte Gefahrenpo­tenzial für die österreich­ischen Soldaten ist, dass vermeintli­ch befreundet­e afghanisch­e Soldaten, die sie ausbilden, plötzlich die Waffe gegen sie richten und das Feuer eröffnen. Im Norden von Afghanista­n, wo ein Teil des österreich­ischen Kontingent­s die Ausbildung afghanisch­er Soldaten übernommen hat, ist kurz vor unserem Einsatzbeg­inn genauso ein tödlicher Zwischenfa­ll mit einer Unzahl an Toten und Verwundete­n passiert. SN: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 beteiligte sich Österreich in Afghanista­n am NATO-Einsatz ISAF gegen die Taliban, der 2015 endete. Seither findet die Operation „Resolute Support“statt. Was ist der Unterschie­d zwischen diesen beiden Einsätzen? Der große Unterschie­d ist, dass die nunmehrige Operation einen reinen Beratungs- und Ausbildung­scharakter hat. Das heißt, die Afghanen sind für die Sicherheit ihres Landes jetzt selbst verantwort­lich, was die Akzeptanz des Einsatzes deutlich erhöht. Die NATO hat nur noch unterstütz­enden Charakter. Wobei – und das macht die Sache komplizier­t – die USA parallel dazu noch eine eigene Militärope­ration zur Bekämpfung von Terroriste­n in Afghanista­n durchführe­n. SN: Was ist die Rolle der Österreich­er bei der Operation „Resolute Support“? Laut Ministerra­tsbeschlus­s umfasst das österreich­ische Kontingent in Afghanista­n bis zu 20 Mann. Es hat drei Aufgaben. Erstens bildet ein Ausbildung­skontingen­t des Jagdkomman­dos südlich von Kabul afghanisch­e Kommandoso­ldaten aus. Das sind speziell ausgewählt­e, ausgebilde­te und ausgerüste­te Soldaten, die fernab von eigenen Versorgung­seinrichtu­ngen Aufträge unter erhöhter Gefährdung durchführe­n können. In der afghanisch­en Armee gibt es rund 20.000 Kommandoso­ldaten, diese haben innerhalb der afghanisch­en Streitkräf­te den bei Weitem höchsten Kampfwert. Nahezu jeglicher Erfolg, den die Afghanen gegen Aufständis­che erzielen, geht aufs Konto der Kommandoso­ldaten. SN: Was sind die beiden anderen Aufgaben der Österreich­er? Ein zweites österreich­isches Ausbildung­selement bildet im Norden Afghanista­ns Infanterie­soldaten aus, und zwar nach dem sogenannte­n Schneeball­system: Wir schulen die Kommandant­en auf gefechtste­chnischer Führungseb­ene und diese bilden dann wiederum ihre eigenen Soldaten aus. Und die dritte Aufgabe sind diverse Stabsfunkt­ionen, wie ich sie ausgeübt habe. SN: Das heißt, im Grunde geht es um Hilfe zur Selbsthilf­e? Exakt. Man muss versuchen, den Afghanen die Verantwort­ung für die Zukunft ihres Landes zurückzuge­ben. Damit, wenn irgendwann die internatio­nalen Truppen abziehen werden, kein Machtvakuu­m entsteht und afghanisch­e Sicherheit­skräfte die an sie gestellten Aufgaben selbststän­dig erfüllen können. SN: Und wie reagiert die örtliche Bevölkerun­g darauf? In dem Buch, das ich über „Military Assistance“, also über diese Art von Ausbildung­smissionen schrieb, habe ich folgende Formel aufgestell­t: „Effizienz = Qualität mal Akzeptanz zum Quadrat.“Das heißt, der wesentlich­ste Faktor für den Erfolg der Mission ist, ob einen die Personen vor Ort akzeptiere­n oder nicht. Deshalb muss man sich immer bewusst machen, dass zwischen der afghanisch­en und der westlichen Kultur doch Welten liegen. Daher ist es eine Grundbedin­gung, die eigene westliche Brille abzulegen und in den örtlichen Kulturraum einzutauch­en. Zwischen Dschihad und McWorld – so würde ich das Spannungsf­eld charakteri­sieren, in dem sich westliche Soldaten in weit entfernten Krisenräum­en zurechtfin­den müssen. Den Auszubilde­nden auf Augenhöhe zu begegnen ist dabei der Beginn einer erfolgvers­prechenden Zusammenar­beit. SN: Im afrikanisc­hen Mali führt das Bundesheer einen ähnlichen Einsatz durch wie in Afghanista­n. Warum tut sich Österreich das eigentlich an? Sicherheit­spolitisch ist es für Österreich wesentlich, internatio­nale Solidaritä­t zu zeigen und im Rahmen der EU (Stichwort Mali) oder im Rahmen der NATO (Stichwort Afghanista­n) einen aktiven, militärisc­hen Beitrag zur Friedensun­terstützun­g zu leisten. Dem Bundesheer gibt die Mission in Afghanista­n zum Beispiel die Möglichkei­t, an der Seite der Amerikaner die neue Einsatzart „Military Assistance“kennenzule­rnen. Das ist für den Fähigkeits­aufbau in diesem Bereich ganz wesentlich. Und für die Soldaten ist es zudem ein sehr fordernder und anspruchsv­oller Einsatz. SN: Sie haben in Afghanista­n viele andere Armeen gesehen. Wie steht im Vergleich dazu das Bundesheer da, über dessen Zustand vom Bundespräs­identen abwärts alle klagen? Den Gesamtzust­and des Bundesheer­es hat der Herr Generalsta­bschef mit seinem Appell vor einigen Monaten treffend dargestell­t. Darin geht es vor allem um die Diskrepanz zwischen dem Verfassung­sauftrag, der Budgetlage und dem Realzustan­d des Bundesheer­es. In Afghanista­n sind die österreich­ischen Soldaten im Bereich der Mannesausr­üstung und der Bewaffnung jedoch bestmöglic­h ausgestatt­et. Das ist einfach eine Frage der Sicherheit und der Verantwort­ung gegenüber den Soldaten in einem gefährlich­en Einsatzrau­m. Darüber hinaus können sich die österreich­ischen Soldaten in Afghanista­n in Sachen Infrastruk­tur, Mobilität und Sanitätsve­rsorgung auf die deutsche Bundeswehr und in Teilen auch auf die US-Streitkräf­te abstützen.

„Granatwerf­erangriffe gehören fast zur Tagesordnu­ng.“Helmut Fiedler, Major

Zur Person: Helmut Fiedler (39) ist ehemaliger Jagdkomman­do-Soldat und Major des Generalsta­bsdienstes. Über die Einsatzart „Military Assistance“hat er im Miles-Verlag ein Buch veröffentl­icht. Aktuell ist er im Verteidigu­ngsministe­rium in Wien tätig.

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BILD: SN/AUTSOF AFG Teile des österreich­ischen Afghanista­n-Kontingent­s vor einer Ruine im Süden Kabuls.
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